Wo ist der rauhe Garagenblues von „Gloria“ hin, wo der Pop von „Brown Eyed Girl“? Klar: Hier singt van Morrison. Doch der Sound ist ein ganz anderer, die Songs sind voller Sehnsucht, Melancholie und gleichzeitig von einer Eleganz, die manche zum Begriff „Barock Pop“ greifen lassen. Man hört irische Schwermut neben Soul zu eleganten Jazzlinien von den Begleitern. Auch heute noch kann man sich der Faszination von „Astral Weeks“ nicht entziehen. Wo andere Alben der Zeit längst Staub angesetzt haben und nur noch bei Nostalgikern regelmäßig Gehör finden, bleibt dieses Monument frisch wie zur Entstehungszeit. Und keine Liste der besten Alben kommt ohne es aus – auch wenn es damals sich nur schwer verkaufte.

Meilenweit entfernt vom Rock. Die Entstehung von Van Morrisons „Astral Weeks“

Zu Beginn des Jahres 1968 war Van Morrison ziemlich in Bedrängnis. Der Chef seines Labels Bang Records starb plötzlich an einem Herzanfall. Und das Label hinderte ihn mit Vertragsklauseln daran, Musik aufzunehmen. Wahrscheinlich machte Bert Berns Witwe den irischen Sänger mitverantwortlich für den Tod ihres Mannes. Denn zuvor gab es Auseinandersetzungen zwischen ihm und Berns über künstlerische Fragen. Morrison wollte neue musikalische Territorien erkunden. Doch dem Produzenten ging es eher darum, den Singleerfolg, den man mit „Brown Eyed Girl“ hatte, auszubauen.

Nicht nur fand sich Von Morrison jetzt plötzlich außerhalb aller Studios wieder. Auch trauten sich keine Clubs in New York, den Sänger zu buchen, weil sie Angst vor Repressionen durch Bang Records fürchteten. Zusätzlich beantragte Ilene Bangs bei der amerikanischen Einwanderungsbehörde die Abschiebung Van Morrsions. Sie hatte entdeckt, dass ihr Mann die notwendigen Einwanderungspapiere für den Sänger nicht korrekt ausgefüllt hatte. Der Abschiebung entkam er, weil seine damalige Freundin Janet Rigsbee Minto einer Heirat zustimmte. Mit seiner neuen Frau zog er nach Cambridge (Massachusetts), wo er in lokalen Clubs auftreten konnte.

Mit einer kleinen elektrischen Bluesband spielte er zunächst Stücke vom Soloalbum „Blowin‘ Your Mind“ und aus den Zeiten von Them. Doch die Gruppe hielt nur kurz. Morrison behielt nur den Bassisten Tom Kielbania und bildete mit ihm ein akustisches Duo, was ihm die Möglichkeit bot, seinen Sound mehr am Folk zu formen. Bald kam noch der Jazzflötist John Payne hinzu. Und in diesem Trio entwickelten sich erste Entwürfe dessen, was später zu „Astral Weeks“ wurde.

In der Zeit zeigte Warner Interesse daran, Van Morrison unter Vertrag zu nehmen. Das bot ihm endlich wieder die Möglichkeit, ins Studio zu gehen. Eine ganze Reihe Produzenten hatten den neuen Van Morrison inzwischen gehört und waren erschrocken, dass da nicht mehr der Typ zu sehen war, der mit „Brown Eyed Girl“ die Top Ten erreicht hatte sondern ein ganz anderer Musiker, der nur die gleiche Stimme hatte. Doch Lewis Merenstein fühlte instinktiv, dass Stücke wie das mittlerweile fertig gestellte „Astral Weeks“ etwas ganz Besonderes waren und wollte damit weiterarbeiten.

Zwei Bedingungen stellte Bang Records, um den Sänger aus dem Vertrag zu entlassen. So musste er über ein Jahr lang jeden Monat drei Stücke im Verlag von Bert Berns veröffentlichen. Dem entzog er sich, indem er in einer einzigen Session 36 Nonsens-Liedchen aufnahm. Außerdem musste er dem Verlag die Hälfte aller Rechte von Kompositionen einräumen, die im Laufe eines Jahres als Single veröffentlicht wurden. Und zwei Stücke, an dem der Verlag die Rechte hielt, mussten sich auch auf dem neuen Album finden. Und das wurde in drei Sessions im September und Oktober 1968 in New York aufgenommen.

Merenstein heuerte dafür vor allem Jazzmusiker an. Bassist Richard Davis etwa hatte schon mit Eric Dolphy gespielt und fungierte als so etwas wie der Sessionleiter. Auf seinen Wunsch hin wurden Gitarrist Jay Berliner, Schlagzeuger Connie Kay vom Modern Jazz Quartett und Persussionist Warren Smith Jr. engagiert.

Partituren hatte Van Morrison keine vorbereitet – oder zumindest wurden keine an die Musiker verteilt. Berliner erinnert sich, dass Van Morrison ihnen einfach die Lieder auf der Gitarre vorspielte und ihnen dann auftrug, genau das zu spielen, was er fühlte.

Und genau das ist es, was diesen Strom von Klängen und Assoziationen ausmacht: Die Lieder auf „Astral Weeks“ fließen dahin und wecken Assoziationen, erzählen keine wirklichen Geschichten. Jazz trifft auf impressionistische Lyrik, man könnte auch sagen: Das ist eine Verschmelzung von Blues, Jazz und klassischer Musik und meilenweit entfernt vom Rock.