Bis zuletzt hatte er immer wieder seine Lieblingsmusik aufgelegt in Clubs: Günter Discher galt als Deutschlands ältester DJ. Und er konnte als Zeitzeuge auch Jugendliche nicht nur über die Verfolgung der „Swing Kids“ im Nationalsozialismus informieren, sondern sie auch für diese Musik begeistern. Am 9. September ist er im Alter von 87 Jahren verstorben.
Der Ort: Ein Jugendclub in einem Neubaugebiet von Wolgast. Am DJ-Pult sitzt ein älterer Herr und legt Swingklassiker zwischen Glenn Miller, Count Basie und Teddy Stauffer auf. Im Saal sitzen hauptsächlich Jugendliche und wissen zunächst nicht viel mit dieser Musik anzufangen. Zu viert waren wir extra mit einem Mietwagen von Greifswald aus losgefahren. Anzug und Krawatte waren für mich Pflicht. Und als meine Bekannte fragte, was sie denn anziehen solle, war meine Bemerkung: „Das kleine Schwarze dürfte angebracht sein,“ nur ein wenig spaßig gemeint. Schließlich gehört ein gewisser Stil zu einer Swingparty ebenso dazu wie die Lust, sich völlig der teilweise wilden Musik hinzugeben. Auch wenn mein Freund sich damals nur mit Krücken fortbewegen konnte, übernahmen wir schnell die Tanzfläche und sorgten für erstaunte Gesichter beim Publikum und für ein weises Lächeln beim DJ. Günter Discher war damals nach Wolgast gekommen als Zeitzeuge für eine Ausstellung über Jugend-KZs im Nationalsozialismus. Doch er wollte nicht einfach nur daherreden sondern machte das, wofür er damals schon ins KZ Mohringen eingeliefert worden war: Er spielte Swing aus seiner umfangreichen Sammlung.
Erst in den letzten Jahrzehnten waren die „Swing Kids“ in der Geschichtsdebatte als Teil des Widerstandes gegen die Diktatur wirklich ernst genommen worden. Klar: Die musikverliebten und auf extravagantes Äußeres beachten Jugendlichen passen so gar nicht in das Bild einer heldenhaften Widerstandsbewegung. Aber dadurch, dass sie sich konsequent der gleichmacherischen Politik entgegenstellten, dass sie die Uniformen und die Rituale zwischen Hitlerjugend und BDM verweigerten und noch dazu die „entartete“ Swingmusik hörten, waren sie ein Dorn im Fleische der gesunden „Volksgemeinschaft“ der Nazis. Und gegen den ging man brutal vor wie auch gegen andere, die nicht mitspielen wollten in Hitlers Gesellschaftsexperiment.
Der Swingmusik blieb Günter Discher auch später hin immer verbunden. Auch wenn irgendwann Rock & Roll, Beat und Rock kamen. Als Experte kam er damit so gar noch bis nach Hollywood. Denn dort wirkte er als Berater für den Film „Swing Kids“ mit. Auch wenn das ein eher typischer Hollywood-Schinken wurde: Musikalisch und vom Tanz her ist der Film einfach großartig. Und neben Streifen wie „Die Maske“ mit Jim Carrey oder „Rendevouz zu dritt“ hatte er einen entscheidenden Einfluss darauf, das Swingrevival der 90er Jahre einem breiten Publikum bekannt zu machen. Nicht nur neue Bands wie die Squirrel Nut Zippers, Big Bad Voodoo Daddy oder die Royal Crown Revue waren bei Jugendlichen plötzlich angesagt. Auch die alten Nummern von Miller, Basie oder auch Nat Gonella lockten sie auf die Tanzfläche in den Staaten. Allerdings bis Wolgast kam dieses Revival dann doch leider nicht.
Discher hatte irgendwann als manischer Plattensammler eines der größten Archive zur Swingmusik zusammengestellt. Rund 25.000 Schellacks und Schallplatten und mehr als 10.000 CDs zählte er vor wenigen Jahren. Und für das Plattenlabel Ceraton hat er daraus eine eigene CD-Edition zusammengestellt, bei der er das Werk einzelner Künstler ebenso vorstellte wie thematische Sampler. Allerding konzentrierte er sich hier nicht nur auf Swing. Auch den jazzigen Schlager der Vorkriegszeit konnte man hier wiederentdecken. Auch in Wolgast hatte er bei den Jugendlichen den größten Eindruck mit Liedern wie „Das Herz eines Boxers“ von Max Schmehling oder ähnlichen Kamellen gemacht. Nicht wirklich Swing. Aber auf jeden Fall viel zu lustig und tanzbar für alte und neue Nazis. Und darauf kam es ihm immer an.