„Haben Sie etwas gegen Tiere?“ Der Typ, Kurzhaarschnitt, militärische Tarnjacke mit Hertha-Aufnäher auf dem Rücken, Basecap und Malerhose hatte seine Katzenbox schon neben mir auf die Bank gestellt. Leicht angetrunken wetterte er los gegen die Fahrkartenverkäufer, die ihn der Katze wegen – wahrscheinlicher aber wegen seiner Bierfahne – angemotzt hätten. Er greift in die Jackentasche und zieht Katzensnacks heraus. Liebevoll reicht er Leckerlis in die Box, in der ein großer Kater sitzt. „Er wiegt über neun Kilo“, erzählt er voller Stolz und besteht drauf, dass ich die Box anhebe. Vermutlich sei sein Vater irgendwie mit Wildkatzen verwandt, meint er. Immer wieder, nur unterbrochen von neuerlichen Schlucken aus der Bierflasche, erzählt er davon, dass der Kater sein ein und alles sei. Sein Ein und Alles! Und: „Zu Hause darf er alles.“ Aber eigentlich macht der Kater davon wenig Gebrauch. Nein: Weder Tapeten noch irgendetwas anderes würde er in seinem Haus in Zehlendorf kaputt machen. Nur das Ledersofa misshandelt er regelmäßig mit seinen Krallen. Dagegen hätte auch der Kauf von Kratzbäumen nichts geholfen. So ist eben alle zwei Jahre ein neues Sofa fällig. Das ist der Preis der Tierliebe, den er gern zu zahlen bereit ist. Jetzt ist er mit Thor, wie der Kater heißt, unterwegs nach Eberswalde. Dort solle er erstmals seinen Sohn Wotan kennenlernen.

Thor sitzt in seiner Box, ein Halsband mit Thors Hammer um den Hals. Auch im Zug will der Kater nicht seine Box verlassen,  obwohl Herrchen ihn dazu ermutigt. Misstrauisch blickt er durch das Gitter auf die Mitreisenden. Der Typ redet weiter ohne Unterlass über Tierliebe und dass er jeden umbringen würde, der seinem Kater etwas täte. Irgendwann greift er in seine Taschen und zieht bündelweise Geldscheine – fast nur 50er heraus – und steckt sie in die Box. „Thor passt drauf auf – und wenn er mag, dann kann er die Scheine ruhig anfressen.“  Schätzungsweise 1000 bis 1500 Euro sind schließlich in der Box. Und Thors Gesicht macht deutlich, dass er seinen Wächterjob ernst nimmt. Appetit auf Papier hat er im Moment nicht.
Schließlich kommen wir auf die Arbeit zu sprechen. Journalisten mag er scheinbar. Besonderer Fan ist er vom Nachrichtensender n-tv. Als er erfährt, dass ich zeitweise auch für die taz schreibe, tut er nur kurz sein Mißfallen kund. „Das ist ja ne linke Zeitung, ich bin eher rechts eingestellt.“ Doch das hält ihn nicht davon ab, von der Arbeit bei der Telekom zu erzählen und über die Technik, mit der die NSA auch in deutschen Telefonnetzen nach Schlüsselbegriffen Gespräche blind mitschneiden würde. 500 Aufnahmegeräte stehen seiner Meinung nach allein im Telekomgebäude am Berliner Reuterplatz. Davon dürfe er zwar eigentlich nichts sagen, aber er mache es trotzdem und warnt vor allzu verfänglichen Gesprächen am Telefon. Illegale Absprachen sollte man statt dessen lieber von Telefonzellen aus erledigen. Und niemals länger als vier Minuten sprechen. Was von den Aussagen echt ist und was Phantasie, ist völlig unklar. Durch den Bierfluss wird der Redefluss immer hemmungsloser.
Vom dreijährigen Knastaufenthalt wegen Autoschieberei erzählt er ebenso wie von den Mengen Geld, die er durch Erbschaften zur Verfügung hat. Und dann macht er plötzlich das Angebot, Kontakte in die rechte Szene zu vermitteln, damit ich ein Buch schreiben könne. Selbst Kontakte zu den verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“ könne er vermitteln. In seinem Handy hat er jede Menge Anwälte gespeichert. Einen von ihnen, einen Greifswalder, kenne ich noch aus Zeiten bei der dortigen Studentenzeitung „Crash“. Der soll mal für ihn eine Gefängnisstrafe wegen Autodiebstahls auf ein Jahr auf Bewährung herabgehandelt haben.
Schließlich allerdings wird Thors Herrchen misstrauisch. Seit Berlin hat er schon einige Flaschen Bier gelehrt und ist jetzt wirklich betrunken. Er verdächtigt mich, an sein Geld in der Katzenbox gegangen zu sein, als er heimlich und verbotenerweise auf der Toilette geraucht hat. Und plötzlich ist es ihm unbequem, dass er mit einem Schreiberling so offen geredet hat. Vor allem auch über Nazis. Bin ich seiner Informationen überhaupt würdig? Und so forscht er nach, wie gut meine Kenntnisse der Geschichte der Deutschen Wehrmacht sind. Dass ich den Ritterkreuzträger Werner Mölders nicht kenne  – einer seiner direkten Vorfahren seiner Aussage nach – gibt gleich mal fette Minuspunkte. Mir wird es ungemütlich im mittlerweile recht leeren Regionalzug. Doch zum Glück kann ich die Lage dadurch entspannen, dass ich wenigstens etwas über Rommels Taktik im Wüstenkrieg weiß. Manchmal sind Computerspiele und Fernsehsendungen doch zu etwas gut.  Endlich erreicht der Zug Eberswalde. Dass ich die Begegnung von Thor mit Wotan nicht mitbekomme, ist mir gleichgültig. Wenn dessen Herrchen ähnlich drauf ist, bin ich nicht scharf auf das Elebnis.,