Vorbemerkung: Diesen Text schrieb ich im August 2005 für einen Vortrag über die Musikgeschichte von New Orleans mit damals aktuellen Informationen. Heute müssten gerade die Zahlenangaben dringend aktualisiert werden. Dass in New Orleans noch heute keine Normalität herrscht, zeigt etwa das Album City That Care Forgot, das Dr. John 2008 veröffentlicht hat. Als Ergänzung haben wir noch die Dokumentation „The Rhythm of New Orleans“ vom Februar 2006 eingefügt.

drjohn_fats_772625672Die Bilder, die im August 2005 nach dem Hurrikan Katrina um die Welt gingen, illustrierten das zeitweilige Ende einer der interessantesten Musikstädte der Welt.Denn auch wenn die Touristenviertel der Stadt und das berühmte French Quarter heute wieder belebt sind, sind erst 60 Prozent der ursprünglich knapp 500.000 Einwohner der Stadt zurückgekehrt an den Mississippi. Vor allem ärmere Menschen können es sich einfach nicht leisten, ihre Häuser wieder aufzubauen. Und Versicherungen haben sich bis heute vielfach geweigert, die Schäden durch das Hochwasser zu begleichen.

Katrina verwüstete Großteile der Stadt und etwa 20 Dammbrüche führten zu einer 80%-igen Überflutung des Stadtgebiets. Die tief gelegenen Wohngegenden standen bis zu 6 Meter unter Wasser und viele der 1,3 Millionen Menschen, die aus der Metropolregion New Orleans vor Katrina flüchteten, waren innerhalb von Stunden obdachlos.

Nach der Flut kamen die Unruhen, der Gesundheitsnotstand, der Ausnahmezustand, der im Staat Louisiana gesetzlich unserem Kriegsrecht gleicht. Immer wieder berichteten die Medien von Schiessereien, Morden und Plünderungen. Die Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco, rief die Nationalgarde und das Militär öffentlich dazu auf, Plünderer ohne Vorwarnung zu erschießen. ”Shoot to kill“, hieß damals die Devise.

Nach den Unruhen kamen Teile der Wahrheit ans Licht, über plündernde und desertierende Polizisten, über verhungerte Patienten in Krankenhäusern, über Menschen, die auf ihren Hausdächern auf Hilfe wartend verdursteten, über Dammbaufehler, Trinkwassermangel und Tuberkulose.

Auf die Unruhen folgte der Wiederaufbau, langsam und schleppend, aber stetig. Und so stellt sich heute die Frage: wie geht es New Orleans gegenwärtig, genau zwei Jahre nach der Katastrophe?

Das touristische Zentrum der Stadt, das French Quarter, mitsamt seinen Cajun-Restaurants, Bars, Cafes und Kneipen, ist vollkommen intakt, die Bourbon Street tanzt jede Nacht bis in die frühen Morgenstunden und die großen Hotels auf der Canal Street heißen täglich Gäste aus aller Welt willkommen. Der Superdome ist wieder Footballstadion. Auch sind wohlhabende Wohngegenden wie das durch einen Dammbruch vollständig zerstörte Lakewood zum größten Teil renoviert und restauriert. Doch diese Fortschritte wurden in erster Linie durch die private Hand erzielt: internationale Hotelketten renovieren ihre Ableger selber, Nachtclubbesitzer erneuern ihre Etablissements aus geschäftlichen Geldmitteln und Bewohner reicher Viertel decken die Arbeitskosten an ihren Häusern mit verhältnismäßig hohen Gehältern oder Ersparnissen.

Prekär bleibt sowohl die Situation der armen Bevölkerung als auch der derzeitige Stand der Infrastruktur der Stadt, die durch öffentliche Mittel getragen werden muss. Stadtangestellte identifizierten kurz nach der Hurrikankatastrophe 115 Projekte absoluter Dringlichkeit, deren unmittelbare und vollständige Durchführung notwendig zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Bürger New Orleans’ ist, darunter der Wiederaufbau von Krankenhäusern, Polizeidienststellen, Feuerwehren und DNA-Laboratorien. Bis heute ist nicht ein einziges dieser Projekte durchgeführt: sowohl der Polizeichef der Stadt als auch ein Großteil der Feuerwehrmänner erledigt seine Arbeit aus einem Wohnwagen, nur eines der vielen Krankenhäuser kehrte zu vollkommener Funktionstüchtigkeit zurück und weder Polizei noch Gerichtsmedizin verfügen über Labors, die die Abgleichung von DNA-Material ermöglichen.

