Er war der erste wichtige Bluesmusiker aus dem Mississippi-Delta. Und Charlie Patton definierte gleichsam das Leben eines Bluesman: Er soff, rauchte, hatte wahrscheinlich acht Frauen (mindestens sechs mal war er verheiratet) und war mindestens einmal im Gefängnis. Und er sang über all das und noch mehr und spielte dazu seine Slide-Gitarre.
Die Anfänge des Blues verlieren sich oft im Mythos. Es fehlen die schriftlichen Quellen. Und die einzigen Angaben, die zu einigen Musikern vorhanden sind, sind ihre Plattenaufnahmen und die Erzählungen ihrer Kollegen. Charlie Patton zählt zu diesen Vertretern. Und dabei ist er von einer Wichtigkeit für die ganze Geschichte des Blues, die mit kaum jemandem anders verglichen werden kann. Jeder von Son House und Robert Johnson bis hin zu [[Muddy Waters]], John Lee Hooker oder [[Elmore James]] ist von seiner Art den Blues zu singen und auf der Gitarre zu begleiten, beeinflusst. Eine ähnliche Bedeutung in der Geschichte des frühen Blues hat höchstens noch [[Blind Lemon Jefferson]]. Heute wird seine Art, den Blues zu spielen selbst in "Blues für Dummies" erklärt. Doch da seine zahlreichen Plattenaufnahmen damals oft mit mehr als mittelmäßigem Equipment gemacht wurden, klingen sie trotz digitaler Politur derartig schlimm, dass man schon sehr viel Liebe braucht, um sie zu genießen. Und so sind es seit den 50er Jahren und bis in die Gegenwart eher die Lieder von Robert Johnson, die den jungen Blues-Schülern als Vorbild gelten. Dabei war der seinerzeit Patton hinterher gereist, um sich möglichst viel von dem Veteranen abzuschauen.
Geboren wurde Patton wahrscheinlich im April 1891 in der Nähe von Bolton, Mississippi. Seine große Familie (er hatte elf Geschwister, von denen ein Großteil schon in der Kindheit starb) war typisch amerikanisch – eine Mischung aus Weißen, Indianern und Afroamerikanern. Irgendwann zwischen 1901 und 1904 zog die Familie auf die [[Dockery Plantation]], einer mehr als 60 Quadratkilometer großen Baumwollplantage, die damals mehr als 100 Familien beschäftigte. Die eigene Dorfgemeinschaft für die Beschäftigten wurde in der Folge zu einer der Geburtsstätten des Delta Blues. Neben Charlie Patton wohnten dort damals die Familien Chatmon, die als Solisten oder als Mississippi Sheiks berühmt wurden. Und auch Son House, Willie Brown und andere waren zeitweise dort anzutreffen.
Die relativ guten Verdienstverhältnisse auf der Plantage führten dazu, dass Charlie von seinem Vater eine für die damalige Zeit gute Schulbildung ermöglicht wurde. Immerhin konnte er bis zur neunten Klasse die Schule besuchen. Hinzu kam eine strenge religiöse Erziehung. Patton besuchte die Sonntagsschule und hielt selbst auch manchmal Predigten. Seit er sieben Jahre alt war, spielte er die Gitarre. Doch die Liebe zur Musik führte zum Konflikt mit seinem frommen Vater – Tanzmusik war für den Baptisten eine teuflische Angelegenheit, gegen die man notfalls auch mit der Bullenpeitsche vorgehen konnte. Letztlich war es aber der Vater, der ihm 1905 seine erste Gitarre schenkte. Und in Henry Sloan, dem ersten namentlich bekannten Bluesmusiker, fand er auf der Dockery Plantation auch endlich einen echten Lehrer. Außer mit Sloan spielte er später auch öfters mit den Chatmons zusammen. Das Repertoire umfasste so ziemlich jede Form von Tanzmusik von Square Dance über Ragtime bis hin zu Walzern.
