25 Künstler, 2 Tage Konzerte und Sessions: Das achte Concert for Chris Jones war wieder ein Treffen der Songwriterszene zwischen Kalifornien und Europa. Hier Teil drei unseres Festivalberichts. Wer es schafft, zwei Tage von 19 Uhr bis in den frühen Morgen Musik zu hören, der ist entweder ein beinharter Fan oder er hat eine eisenharte Konstitution. Ich jedenfalls musste mich am 9. November irgendwann von Musik übervoll ins Hotel verabschieden. So verpasste ich nicht nur den Auftritt von Wullie Wullschlaeger, Sonia Tonn und Juergen Hoffmann sondern auch die erste Session der angereisten Musiker. Und selbst für den ersten Auftritt am Samstag von Goetz Bornemann fehlte mir noch die Kondition.

Mathew James White

Liedermacher – oder sollte man weniger diskriminierend den Begriff „Songwriter“ nutzen? – führen heutzutage ein schweres Leben. Denn die Folkclubs der 60er sind heute eher kleine Kneipen oder Cafés. Und sich dort mit seinen Songs und bewaffnet nur mit Gitarre gegen den Lärm der Besucher durchzusetzen, ist nicht einfach. Doch im Laufe des Lebens lernt man entweder, sich durchzusetzen oder man wird doch „was Vernünftiges“, wie einem die Eltern sicherlich immer schon geraten haben. Der aus Neuseeland stammende Mathew James White hat schon an den verschiedensten Orten seine Lieder gespielt. Heute lebt er (nach Zwischenstationen in Australien und London) in Berlin, ist aber eigentlich ständig auf Tour.

Und wenn er die Bühne betritt, dann merkt man sofort seine jahrelange Erfahrung als Songschreiber und Performer: Seine Lieder sind von einer Eingängigkeit, die einen spontan Gespräche abbrechen lässt. Man glaubt zu hören, dass White etliche Jahre als Begleiter einer Country-singenden Cousine durch Australien zog. Und auch seine Zeit als Mitglied einer Funkband. Aber hier ist alles reduziert auf die klassische Version: Ein Mann, seine Gitarre, seine Lieder. Und die trägt White sie mit jeder Menge Charme vor, der auch noch den letzten Störer zumindest leise mitsummen lässt. Eine wirkliche Entdeckung!

 

Christoph Schellhorn

Er kommt aus einem kleinen Nest in Tirol, wo es bei 2500 Einwohnern nur 5 Nachnamen gibt. Doch wenn Christoph Schellhorn anfängt, seine akustische Gitarre zu spielen, dann ist von Provinzialität nichts zu spüren, dann hört man einen Musiker, der eine Menge von Chris Jones gelernt haben könnte. Nicht nur sein virtuoses Fingerpicking erinnert daran. Auch wie unaufgeregt und witzig er seine Musik präsentiert, hat etwas von der Magie, die Live-Aufnahmen von Jones auszeichnen.

Lieder wie das wundervoll bösartige „Wannabe“ (über die ganzen Instant-Superstars der Casting-Shows) machen eines von Anfang an klar: Schellhorn ist ein Songwriter, der mit offenen Augen und Ohren durch die Weltgeschichte fährt und nicht nur die eigenen Befindlichkeiten zum Thema erhebt. Und das macht ebensoviel Spaß, wie die Einbeziehung von alpenländischer Folklore. Und dann hat er sogar die Besucher in Wolfenbüttel zum Jodeln überredet…

Julian Dawson

„Ich habe ausdrücklich in meinem Vertrag stehen, dass vor meinem Auftritt nicht gejodelt werden darf“, meinte Julian Dawson zu Beginn seines Auftrittes. Denn nach so einer zünftigen Gaudi ist es natürlich schwer, mit ruhigeren Songs wieder die Aufmerksamkeit zu erlangen. Doch als er dann vor der Bühne stehend zunächst ohne Gitarre zu singen begann, war sofort klar: Hier ist einer der besten Songwriter der letzten Jahrzehnte zu hören. Und außerdem ein Entertainer, dem es nicht darauf ankommt, nun immer nur die eigenen Songs zu spielen. Nein: Dawson hat ganz gezielt für sein Konzert Songs ausgewählt, die irgendwie in Beziehung gesetzt werden können zu Chris Jones und seiner Musik. Ob er nun ein Lied singt über die „Große Kapelle im Himmel“, zu der Jones neben Miles Davis oder Jimi Hendrix gehören dürfte oder „No Expectations“ von den Stones. Das Lied hatte er damals sowohl  Jones  gespielt. Und natürlich gehört es auch zu den Songs, bei denen der Pianist Nicky Hopkins mitwirkte. Auch er war ein Freund Dawsons. Und als Dawson in den letzten Jahren seine Biografie über Hopkins öffentlich vorstellte, da hatte er genau  solche Songs dazu ausgewählt. Und schließlich kam dann sogar noch ein Lied aus dem Repertoire von der von mir geliebten Nancy Sinatra. Und ich war restlos begeistert.

