es war ohnehin schon ein lauer abend. die kneipe lau. unsere stimmung lau.<br />    „dann laß uns zu der lyrikerin gehen. die ist ziemlich bekannt. sie liest heute abend. ich glaub zwar nicht, daß das besser wird als hier, aber vielleicht ein bißchen anders. eigentlich wollte ich zu keiner lyriklesung mehr gehen, ich hab’s mir bei der letzenschon geschworen, der lyriker hat mich fertig gemacht, der war so was von eingenommen von seinen zeilen, das spottet jeder beschreibung, immer wieder dasselbe, ich meine diese leute, die lyriker, die sind eine spezies für sich, wie sie sich geben und überzeugt davon sind, etwas ganz einzigartiges zu sein, ist ja auch jeder mensch, aber die stellen in den raum, daß alle anderen auch so sehen und empfinden müssen, sehen sich so unglaublich einzigartig in ihrem schmieden von gefühlsworten, ist ja auch nichts schlechtes, aber warum nur sind sie so krankhaft überzeugt von ihrem tun als wär’s das non plus ultra im vorhandensein, das nervt, da wird mir immer ganz krampfig und schlecht im bauch und es ist für mich kaum aushaltbar, ach, scheiß drauf, laß uns gehen.“<br />    „zahlen.“ sagte daniel.<br />   „ich zahle.“ sagte ich.<br />   „ist das weit?“ fragte er mich.<br />   „fünf minuten. und wenn das wieder nichts ist, sie sich auch so gibt, wie all die anderen lyriker, dann gehen wir nach fünf minuten wieder.“<br />  „und das eintrittsgeld?“ fragte er.<br />   „da kommen wir so rein.“<br />  „ihr wollt schon gehen?“ fragte uns die schwarzhaaraufgetürmte schönheit hinterm tresen.<br />  „sind bestimmt gleich wieder da.“ antwortete ich.<br />     „dann könnt ihr auch nachher zahlen, ich laß euren zettel hier oben liegen.“ deutete sie auf’s brett unterm schnapsregal.<br />     <br />  „nein, ist schon gut, herr sorgenich, gehen sie mal durch.“<br />   „drei euro.“ hörte ich sie zu daniel sagen.<br />   „ich bin student.“ erwiderte daniel.<br />  „haben sie den studentenausweis dabei?“<br />   ich drehte mich um und sagte: „das ist mein bruder.“<br />  „ich denk, sie haben nur eine schwester?“<br />     „meine mutter hatte später noch was mit einem anderen kerl. daher kommt er hier, der stramme bursche, jura macht er, bin stolz auf ihn.“ und dann setzten wir uns auf zwei plätze nahe dem ausgang.<br />   es war wie immer. pathetisch mit brust- und stimmenanschwellen.<br />   zwei frauen waren dennoch während der leicht wechselnden pathetik im monotonen, berechenbaren gleichklangwechsel des daherschlürfenden lyrikvortragens eingeschlafen, ließen ihre köpfe hängen. die ältere von beiden schnarchte leise, neigte immer wieder dazu in einer gefährlichen körperschräglage jeden moment vom stuhl zu kippen, doch ein inneres hin und wieder aufschrecken innerhalb der raumfüllenden konzentrierten stille schreckte sie ab und an hoch und sie rückte sich zurecht um erneut den kopf langsam nach vorne sacken zu lassen, manchmal auch zur seite, und wenn er ihr nach hinten fiel, wachte sie sofort kurz wieder auf.<br />   stille. kein applaudieren zwischen den texten. wenn die lyrikerin neu ansetzte, erschrak man sich regelrecht vor ihrer wieder einsetzenden vortragenden innbrunst. und das, obwohl man damit rechnete, ja wußte, daß sie jeden moment fortfahren würde. und sie fand kein ende. hörte einfach nicht auf. bei jedem text dachte ich: nun ist aber gleich schluß, das muß der letzte sein.<br />  stille. ein neues beginnen und ein erneutes erschrecken.<br />  stille. dann furzte daniel laut. kein lacher aus dem publikum, nur der abgesackte kopf der ständig einnickenden frau kam hoch, schaute sich orientierungssuchend um und sackte gleich wieder ab. dann lachte ich kurz auf. die lyrikerin hielt inne, schaute ernst ins publikum, und daniel rutschte unruhig auf seinem stuhl hin und her. war es ihm peinlich? ein nächster lyrischer vortrag setzte ein.<br />    ich stand gebückt auf, klopfte daniel auf die schulter, auch er erhob sich gebückt, furzte in seinem gebückten vorwärtskommen nocheinmal und folgte mir.<br />  der kassiererinnentisch am eingang war abgebaut.<br />  <br />  „hat ja doch ein bißchen länger gedauert als euer angekündigtes gleich. gleich nochmal dasselbe?“ begrüßte uns die schwarzhaaraufgetürmte.<br />    ich schaute auf ihre lackierten fingernägel, dann auf ihren gelacken mund, nickte und sagte: „gieß ein.“<br />  weiter hinten saß ein tisch voller mädels, sie lachten und alberten rum und daniel nahm sein bier vom tresen und ging zu ihnen.

UNTERM SAFT GEHT’S WEITER / 35