Es war wahrscheinlich der Ragtime, in der das Piano erstmals in der farbigen Musik auftauchte. Dabei ist der Ragtime eigentlich kein reines Klavier-Phänomen. Die Ursprünge für diese spezielle rhythmische Spielweise liegt vielmehr in den farbigen Brass-Bands, die nach dem Bürgerkrieg die europäischen Melodien mit ihrer synkopierten Spielweise veränderten. Wenn die Musiker in New Orleans die Melodie durch neue Noten und rhythmische Akzente spontan veränderten, dann nannten sie das „Raggin“ (zerfetzen). Und das inspirierte die Bar-Pianisten in St. Louis zu einer ganz eigenen Form des Klavierspiels.

Grob gesagt: die Betonung liegt in der europäischen Musik meist auf den „starken“ Taktschlägen 1 und 3. In den „farbigen“ Bands verschiebt sich das auf die Zählzeiten 2 und 4.
Diese Spielweise versuchten Pianisten auf ihr Instrument zu übernehmen. Und das Klavier bot sich gerade dazu an, nicht nur ein sondern gleich mehrere als Rhythmusinstrumente eingesetzten Banjos zu imitieren. Inspiration für die Pianisten waren dabei alle möglichen Tänze, von Walzern und Polkas bis hin zu einheimischen Cakewalks genannten Schreittänzen. Damit war der Ragtime die Popmusik der letzten 20 Jahre des 19. Jahrhundert.

Zentrum war besonders St. Louis mit seinen zahlreichen Spielhöllen und Bordellen. Den Ruhm von St. Louis begründete Thomas Million Turpin, einer der frühesten farbigen Ragtime-Komponisten und einer der gefeierten Interpreten. Doch es ist der 1868 geborene Scott Joplin, den man bis heute mit dieser Musik indentifiziert. Seite Stücke, etwa „The Entertainer“ oder der „Maple Leaf Rag“ sind noch heute beliebte Nummern.

Klavierunterricht erhielt er kostenlos von einem deutschen Klavierlehrer, nachdem die Familie extra wegen ihm ein Piano gekauft hatte. 1882 zog er nach Missouri, wo er den erfolgreichen Musikalienhändler John Stark kennenlernte. Der hatte Joplin in einem Club gehört und wurde darauf hin sein Musikverleger. Auch wenn sich Kompositionen (wir befinden uns noch vor dem Zeitalter der Schallplatte und des Rundfunks) wie der 1899 veröffentlichte Maple Leaf Rag zunächst nur zögernd verkauften, entwickelten sie sich doch zu echten Dauerbrennern und sorgten dafür, dass jede Menge anderer Komponisten auf die Welle aufsprangen.

Joplin starb 1917 an Syphilis. Ein Jahr zuvor hatte er noch einige seiner Kompositionen auf Pianorollen aufgenommen. Doch sie sind nicht wirklich eindrücklich – zu sehr war er zu diesem Zeitpunkt schon von der Krankheit behindert. Dabei sind die Zeitgenossen durchaus nicht einig gewesen, wie gut Joplin als Pianist wirklich war. So berichtet der Sohn seines Verlegers, dass er seine Kompositionen mehr auf dem Papier als an den Tasten verwirklichte. Und die Pianisten von St. Louis sollen sich regelmäßig einen Spaß draus gemacht haben, ihn an die Wand zu spielen.

Seinen bislang letzten wirklich großen Hitparadenerfolg konnte Joplin 1973 verzeichnen. Damals verwendete George Roy Hill seinen „Entertainer“ als Titelmelodie des mit etlichen Oscars gefeierten Films „Der Clou“. Viele Hörer hatten Joplin zu dem Zeitpunkt noch nie gehört und hielten den selbst mehrfach Oscar-gekrönten Komponisten Marvin Hamlish für den Schöpfer des Ohrwurms.