Ab 1907 war Patton wohl überwiegend als Musiker aktiv. Und nach den Überlieferungen soll er damals schon seinen Stil gefunden haben, mit dem er später in den Plattenstudios auftrat. Auch Lieder wie sein Erkennungsstück "Pony Blues" gehen wohl schon auf diese Frühzeit seiner Karriere zurück. Woran sich die jüngeren Bluesmen später immer erinnerten, war die Show Pattons: Er spielte die Gitarre hinter dem Hals, zwischen den Beinen, auf dem Boden liegend… Son House schilderte ihn daher als einen ziemlich miesen Clown – doch letztlich war Patton einer der ersten Bluesmen, die im Delta namentlich bekannt waren und bei Auftritten Zuschauer aus der ganzen Region anzogen.
Um 1912 hielt er sich viel in der Kleinstadt Drew auf, wo er auf zahlreiche weitere Musiker traf, die später bekannt werden sollten (Howlin’ Wolf, Willie Brown, Tommy Johnson, Roebuck Staples). Der Biograph John Fahey vermutet hier den Beginn seines Einflusses auf den sich konstituierenden Delta Blues. 1916 bot ihm W.C. Handy den Eintritt in seine Band an, was er aber ausschlug, da er keine Noten lesen konnte. Im Laufe der 20er Jahre wurde er im Süden der USA ein weithin bekannter und beliebter Solomusiker, der – im Unterschied zu seinen wandernden Kollegen – bereits für Auftritte gebucht und bezahlt wurde. Patton spielte in Juke Joints, an Straßenecken oder vor Geschäften, auf House parties und bei Picknicks, die weiße Farmer gelegentlich für ihre schwarzen Angestellten veranstalteten.
1929 kam es zu den ersten Plattenaufnahmen Pattons. Sämtliche 14 bei der ersten Session für Paramount aufgenommenen Stücke erschienen in den folgenden Monaten auf Platte. Manche erschienen als Werbegag unter dem Pseudonym "The masced Marvel". Und schon Ende des Jahres wurde Patton erneut in die Studios gebeten. Bei dieser Session wurde er von Henry Sims an der Geige begleitet. Trotz der beginnenden Weltwirtschaftskrise, die für eine ganze Zeit zum Stopp der Produktion von Bluesplatten führte, konnte Patton 1930 nochmals ins Studio gehen. Neben ein paar eigenen Songs vermittelte er Paramount dabei auch seinen Gitarristen Willie Brown und Son House. Erst 1934 konnte Patton (gemeinsam mit seiner damaligen Frau Lee) nochmals Stücke aufnehmen. Diese letzte Session (kurz vor seinem Tod) fand in New York statt. Doch Patton war zu der Zeit schon schwer krank, was man den Liedern auch anhört: Die Stimme war (nachdem ein eifersüchtiger Zuhörer versucht hatte, Patton die Kehle durchzuschneiden) brüchig und längst nicht mehr so stark wie in den früheren Jahren. Und die seit Jahren verschleppte Herzkrankheit schlug sich auch in einem wesentlich kraftloseren Gitarrenspiel nieder. Nicht lang nach der Session starb Charlie Patton am 28. April 1934 in Indianola (Mississippi).
Hinterlassen hat er rund 50 Lieder (teils in verschiedenen Takes erhalten). Und er hat bei vielen Sessions befreundeter Musiker mitgewirkt. Neben religiösen Themen sang Patton (in größtenteils recht unzusammenhängend empfundenen Texten voller Sprachspielen) über aktuelle Themen wie die Überschwemmungen des Mississippi, über den Schädling Boll Weavil und natürlich auch über das dauernde Unterwegssein des Bluesman und seine Probleme mit den Frauen.
Ein paar Anmerkungen zu den verwendeten Quellen in meiner Biografie:
Wie immer ziehe ich einen großen Teil der Fakten aus Robert Santelli's "Big Book of Blues" und ergänze diese mit Angaben aus den verschiedensten Internet-Quellen. Bei Patton tritt hier einer der seltenen Fälle auf, wo die deutsche Wikipedia den ausführlicheren und besser dokumentierten Artikel liefert. Außerdem war wie immer das Bluesbuch von Bill Wyman eine äußerst anregende Lektüre. Und in Giles Oakley's "Blues.Die schwarze Musik" finden sich eine Menge Erinnerungen von Zeitgenossen an Patton. Leider stehen mir die verschiedenen bislang veröffentlichten Biografien über Patton ebensowenig zur Verfügung wie das umfangreiche Begleitmaterial zu der 2001 erschienenen Gesamtausgabe der Musik Pattons.