CoverEs ist auffällig, dass sich viele der Neuveröffentlichungen des diesjährigen Bücherherbstes mit der DDR-Vergangenheit auseinandersetzen. So scheint es, dass die Jury für den Deutschen Buchpreis in diesem Jahr, dieser Tendenz Rechnung trug, indem sie den Schriftsteller Eugen Ruge für sein Romandebüt „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ auszeichneten.

Ruge ist Sohn des im Osten nicht unbekannten Historikers Wolfgang Ruge, der 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus Deutschland in die Sowjetunion flüchtete, dort während des Krieges in ein Zwangs- und später Umerziehungslager interniert wurde, 1956 in die DDR übersiedeln konnte und dort sich einen Namen mit historischen Publikationen mit dem Schwerpunkt Weimarer Republik machte, wofür er mehrfach ausgezeichnet wurde.

Sein Sohn – Jahrgang 1954 – ist zwangsläufig Teil der turbulenten Vita seines Vaters. In der Sowjetunion geboren, kam er in den späten 50ern mit seinen Eltern in die DDR, wo er später an der Humboldt-Universität Berlin erfolgreich Mathematik studierte. Seit 1986 ist er als Drehbuchautor, Dokumentarfilmer und Schriftsteller tätig. Kurz vor dem Ende des DDR-Regimes ging er 1988 in die BRD und setzte dort seine künstlerischen Arbeiten in Rundfunk, Film und Theater fort.

In seinen Arbeiten setzt er sich dezidiert mit der DDR-Vergangenheit, dem Sozialismus im allgemeinen und dessen Wirkung auf Menschen auseinander. So auch in seinem nun ausgezeichneten Roman, der eine Familien-Saga von 4 Generationen über fünfzig Jahre ist, mit sicherlich vielen autobiographischen Zügen; Ruge konnte hierbei aus einem großen Fundus an Briefen, Tagebüchern und anderen Texten, den Hinterlassenschaften seines Vaters, schöpfen.

In einem Spiegelinterview äußerte er sich dazu wie folgt: „Die einzelnen Geschichten in meinem Roman sind hundertprozentig erfunden, aber ich habe sie aus biografischem Material geformt.“
Der Sozialismus in seiner realen politischen Dimension bildet den Leitfaden, an dem sich der Plot entlangzieht, auch an den verschieden vorgeführten Orten der Handlung: Mexiko, Russland und Ostdeutschland sind die Schauplätze der vorliegenden Erzählung. Wie schon der Titel suggeriert wird das für Menschen erfahrbare Scheitern der sozialistischen Utopie und teleologischen Geschichtskonzepten überhaupt verhandelt.

Es stellt aber keine eiskalte Abrechnung mit den Ideologien und ihren Anhängern dar, denn Ruge verrät nicht seine Figuren, lässt sie zwar auf komische Art auftreten, welche stets Humor bleibt und nicht in Spott umschlägt. Deutsche Geschichte in eine Familien-Saga zu verpacken mag zwar nicht unkonventionell sein, jedoch scheint es mit den oben genannten Tendenzen in der Gegenwartsliteratur und jener Auszeichnung ein Bedürfnis der literarischen Verarbeitung von jüngster Geschichte zu geben, worauf Ruges Debüt ein Reflex ist.

In dem bereits erwähnten Interview erläutert Ruge diese Komposition so: „Ich habe erst nach der Wende angefangen, mich mit dem Thema Familie zu beschäftigen. Und je mehr sich mein Leben in Vergangenheit verwandelte, habe ich den Stoff literarisch gesehen. Mir wurde nach und nach bewusst, dass im Verschwundenen, in der teils absurden Geschichte meiner Familie und der einzelnen Figuren auch Schönheit ist. Schön war die DDR für mich nie, ich habe sie als klein und eng und grau empfunden. Schönheit kann aber auch in der Beschreibung liegen, selbst des Bizarren.“

Mit dem Deutschen Buchpreis zeichnet die Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung jährlich zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse den besten Roman in deutscher Sprache aus. Dabei werden aus knapp 200 gesichteten deutschsprachigen Titeln von einer siebenköpfigen Jury in einem mehrstufigen Verfahren sechs Werke vornominiert, aus denen der schlussendliche Gewinner hervorgeht, der ein Preisgeld von 25.000 Euro erhält. Die verbliebenen fünf Vornominierten bekommen jeweils 2.500 Euro. In der Begründung der Jury zu dem diesjährigen Gewinner Ruge hieß es: „Eugen Ruge spiegelt ostdeutsche Geschichte in einem Familienroman. Es gelingt ihm, die Erfahrungen von vier Generationen über fünfzig Jahre hinweg in einer dramaturgisch raffinierten Komposition zu bändigen. Sein Buch erzählt von der Utopie des Sozialismus, dem Preis, den sie dem Einzelnen abverlangt, und ihrem allmählichen Verlöschen. Zugleich zeichnet sich sein Roman durch große Unterhaltsamkeit und einen starken Sinn für Komik aus.“

  • Verlag: Rowohlt; Auflage: 7 (1. September 2011)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3498057863
  • ISBN-13: 978-3498057862