bodagMitte der 70er Jahre bildeten sich in Sachsen, Thüringen und in Berlin Zentren der Bluesmusik. Und irgendwann war der Blues in der ehemaligen DDR so verwurzelt, dass Memphis Slim sagen konnte, neben Mississippi sei die DDR die Heimat des Blues.

 

Es muss irgendwann Anfang der 80er gewesen sein. Meine ältere Schwester hatte versprochen, mich in mein erstes Konzert mit zu nehmen. Nicht ins Sinfoniekonzert, sondern in ein "richtiges" Rockkonzert. Und so saß ich Ahnungsloser dann unter massenhaft langhaarigen Jugendlichen in einer Kirche irgendwo in Sachsen (wahrscheinlich war es in Seelitz, wo damals der Jugendwart des Kirchenkreises wohnte) und hörte "Solaris". Nie gehört von der Truppe? Hatte ich vorher auch nicht. Doch das ging wahrscheinlich nicht nur mir so. Solaris aus Berlin spielte Blues und Rock und ein paar christliche Lieder zur "Tarnung" der kirchlichen Veranstaltung. An der Gitarre Matthias Gemeinhardt, der mir später noch häufig als Begleiter von Bernd Kleinow begegnen sollte. Doch der Höhepunkt für mich war: das Schlagzeugsolo. So was hatte ich bis dahin nicht gesehen oder gehört. Das völlige Ausrasten eines Musikers und der Zuhörer. Das gab's in der Stadthalle Karl-Marx-Stadt bei den Konzerten der Robert-Schumann-Philharmonie nicht.

Wenig später gehörte ich zu den Jugendlichen unserer Gemeinde, die regelmäßig zu den Mitarbeiterwochenenden für die Jugendarbeit fuhren. Und spätestens dort wurde ich endgültig mit dem Blues infiziert. Immer wenn wir bei unseren monatlichen Treffen Pause machten, griff einer nach der Gitarre, jemand anderes sprang ans Klavier (oder Harmonium, je nachdem, wo wir grad waren), einer holte die Mundharmonika aus der Tasche. Und dann rollten die Boogierhythmen. Die Jugendlichen versammelten sich und sangen Klassiker des Blues oder improvisierten über den Alltag. Unvergessen: ein halbstündiger Blues über die offiziellen Gedenktage des DDR-Kalenders. "Walter Ulbricht: geboren und gestorben". . .

Das war etwas anderes als die damals in den Hitparaden um ein bisschen Frieden jammernde Nicole oder auch der bewusst auf Spaßgesellschaft getrimmte NDW-Sound. Das war handgemachte Musik. Das war Ton gewordene Stimmung zwischen Frust und Freude. Und das war einstmals für DDR-Obere suspekt gewesen. Doch davon war zu meiner Zeit nichts mehr zu merken. Auch wenn Musik von Diestelmann und anderen Bluesern damals eher auf dem Bayrischen Rundfunk als bei den DDR-Sendern zu hören war. In der DDR machte man Computer-Karriere bis zur Rockerrente auf dem Blauen Planeten. Pädagogisch wertvoll und stinklangweilig in meinen Ohren. Als Lizenzplatten kamen damals Pink Floyd raus und AC/DC. Und Tangerine Dream spielten im Palast der Republik. Doch das alles kam an Intensität nicht ran an die Minuten des gemeinsamen Musizierens. Der Blues hatte mich.

Auch wenn es bei mir zum offiziellen Outfit eines Bluesers nie gereicht hat: da war Mutter dagegen: keine Tramperlatschen, kein Parka, kein Hirschbeutel, und schon gar keine langen Haare. Nicht so lange ich noch zu Hause wohnte. So blieb die Mundi, und die nach und nach vom Munde abgesparten Platten und Kassetten: Diestelmanns Dritte, die ich irgendwann mal an einen palästinensischen Kommunisten verborgte und nie wieder bekam. Seine erste, gekauft auf einem Flohmarkt. Und später die ganzen Bluesscheiben, die sich in den A&V von Wickleder verirrten. Darunter war auch fast die gesamte AMIGA-Blues-Collection. Hinzu kamen dann immer wieder Konzerte in Greifswald: Regelmäßig waren Zenit, Engerling und Monokel in der Mensa-Bierstube. Daneben auch das Duo Kleinow/ Gemeinhardt. Und legendär die zwei Bluesnächte in der Mensa, wo Jonathan, Hof Blues neben dem Electric Blues Duo oder dem dänischen Gitarristen Peter Thorup spielten. Leider fand sich dafür nie eine Fortsetzung.