lochunruhe

UNTERM SAFT GEHT’S WEITER / 18

nachts drang das sich gegenseitig ansteckende gekläffe und geheule der wachhunde bis runter in die arrestzelle. hin und wieder schrie ein im arrest weggeschlossener in einer der anderen zellen. ließ das schreien nach längerer zeit nicht nach, hörte ich, wie schließer den gang der kellerräume betraten, gegen die zellentüren schlugen und brüllten: „schnauze da drin! halt endlich dein maul, oder du kriegst nachschlag!“ half auch das nicht, hörte ich, wie der häftling rausgeschlossen wurde, schläge klatschten über den kellergang, gewimmer setzte ein…

dieser freizeitarrest machte mich mürbe. es gab zwar dieselbe verpflegungsmenge, die auch die anderen häftlinge bekamen, denn man wurde zur schichtarbeit mit rausgeschlossen, marschierte mit ihnen zur werkhalle ans montageband, kam aber nach der arbeit nicht gleich wieder zurück ins loch, sondern erst nach dem täglichen gruppenexerzierprogramm, wenn die anderen jugendlichen schon wieder gemütlich im schlafsaal hockten und das rumliegende organ der FREIEN DEUTSCHEN JUGEND, die zeitung ‚JUNGE WELT’ durchblätterten.
wriezen, eine jugendstrafanstalt, ein umerziehungslager.
die zelle war kalt und stank modrig. für die notdurft wurde zu bestimmten zeiten ein kübel reingereicht. das bett war ein blankes holzbrett und man hatte nachts nur eine decke. am wochenende döste ich die meiste zeit in einer ecke hockend vor mich hin, denn tagsüber war das brett an einer kette hochgeschlossen. einen hocker gab es nicht. schon am sonntag hatte ich schmerzen in den kniegelenken. am montag beim marsch zur arbeit konnte ich vom wochenendkauern kaum schritt halten.
am schier endlos langen wochenende in der arrestzelle kamen mir die blödsinnigsten gedanken. dass ich nie wieder rauskommen würde, mein ganzes leben in verwahranstalten verbringen müsste. alles erschien mir ausweglos. eine tiefe sinnlosigkeit machte sich in mir breit. sinnlos, irgendwann entlassen zu werden, weil ich spürte, dass mich selbst draußen nur wieder trostlosigkeit erwarten würde. alles würde mich wieder einholen, all die aufinstruierten, ausgangslosen sackgassen eines nicht selbstbestimmbaren lebens. dennoch wollte ich so schnell wie möglich raus. doch wohin? ich spürte jetzt schon die schlitterpartie, die mich geradewegs in eine nächste haft gleiten ließ.
„ich werd mir nichts mehr zu schulden kommen lassen. ich schaff das! irgendwie!“, brabbelte ich vor mich hin. „und was ist, wenn die mich hier im loch vergessen? mich vergessen wollen? mich einfach verfaulen lassen?“
ich durfte auf keinen fall verrückt werden. konnte man einfach so verrückt werden, oder wurde man als verrückter geboren? mir fiel die irre frau aus demmin wieder ein. wenn ich als junge zu meinem großvater ging, stand sie breitbeinig auf halber strecke und versperrte mir den weg. sie stand mit grässlichem gesicht mitten auf der straße, ließ unkontrolliert ihre dicke zunge heraushängen, verdrehte ihre widerlich hervorstehenden kuhaugen und schüttelte, tiefe brummende laute ausstoßend, ihren kopf wie ein bär.
ich hockte, wippte mit dem oberkörper in immer gleicher werden abständen, summte vor mich hin, schaukelte mit meinem kopf, hatte angst, verrückt zu werden. aber verrückt wird ein mensch doch geboren! ich wusste das! ich bekam angst vor mir selbst, hörte jemanden schreien, immer und immer wieder, dann das klatschen des gummiknüppels und ein wimmerndes, flehentliches jammern.