Wer von Charlie Winston eine Wiederholung von "Hobo" erwartet hat, könnte von seinem neuen Album "Running Still" enttäuscht sein. Wer aber die Zeit investiert, die Songs des Albums aufmerksam zu entdecken, wird eine Menge Freude daran haben.
Was tut man nach dem Hit, den alle gut fanden und noch immer finden? "Like a Hobo" ist eines dieser seltenen Lieder, die man eigentlich auf jeder Party und zu jedem Zeitpunkt auflegen kann. Und sofort sieht man die fröhlichen Gesichter derer, die das Stück wiedererkennen. Und man kann das Erstaunen und die fragenden Blicke derer, an denen diese Hymne über das Unterwegssein bislang vorbeiging. In der Liste der großartigsten Songs des beginnenden 21. Jahrhunderts kommt "Hobo" bei mir ganz weit in die vorderen Plätze.
Aber ich wusste ehrlich nicht, was ich von Charlie Winston danach noch erwarten sollte. Zu groß der Schatten des Hits – selbst die anderen guten Songs des Albums wurden davon ja überstrahlt. Und dann jetzt nach einiger Pause "Running Still". Da ist sie wieder, diese melancholische Stimme, die lyrischen Songs, die eingängigen Melodien. Doch dann rockt die Scheibe plötzlich los, gibt es elektronische Verfremdungen und Zitate gar aus der klassischen Musik. Damit hatte ich nicht gerechnet. Und wahrscheinlich auch die wenigsten derer, die Hobo einfach mögen. Man könnte schnell sagen: Charlie Winston bleibt einer der riesigen Gruppe der One-Hit-Wonders.
Aber wer so urteilt, hat sich nicht die Zeit genommen, die Songs von ihm wirklich zu hören. Hier bricht einer ganz bewußt die glatte Oberfläche auf, macht sich sperriger, um nicht für immer in die Schubladen verbannt zu werden. Und er zitiert aus dem ganzen weiten Feld der Musikgeschichte zwischen Bethoven, Jaques Brel und Nick Cave. "The Great Conversation" etwa entpuppt sich als Winstons Blick auf die "Mondscheinsonate". Und bei "Wild Ones" macht er einen auf Bluesrocker während "Until You're Satisfied" eher nach dem Funk der 80er Jahre klingt. Hinzu kommen noch Piano-Balladen ohne den Geruch toter Blondinen und ein dermaßen aufgedrehter Rocksong ("Rocking The Suburbs"), dass man jegliche Schubladen voller Freude zuknallt.
"Runnig Still" ist somit ein mehr als vielseitiges Vergnügen für Freunde intelligenter Songs. Und es ist wahrscheinlich das beste Album, um nach "Like a Hobo" weiter als Musiker zu arbeiten.