Am 20. Jahrestag der Deutschen Einheit kommt selbst der Rolling Stone nicht vorbei. So bringt er im aktuellen Heft 192 (Oktober 2010) einen Sampler mit deutscher Elektronik als „Rare Trax“. Und dann eine der allfälligen Listen: Die 50 besten deutschen Alben. Und spätestens da ist Schluss mit der Einheit. Zu einem ähnlich ostdeutsch-freien Ergebnis kommt auch das Forum des Rolling Stone.

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Was passieren würde, wenn mal wieder die deutschen Platten von Kritikern und Musikern durchforstet werden, was abzusehen: Monarchie und Alltag ist und bleibt nun mal eines der besten Alben der deutschen Geschichte. Und auch die Platzierungen von Kraftwerk, Neu! und Can oder Ton Steine Scherben sind eigentlich immer schon vorprogrammiert. Hier hat sich im Bewußtsein der letzten Jahren kaum was getan. Dieser Kanon hat sich verfestigt. Und das wirklich zu Recht.

Doch wenn mich etwas an der jetzt veröffentlichten Liste wirklich ärgert, ist die völlige Vernachlässigung der ostdeutschen Beiträge zur Popgeschichte. Lediglich Nina Hagens erste Westplatte taucht auf der Liste auf. Sonst: nichts von City, Silly, Renft, Pankow… von Kerschowski, Engerling oder vielleicht gar Gerhard Schöne ganz zu schweigen. Existieren diese Bands einfach nicht im Bewußtsein der westlich sozialisierten Musiker und Schreiber?

Statt dessen ist die Liste mal wieder eine Sammlung sämtlicher verkopfter Scheiben der von der Journaille so hochgeschätzten Hamburger Schule: So ziemlich jede Äußerung von Blumfeld taucht auf. Ebenso ein Großteil der Veröffentlichungen von Tocotronic. Nichts gegen diese Bands – doch deren Bedeutung ist niemals so groß gewesen, dass sie häufiger vorkommen als etwa ähm Grönemeyer. Und ein Liedermacher wie Herr von Knyphausen ist niemals wichtiger gewesen als die nicht gelisteten Konstantin Wecker, Hannes Wader oder Gerhard Schöne.

Löblich dass der Redaktion das eindeutig westliche Ergebnis der Liste durchaus auch peinlich ist. 67 Jurymitglieder hatten ihre Listen eingereicht – und zahlreiche angefragte hatten ihre Teilnahme gar abgesagt, weil ihnen das wahrscheinlich zu nationalistisch vorkam. Allerdings kann man den Rolling Stone vom Ergebnis ebenso wenig freisprechen wie einen großen Teil der deutschen Musikpresse. Musik der DDR taucht – und leider gibt’s dafür ja genügend gruselige Gründe – so gut wie nie auf. Höchstens mal als Randnotiz, wenn mal wieder über das Filmprojekt von Tom Hanks über Dean Read geredet wird.

Ich will jetzt nicht behaupten, die ostdeutsche Rock- & Popmusik wäre durchweg gut gewesen. Und schon gar nicht will ich wie ein Jammerlappen fordern, dass endlich die Puhdys oder Silly im RS vorkommen sollen – an dem Tag, wo die Puhdys da gefeiert werden, wäre das Blatt für mich gestorben. Aber dass gerade in der Ebene unterhalb der Spitzenbands Platten entstanden sind, die wesentlich präziser und lyrischer deutsche Befindlichkeiten auf den Punkt bringen konnten, als dreiviertel der Hamburger Schule, das sollte man doch langsam mal mitbekommen haben.

Doch wahrscheinlich stehe ich da mit meiner Haltung wirklich ziemlich einsam da. Heftige Debatten werden im sowieso streitfreudigen Forum des Magazins geführt. Und bislang 123 User haben dort ihre Top-10-Listen der besten deutschen Alben veröffentlicht. Und das Ergebnis ist nur in Nuancen von der Meinung der „professionellen“ Jury zu unterscheiden. So sind erstmals auch Deutschrocker wie BAP wirklich vertreten. Und die User des Forums sind zum großen Teil Fans von Element of Crime. Dafür sind weniger Platten von Blumfeld, Can oder Kraftwerk vertreten. Und die einstürzenden Neubauten fehlen gleich ganz. Ebenso wie auch die ostdeutsche Musik. :

1. Element Of Crime – Weißes Papier 265
2. Fehlfarben – Monarchie und Alltag 252
3. Can – Tago Mago 151
4. Ton Steine Scherben – Keine Macht Für Niemand 145
5. Neu! – s/t 130

6. Ideal – s/t 126
7. Element Of Crime – Damals hinterm Mond 119
8. Kraftwerk – Trans Europa Express 108
9. Element Of Crime – Mittelpunkt der Welt 104
10. Kraftwerk – Die Mensch-Maschine 90

11. Trio – Trio 88
12. BAP – Zwesche Salzjebäck un Bier 82
13. Tocotronic – s/t 77
14. Blumfeld – L’etat et moi 75
15. BAP – Vun drinne noh drusse 70
16. Blumfeld – Old Nobody 70
17. The Notwist – Neon Golden 63
18. Nina Hagen Band – Nina Hagen Band 61
19. Peter Brötzmann – Machine Gun 59
20. Propaganda – A Secret Wish 56

21. Can – Ege Bamyasi 50
22. Element Of Crime – Romantik 47
23. Flowerpornoes – Red‘ nicht von Straßen, nicht von Zügen 43
24. Tocotronic – Digital Ist Besser 42
25. Tocotronic – K.O.O.K. 41
26. Neu – Neu 75 40
27. Can – Future Days 40
28. Erdmöbel – Altes Gasthaus Love 39
29. Udo Lindenberg – Ball Pompös 39
30. Blumfeld – Ich-Maschine 39

31. Nico – Desertshore 38
32. Herbert Grönemeyer – 4630 Bochum 38
33. Interzone – s/t 37
34. Can – Monster Movie 37
35. Rio Reiser – Rio I 36
36. Peter Brötzmann – Nipples 36
37. Tocotronic – Kapitulation 35
38. BAP – Für Usszeschnigge 32
39. Kraftwerk – Autobahn 31
40. Grobschnitt – Solar music – live 31

41. Flowerpornoes – Ich & Ich 30
42. Die Toten Hosen – Opium fürs Volk 29
43. Alexander von Schlippenbach – Pakistani Pomade 29
44. Die Sterne – Posen 28
45. Ton Steine Scherben – Warum geht es mir so dreckig? 28
46. Herbert Grönemeyer – Mensch 26
47. Gas – Zauberberg 26
48. DAF – Alles Ist Gut 26
49. Westernhagen – Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz 26
50. Hildegard Knef – Knef 25
50. Wir sind Helden – Die Reklamation 25
50. Gas – Pop 25
50. Kraftwerk – Computerwelt 25
50. Element Of Crime – Die Schönen Rosen 25