Udo Lindenbergs Panik-Orchester in der Musikhalle Hamburg, 1974  (Copyright Heinrich Klaffs)Es gab damals in der Klasse Anfang der 80er Jahre nur einen Musiker, auf den sich alle einigen konnten: Für ein Konzert mit Udo Lindenberg war man bereit, so ziemlich alles zu tun. Man lachte über seinen "Flirt" mit Erich. Und man war enttäuscht, als die Tournee doch nichts wurde.

Klar, "Wozu sind Kriege da" ist eigentlich eine fast unerträgliche Schnulze. Doch in der Zeit der Friedensbewegung konnte man selbst in der DDR dieses Lied gut finden. Es war besser und gefühlvoller als die von Partei und FDJ geförderten Friedenslieder der DDR-Bands. Und außerdem wußte jeder, dass Udo einfach machte, wass ihm wichtig schien. Da konnten auch keine Gedanken an die möglichen Reaktionen der Obrigkeit etwas ändern. Da fuhr der "Sonderzug nach Pankow" – lange trauten es sich die DJs in der Schule nicht, die Nummer bei den Schuldiskos zu spielen. Und eine Nummer wie "In 15 Minuten (sind die Russen auf dem Kurfürstendamm)" fanden die Lehrer noch unerträglicher. Weil sie eben nicht auf den anarchistischen Humor des Stückes hören wollten und sich an der Schlagzeile aufgeilten. Schon allein die Bürger der Sowjetunion als Russen zu bezeichnen war ein unverzeihlicher Fehler. Nur nach und nach lernte man damals den ganzen Udo kennen im Osten. Ein Lied etwa über das "Mädchen aus Ostberlin" war völlig tabu. Und doch ebenso prägend wie "Wir sind Rocker" oder die Hymne auf die Cellospielerin für die Gedanken einer Schülergeneration.

Irgendwann kam dann die Ernüchterung. Die Platten wurden belangloser. Die Anpassung an den Zeitgeist gelang Udo in meinen Ohren oft immer weniger. Und außerdem – ich wollte irgendwann erwachsen sein. Und da passt die Fixierung auf die Zeit der frühpubertären Musikhelden nicht mehr. Udo war nicht John Lee Hooker. Und er war auch nicht Bruce Springsteen. Und schon gar nicht Keith Emerson oder Jaco Pastorius. Wer Udo oder gar Herbert Grönemeier hörte, der war in meinen Augen noch nicht erwachsen. Und hatte keinen wirklichen Musikgeschmack. Woch ich doch stolz drauf war, die ersten Demos der Skeptiker zu hören, das zweite Album von Renft und alles von Ton, Steine Scherben.

Irgendwann aber kam dann "Hermine" – schon kurz nachdem das Album im Westen erschienen war, tauchte es im Wohnheim in Greifswald auf. Das war plötzlich ein ganz anderer Udo, so dachte ich. Kein pubertärer Rock, sondern eine Mixtur aus alten Songs der 30er Jahre, elektronischen Klängen und avantgardistischen Soundcollagen von H.P. Ströer. Allees zusammengepuzzelt in eine fiktive Biografie der Mutter. Musik für den Kopf beim ersten Hören. Kalt, konstruiert, abweisend und so traurig wie kaum eine andere Scheibe. Die brüchige Stimme von Marlene, die trostlosen Texte etwa von Kästner. Aber letztlich doch eine echte Partyplatte. Bis weit nach der Wende gab es keine Party, bei der wir nicht "Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da" spielten oder "Ich mache alles mit den Beinen". Udo war plötzlich wieder cool und passte mit seinem so zeitlosen Album in die verrückte Wendezeit. Da kam auch "Bunte Republik Deutschland" pünktlich zum Mauerfall nicht ran. Denn da war Udo wieder eher der schnoddrige Rocker, der wahlweise politisch oder peinlich wirkte.

Und während alle irgendwann zu den nun stattfindenden Konzerten pilgerten, pflegte ich wieder meine Nostalgie: Hermine – das Kunstwerk gegen die peinliche Klavierlehrerin. Daran änderte auch später Atlantic Affairs nicht, das mir zu sehr nach Kunsthandwerk und Fernsehballett klang. Erst "Stark wie 2" war wieder mal ein Album zum Hören und gutfinden. Besonders, weil man selbst nicht mehr damit gerechnet hatte, vom Hutträger mal wieder ein persönliches und unpeinliches Album zu hören. Das hätte mir auch damals schon gefallen in der achten Klasse. Insofern ist endlich wieder "Alles klar auf der Andrea Doria" – auch wenn ich "Hinterm Horizont" mittlerweile ebensowenig ertragen kann wie die ganzen anderen danach entstandenen Schnulzballaden. Denn sowas passt nicht wirklich zu nem Rocker. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. So cool wie Udo werd ich wohl nie.