Als am 26. Mai 1926 der erste Song von Blind Lemon Jefferson aufgenommen wurde, sollte das die Bluesgeschichte entscheidend verändern. Booster Blues mit Dry Southern Blues auf der Rückseite wurde sofort zu einem regionalen Hit. Und das obwohl sich Blind Lemon Jefferson (ca. 1893 – 1929) nur allein mit seiner Gitarre begleitete. Blueshits waren bislang eher von den großen Sängerinnen der klassischen Blues Ära veröffentlicht worden, oft auch von kompletten Jazzbands begleitet. Hier erschien der raue Country Blues in seiner texanischen Spielart erstmals in den Charts.

Vor Blind Lemon Jefferson wurden nur wenige Blues mit Gitarrenbegleitung auf Platte gepresst. Einer der ersten dürfte der von Sängerin Sara Martin mit dem Gitarristen Sylvester Weaver aufgenommene “Longing For Daddy Blues” sein, der am 24. Oktober 1923 entstand. Und der erste, der seinen Gesang auf Platte selbst mit Gitarre begleitetete, war Lee Morse mit seinem „Mail Man Blues“ im Jahre 1924.

Doch was Jefferson von denen unterscheidet: Er spielt im Studio den Blues so, wie er ihn an den Straßenecken, in den Kneipen oder wo auch immer sonst spielte. Und er wurde sowohl als Gitarrist als auch als Sänger ein regelrechter Star: Bis zu seinem Tode nahm er rund 100 Stücke vor allem für die Plattenfirma Paramount auf. Darunter Songs, die heute zum klassischen Repertoire jedes Bluesneulings gehören: „Match Box Blues“, „Black Snake Moan“ oder „See That My Grave Is Kept Clean“ wurden bis heute zahllose Male gecovert

Geboren wurde Blind Lemon Jefferson wahrscheinlich im Jahre 1893 als jüngstes von sieben oder acht Kindern von Alex und Clarissa Jefferson im ländlichen Texas. Vermutlich war er schon seit Geburt blind. Die Eltern lebten vor allem im Freestone County im östlichen Texas, wo Jefferson schon in seinen Teenagerjahren begann, als Gitarrist etwas Geld zu verdienen. Als Straßenmusikant spielte er vor Friseurläden oder an Straßenecken. Das Publikum, das ihn für Parties engagierte, waren ziemlich raue Typen, Schwarzbrenner und Zuhälter etwa. Doch Jefferson spielte nächtelang ohne Pausen für sie.

Ab 1910 begann er, regelmäßig nach Dallas zu reisen. Und dort traf er auf Lead Belly, den großartigen Songster und Gitarristen, mit dem er ab jetzt regelmäßig gemeinsam auftrat. Und als er seinen Wohnsitz komplett nach Dallas verlegt hatte, bekam er auch einen gelehrigen Schüler, dem er die Grundlagen seiner Bluesgitarre beibrachte: Aaron Thibeaux Walker, der später als T-Bone Walker zu weltweitem Ruhm gelangte, führte ihn ab 1917 eine ganze Weile zu seinen Auftritten und erhielt dafür Unterricht von Jefferson. Auch Sam „Lightnin‘“ Hopkins (damals noch ein Kind), führte den Musiker zeitweise. Der verdiente ab 1920 mit seinen Auftritten genug, um auch eine Familie unterhalten zu können. Das zumindest behaupten Zeitgenossen und Biografen. In den Archiven hat man dafür bislang noch keine Belege finden können. Aber das spricht nicht wirklich gegen die Heirat, sondern mehr dafür, dass die Behörden damals nicht wirklich Interesse an farbigen Musikern zeigten.

Jeffersons Karriere lief zeitgleich ab mit dem steigenden Interesse der Plattenfirmen an Aufnahmen mit farbigen Musikern, die sie speziell für den farbigen Markt produzierten. Seit 1923 etwa hatte Paramount mit ihrer Race Series gehörigen Erfolg mit Classic Blues (von Frauen gesungen) oder Vaudeville-Nummern erreicht. 1925 schloss das Label einen Vertriebsvertrag mit dem aus Dallas stammenden Plattenhändler R.T. Ashford. Und der machte den Vorschlag, auch lokale Künstler ins Programm aufzunehmen. Erster Künstler der neuen Politik war Blind Lemon Jefferson, den man Ende 1925/Anfang 1926 erstmals nach Chicago zu Aufnahmen ins Studio holte.