Unmittelbar nach der Katastrophe veranschlagte Washington 116 Milliarden Dollar, die den Wiederaufbau New Orleans’ ermöglichen sollen. Von dieser Summe sind dem Fernsehsender CNN und der nationalen Zeitung USA Today zufolge allerdings erst knappe 17 Milliarden in kommunale und städtische Projekte geflossen, die meistendavon in die Wiederinstandsetzung der gesetzlichen und polizeilichen Apparate und der Infrastruktur um das touristische French Quarter.

Viele lokale Politiker, wie der Bürgermeister von New Orleans, Ray Nagin, werfen der Regierung indirekt Rassismus vor: Idaho oder South Dakota wären schon lange wieder aufgebaut, heißt es, nicht aber eine Stadt, die vor Katrina eine afroamerikanische Bevölkerung von 68% zählte. Besonders die langsamen Reaktionszeiten der staatlichen Behörden und der Regierung in jedem Zusammenhang wurden kritisiert: über das späte Erscheinen der Nationalgarde bis hin zu Überbürokratisierung der Anträge auf Hilfe durch die Katastrophenschutzbehörde FEMA.

Aus letzterem Grund geht es Privatpersonen nicht viel besser als der Kommune. Viele ehemalige Bewohner der Armenviertel, die einen Großteil der Gesamtbevölkerung New Orleans’ ausmachen, schlagen sich nun in Houston, Baton Rogue oder Atlanta durch. Die Menschen können es sich einfach nicht leisten, nach New Orleans zurückzukehren. Nicht nur haben sich Versicherungsprämien und Mieten annähernd verdoppelt, wurde die Grundsteuer erhöht, sind Handwerker knapp und teuer. Darüber hinaus ergingen erst in 25% aller Versicherungsfälle Bescheide und in sehr viel weniger Fällen wurde das Geld bereits gezahlt. In jenen Vierteln, in denen die Menschen auf diese Zahlungen angewiesen sind passiert folglich nicht sehr viel.

Anderen geht es noch schlimmer: nach dem Gesetz müssen Hausbesitzer, die noch Hypotheken abzuzahlen haben, eine Flutversicherung abschließen. Diejenigen jedoch, die ihre Häuser bereits abbezahlt hatten und zu arm waren, sich Flutversicherungen leisten zu können, wie viele Rentner in den schwarzen Vierteln außerhalb der Innenstadt, haben durch Katrina alles verloren.

Vor allem auch die zahlreichen Musiker wurden durch den Hurrikan getroffen. So wurde Fats Domino erst nach einigen Tagen per Zufall auf einem Foto entdeckt und konnte deshalb per Hubschrauber evakuiert werden. Mittlerweile haben sich verschiedene Organisationen gerade der Musiker angenommen, um das musikalische Leben der Stadt zu unterst¨utzen. So werden Bands für die traditionellen Jazz-Beerdigungen von einer Stiftung bezahlt. Denn Studien besagen, dass schon vor Katrina 90 Prozent der Musiker in der Stadt unterhalb des Armutslevels existierten. Und durch die Zerstörung vieler Clubs sind ihnen noch die letzten Arbeitsmöglichkeiten weggebrochen. Aber es sind gerade Initiativen von Musikern, die sich besonders um die Wiederbelebung der Stadt ümmern. Stiftungen wie die Tipitina’s Foundation vermitteln Auftrittsmöglichkeiten für Musiker oder stellen ihnen Anwälte oder ärztliche Hilfen zur Verfügung.

Und es wurden Programme gestartet, damit die Marching Bands an den Schulen wieder musizieren können. Denn nur so kann die für den Ruf New Orleans wichtige Musikszene wieder aufgebaut und am Leben gehalten werden.