Britannica_Flute_Gandhara_Party_with_Flute_PlayerWas passiert im Gehirn, wenn wir Musik machen? Und welchen Einfluss hat die Musik auf die menschliche Evolution? Das waren einige der Fragen, auf die der Hannoveraner Mediziner und Flötist Eckart Altenmüller am 3. März in seinem Vortrag "Vom Neanderthal in den Konzertsaal" in der Reihe "Klangreden" des Greifswalder Alfried Krupp Wissenschaftskollegs einging.

Was war eher in der Entwicklung des Menschen: die Musik oder die Sprache? Einige Wissenschaftler sind mittlerweile der Meinung, dass die Musik sogar ein Vorläufer der artikulierten Sprache gewesen sein könnte. Doch die Antwort auf diese Frage wird sich endgültig wohl kaum finden lassen. Doch das Nachdenken über den Einfluss der Musik auf die Evolution und die Entwicklung des Gehirns ist nichtsdestotrotz spannend.

"Vom Neanderthal in den Konzertsaal. Zur Evolutikon und Neurobiologie des Musizierens" hatte der Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin,  Eckart Altenmüller, seinen Vortrag genannt, den er am 3. März in der Vortragsreihe "Klangrede – Musik als Sprache" am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald hielt. Es war ein Nebeneinander aus Musikhistorie und Hirnforschung, das der Mediziner und Konzertflötist bot, von der Geschichte der Flöte seit etwa 18.000 vor Christus (Altenmüller spielte eine Replik der in Österreich gefundenen Grabgrubenflöte, den Nachbau einer Barockflöte von 1770 und eine "moderne" Böhm-Flöte) bis hin zur Koordinationskrankheit der Fokalen Dystonie, die erstmals bei Musikern wie Robert Schumann um 1830 beschrieben wurde.

Spannend wurde es besonders immer dann, wenn  Altenmüller Beispiele aus der Hirnforschung an Musikern vorstellte. So wurde nachgewiesen, dass Dudelsackspieler und Flötisten am schnellsten und genauesten ihre Finger koordinieren können. Das liegt daran, dass diese Blasintrumente am schnellsten die Töne erklingen lassen und letztlich das Ohr die Bewegungen der Musiker steuert. Auch lassen sich in Gehirnen von Musikern dichtere Vernetzungen etwa in den für die Bewegungssteuerung zuständigen Arealen nachweisen.

Allerdings – und das wurde erst so richtig im Laufe der anschließenden Diskussion deutlich – wurden alle Versuche lediglich mit männlichen Probanden und klassisch ausgebildeten Musikern durchgeführt. Frauen, so meinte Altenmüller lakonisch, würden die Ergebnisse jeder Versuchsreihe zerstören, da ihre Hirne nicht so eindeutige Reaktionen zeigten. Und bei Jazz- oder Rockmusikern, die stärker auf improvisierte Musik konzentriert sind, sind andere Ergebnisse zu erwarten.

Musikalisch zeigte Altenmüller eine schöne Entwicklung der Flötensolomusik vom Barock bis zur Gegenwart.  So interpretierte er Ausschnitte aus einer Fantasie für Flöte allein von Telemann mit ihrer äußerst virtuosen Vorspiegelung einer Zwistimmigkeit. An Hand einer Etüde von Theobald Böhm (1794-1871) demonstrierte er die Fortentwicklung der Flöte hin zu einem chromatisch spielbaren Instrument – und zeigte damit gleichzeitig, wie in der Romantik immer stärker virtuose Kunstfertigkeit vorausgesetzt wurde, die an den Interpreten immer höhere Anpassungsleistungen im Bewegungsablauf und im Hirn voraussetzten. Für die moderne Musik spielte er eine Sequenza von Luciano Berio – hier hat sich der rhythmische Puls der Musik zu Gunsten eines Zeitfensters aufgelöst. Diese modulare Musik stellt wiederum noch höhere Anforderungen an den Interpreten.

Die Übersteigung des Virtuosentums dürfte neben einer genetischen Veranlagung die Ursache dafür sein, dass einige hochqualifizierte Musiker die angelernte Koordinationsfähigkeit letztlich verlieren. Vor allem die Kombination von Perfektionismus und mangelnder Angstbereitschaft dürfte dieses Symptom verstärken. Erstmals beschrieben wurde die Fokale Dystonie um 1830 bei Robert Schumann, der plötzlich nicht mehr in der Lage war, seinen rechten Mittelfinger korrekt zu steuern. Es sei notwendig, dass Interpreten und Hörer die Musik wieder (wie ursprünglich gemeint) als Austausch von Emotionen begriffen statt als toten Perfektionismus, betonte Altenmüller, der an seinem Institut Fälle auch junger Musiker mit diesem Symptom behandelt.