Nach den ersten Hits entstanden insgesamt rund 100 Aufnahmen, von denen allerdings längst nicht alle veröffentlicht wurden. enn Jefferson Gospel sang, dann erschienen sie auf dem Markt unter dem Pseudonym Deacon L.J. Bates, um beim frommen Käuferkreis nicht anzuecken. Denn denen war der Blues natürlich suspekt.

Man kann Blind Lemon Jefferson getrost als ersten Star des Country Blues bezeichnen. Er vierdiente durch die Plattenverkäufe so viel, dass er sich zeitweise sogar einen Wagen mit Chauffeur leisten konnte. Wobei der 700 $ teure Ford wohl eher als Ausgleich für Anteile an den Veröffentlichungsrechten gesehen werden muss, die die Plattenfirma ihm vorenthielt. Eine solche Praxis war noch lange üblich in Zusammenarbeit mit farbigen Künstlern. Nicht umsonst etwa wurde ein Film über Chess Records als „Cadillac Records“ in die Kinos gebracht.

Eigentlich waren die Bluessongs, die Jefferson spielte, zur Zeit ihrer Plattenveröffentlichung schon fast Oldies. Er hatte sie im Laufe seines Lebens unzählige Male vor Publikum gespielt. Und die Art und Weise, wie er sie spielte, klang in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre fast schon altmodisch. Das machte es für Paramount aber einfacher, ihn zu vermarkten. Seine Musik berührte die Menschen grad in den ländlichen Regionen. Sie waren die Käufer solcher Musik, nicht die etwas Bessergestellten in den Städten, die sich eher dem Jazz und dem beginnenden Swing zuneigten.

Jefferson lässt sich von keinen musikalischen Konventionen einengen: Er variiert ständig seine Riffs, seine Texte sind oft komplex und äußerst expressiv – eigentlich nicht die Art eines scheinbar simplen Bluesman aus den texanischen Provinzen. Nein: seine Musik ist zeitweise ebenso komplex und durchdacht wie zehn Jahre später die Songs von Robert Johnson.

Jeffersons Erfolg brachte den Karrierebeginn für viele andere Bluesmen: Blind Blake etwa mit seiner unvergleichlichen Gitarre wurde bei Paramount ebenso bekannt wie Sängerin Ma Rainey, die vorher für die Plattenfirmen wegen ihrer rauen Art nicht so recht in den klassischen Blues zu passen schien. Letztlich stiegen dann auch anderere Firmen auf den Trend auf, und produzierten regionale Künstler und Künstlerinnen. Jetzt wurden auch Musiker wie Furry Lewis, Charlie Patton oder Barbecue Bob ins Studio geholt, die ähnlich wie Jefferson für den rauen und ländlichen Country Blues standen.

Am 19. Dezember 1929 starb Jefferson um zehn Uhr vormittags in Chicago. Sein Totenschein führt als Ursache „möglicher akuter Herzinfarkt“ an. Doch in der Bluesszene kursierten jahrzehntelang verschiedene Gerüchte. Da wurde der eifersüchtige Ehemann angeführt, der seinen Kaffee vergiftet haben soll. Wahrscheinlicher aber hat er sich während eines Schneesturms in der Stadt verirrt und starb orientierungslos an einem Herzinfarkt. Andere Theorien behaupten, er sei mitten in der Nacht von einem Hund angegriffen worden und am nächsten Tag an den Folgen der Attacke verstorben. Oder aber es wird behauptet, Blind Lemon Jefferson sei bei einem Raubüberfall umgebracht worden, bei dem ihm eine große Tantiemenzahlung entwendet worden sei.

Paramount Records zahlte den Rücktransport des Toten nach Texas. Begraben wurde er auf dem Wortham Black Cemetery. Und niemand machte sich die Mühe, sich den genauen Ort auf dem weitläufigen Gelände zu merken. „See That My Grave Is Kept Clean“ hatte Jefferson in einem seiner letzten Songs gebeten. Darum kümmerte sich also niemand. Erst 1967 wurde in der ungefähren Gegend seines Grabes ein Marker gesetzt. 1997 waren der Friedhof als Ganzes und der Marker im Speziellen fast zerfallen. Damals erst setzte man ihm einen Grabstein aus Granit. Und 2007 wurde der Friedhof umbenannt in Blind Lemon Jefferson Memorial Cemetery. Und ein spezielles Komitee sorgt dafür, dass sein Grab jetzt endlich sauber gehalten wird.