Ein Festival wie das in Wolfenbüttel mit einer Menge verschiedener Künstler kann nur funktionieren, wenn die Organisatoren einen strengen Zeitplan durchziehen. Also bleibt für jeden Musiker nur eine halbe Stunde, bis das rote Warnlicht aufleuchtet. Bei einem so wundervollen Auftritt wie dem von Julian Dawson konnte man das nur bedauern. Hier hätte ich stundenlang lauschen können ohne Ermüdungserscheinungen. Bei Songwritern wie ihm vergesse ich meine lange gehegten Vorurteile über Liedermacher. Weil sie einfach nicht stimmen. Aber danach hatte ich erst mal eine Pause nötig und verpasste die nächsten Auftritte fast komplett. Da standen nicht nur weitere Lieder mit Darin D’Onofrio und der Lacy Younger Band an. Auch die Lokalmatadoren von „It’s Me“ mit ihrer Mixtur aus Gospel, Country und Rock oder das Konzert von Tom Ripphahn entgingen mir auf diese Weise.

Session

Es ist inzwischen nach Mitternacht. Der Zeitplan kam natürlich durcheinander. Aber schließlich stehen Musiker und Besucher mit Kerzen und Sekt in der Hand, um auf den Geburtstag von Chris Jones am 11. November anzustoßen. Und dann begann das, worauf sich die Organisatoren des Festivals immer am meisten freuen: Sänmtliche Musiker gemeinsam bei der Session auf der Bühne. Da erklingen dann Songs wie „I Shall Be Released“, „Purple Rain“ von Prince oder gar Lieder von U2 – auf irgendwas muss man sich da schließlich einigen. Doch die so entstehenden Versionen sind meilenweit davon entfernt von den Originalen: Wenn Slavko Hilvert seine Harp auspackt, dann wird selbst aus „I Still Heaven’t Found What I’m Looking For“ ein Blues – was dem Lied eindeutig gut tut. Den Musikern ist es zu dieser Zeit eigentlich schon völlig egal, wie viele Zuhörer noch im Raum sind. Instrumente werden ausgetauscht, neue Kombinationen getestet und Hits aus dem Gedächtnis hervorgekramt. Da lassen Akustikgitarristen wie Liam Blaney oder Filip Hilvert an den E-Gitarren die Sau raus, irgendwann wird Darin D’Onofrio hinter die Drums geschickt. Und Jon Jones greift schon mal zum Bass: Diese Abschlusssession gingt weiter bis in den frühen Morgen. Und am Sonntagmittag sassen einge Organisatoren und Besucher noch immer zusammen und konnten sich nicht von der Kommisse trennen. Oder besser gesagt: Sie hatten keine Lust, dass dieses Festival schon zu Ende sein sollte. Und nur die Zugfahrpläne konnten sie überzeugen.

Und genau das ist es, was das „Concert for Chris Jones“ in Wolfenbüttel so einzigartig macht: Die Organisatoren lieben die Musik (nicht nur die von Chris Jones) und arbeiten ehrenamtlich das ganze Jahr dran, hier eine besondere Veranstaltung vorzubereiten. Und die Musiker (die samt und sonders ohne Gage auftreten und nur ihr Fahrgeld und die Übernachtungen erstattet bekommen) freuen sich darauf, in familiärer Atmosphäre zu spielen und sich unter einander auszutauschen und gemeinsam zu musizieren. Das dürfte es in dieser Form wohl kaum noch ein zweites Mal geben. Jedenfalls nicht soweit ich das weiß. Kompliment an den Verein bluenote in Wolfenbüttel!