Prudenci Bertrana gilt als der berühmteste katalanische Schriftsteller. Er ist ebenso der Namensgeber des bedeutendsten katalanischen Literaturpreises, sowie der Verfasser zahlreicher Werke. Dazu gehört sein Hauptwerk Josafat, das im Jahre 1906 erschien. Jedoch verhalf dieser Status dem Werk zu keinem großen Bekanntheitsgrad – zumindest nicht hier in Deutschland. Eine ganz einfache Frage kann – auf diese Tatsache hin – gestellt werden: Aus welchem Grund ist das Hauptwerk Bertranas hier in Deutschland nicht publik geworden?

Eine Grundlage dafür, dass ein Buch in einem anderssprachigen Land populär wird, ist die Übersetzung dessen. Damit ein Werk also an Bekanntheit gewinnt, muss es auch gelesen werden können. Dazu ist es gelegentlich nötig die Werke von der Originalsprache in eine andere Sprache zu übertragen.
Dies geschah mit Bertranas Josafat zum ersten Mal im Jahre 1918. Eberhard Vogel, der Begründer der deutschen Katalanistik, war verantwortlich für diese erste deutsche Version. Eine zweite Version erschien 2013 unter der Federführung von Jürgen Buchmann, im freiraum-verlag.
Beide Versionen unterscheiden sich in mehreren markanten Punkten. Wobei die neueste Version den Titel Josafat oder Unsere Liebe Frau von der Sünde trägt, blieb die ältere bei dem Originaltitel Josafat. Buchmann nimmt in einer „Notiz zur Übersetzung“ (S. 79-81) Stellung zu der Titelentscheidung, die Verlag und Übersetzer gemeinsam getroffen haben.
Buchmann erwähnt ebenfalls die Tatsache, dass nicht der Autorenname Bertranas unter die erste deutsche Version gesetzt wurde, sondern ein Pseudonym des Übersetzers Eberhard Vogel: J. Pons i Pagés.
An diesem Punkt stellen sich zwei weitere Fragen: Warum hat man 1918 nicht Bertranas Namen für die Übersetzung genutzt, sondern einen Künstlernamen des Übersetzers? Hat Vogel womöglich versucht sich – durch die Übertragung – Bertranas Josafat als eigenes Werk anrechnen zu lassen?
In Anbetracht der Tatsache, dass Vogel von einer sehr eigenwilligen Übersetzungstechnik Gebrauch gemacht hat, könnte die letzte Frage durchaus mit einem Ja beantwortet werden. Buchmann erwähnt dahingehend in seiner Notiz ein Beispiel zu diesem Fall:
Wenn Bertrana beispielweise erklärt: Sota els seus peus naixien cruiximents misteriosos, „unter ihren Füßen entstanden geheimnisvoll knirschende Laute“, so wird im Deutschen daraus „unter ihren Füßen knirschte der Stein, als ob Nattern undeutbare Worte um ihre Knöchel zischten.“ (S. 79)
Er verweist ebenso auf das sechste Kapitel der ersten Übertragung, „das zur Gänze aufs Konto des Übersetzers geht.“ (S. 79)
Somit kann womöglich gesagt werden, dass die erste deutsche Version des Josafat keine reine Übertragung aus dem Katalanischen ins Deutsche gewesen sein mag. Vielmehr war es eventuell eine reine Interpretation des Werkes, die Vogel 1918 vorgenommen hat. Aber ist nicht jede Übersetzung eine Interpretation?

Buchmanns Übersetzung Josafat oder Unsere Liebe Frau von der Sünde (2013) scheint näher an dem original katalanischen Text zu sein, als die frühere Version. Er selbst kritisiert Vogels Übertragung (siehe oben) und hat sich an eine eigene zweite Version gewagt.
In seiner „Notiz zur Übersetzung“ spricht Buchmann von den Schwierigkeiten, die Bertranas Stil und Schreibweise dem Übersetzer machen (S. 80). Die Besonderheit des Schreibstils und der Ausdruckweise fällt auch dem Leser auf. Die Sprache des Werks ist ebenso verstörend, wie die düstere Geschichte, die sie erzählt:
[…] plötzlich war der erstickte Ton des Glöckchens zu hören, und ein Blutstrahl sprang aus dem aufgeplatzten Schädel des Fremden. Josafat, […] fiel zusammen mit dem Bezwungenen zu Boden, und über ihn gehockt, drosch er mit rasender Wut und der Treffsicherheit eines geübtem Schmieds weiter auf die Wunde ein. O glaubensloses Gezücht, Auswurf der Hölle! (S. 11-12)
Hoch oben jedoch, über den Dachgewölben, verwandelte sie sich in die Mänade zurück; sie warf ihre Kleider von sich und setzte mit zügellosen Posen den Faun in Raserei. (S. 41)
Diese Auszüge lassen erkennen, wie der Autor die Sprache einsetzt, um die Situationen dem Leser gegenüber genau beschreiben zu können. Man erkennt, dass es ihm nicht genügt ‚nur‘ von einem Verbrechen oder Geschlechtsakt zu berichten. Bertrana nutzt die Sprache, um ein genaues und groteskes Bild des Mordes zu zeichnen oder um den einfachen Akt phantasievoll zu gestalten, indem sich die beiden Protagonisten in Wesen der griechischen Mythologie verwandeln.

Die Besonderheit der Sprache macht das Hauptwerk Bertranas verstörend interessant. Die Detailgenauigkeit, die er anwendet, kann den Leser somit fesseln, obgleich der Inhalt des Buches eine vollkommen gegenteilige Wirkung haben kann.
Der Einstieg in das Buch Josafat oder Unsere Liebe Frau von der Sünde kann – im Gegensatz zu den folgenden Geschehnissen – (schon fast) als recht gewöhnlich angesehen werden. Der Leser wird durch Bertrana in die ‚Szene‘ eingeführt, indem dieser die „düsteren Labyrinthe der Kathedrale Unserer Lieben Frau“ beschreibt und uns somit einen vorerst noch harmlosen ‚Rundgang‘ durch Josafats Welt gibt (S. 75).
Verstörend wird die Geschichte, sobald Bertrana den Glöckner Josafat zu beschreiben beginnt. Dessen Leben ist geprägt durch die katholische Kirche, deren absolutistischen Glauben und ihr Weltbild. Die Macht, die der Katholizismus somit auf Josafat ausübt, bestimmt sein Leben – nicht nur beruflich, ebenso privat.

Seine „zwei Leidenschaften“, Jähzorn und Wollust – beide zugehörig zu den sieben Todsünden – treiben den Glöckner in die Katastrophe seines Lebens (S. 13). Eine verstrickte und sadomasochistische Beziehung zwischen den beiden Protagonisten, Josafat und der Prostituierten Fineta, entwickelt sich. Sie spitzt sich in dem Moment zu, in dem der Glöckner sich besinnt, von dem „Flittchen“ und den Todsünden abschwört und sich dem Katholizismus wieder zuwendet.

Das Buch Josafat oder Unsere Liebe Frau von der Sünde beinhaltet eine verstörende Geschichte, auf die man sich als Leser einlässt oder nicht. Wie schon erwähnt, ist sie trotz des beunruhigenden Inhalts, dennoch interessant zu lesen. Wobei der faszinierende Aspekt auf der außergewöhnlichen Sprache Bertranas liegt, die mit ihrer Detailgenauigkeit (z.B.: die Beschreibung der Kirche im ersten Kapitel) und der bizarren Vielfalt (z.B.: die brutale Darstellung eines Mordes im Gegensatz zu dem Einsatz von mythologischen Wesen) für außergewöhnlichen Lesestoff sorgt.