Eigentlich heißt Sugar Brown Ken Kawashima und ist Professor für asiatische Geschichte. „Poor Lazarus“ ist das zweite Album des kanadischen Gitarristen und Songwriters. Und es gehört mit Leichtigkeit zu den besten Bluesalben des Jahres 2015.
 

Album des Monats Oktober 2015 in der Wasser-Prawda

Live im Studio und nur mit wenigen Overdubs, so muss seiner Meinung nach der Blues aufgenommen werden. Wenn Sugar Brown mit der von Franie Lee Sims stammenden Nummer „Walkin‘ With Frankie“ loslegt, versteht man sofort, was er damit meint: Blues muss Ecken und Kanten haben, man muss die Energie der Musiker spüren, ihre spontanen Einfälle wahrnehmen können. So entstehen Songs, bei denen selbst zufällige Hörer sofort die Ohren spitzen. Denn hier ereignet sich Musik, die heutzutage selten geworden ist. Beim Opener hört man Brown mit seiner Gitarre, zweulen eine Rhythmusgitarre und vor allem das Saxophon von Joolyah Narveson und das reduzierte Drumkit von Mart Maky. Manche Leute wollten auch nach dem dritten Hören nicht glauben, dass diese Aufnahme nicht aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts stammt.
Wo der Opener als wilder Rhythm & Blues daherkommt, sind andere Stücke wüster Rockabilly (Tom Waits‘ „Get Behind The Mule“) oder Blues im Stile des nördlichen Mississippi oder haben gar einen Schuss Country & Western drin. Mit „Tokyo Nagaremono“ findet sich noch ein komplett bluesfreier Titel, der Titelsong des japanischen Films „Tokyo Drifter“.

Angesichts der gerade in letzter Zeit bekannt gewordenen Fälle von Polizeigewalt gegen farbige Menschen in den USA ist es ein passender Zufall, dass Brown gerade dann auf „Poor Lazarus“ gestoßen ist. Diese Nummer über den Polizistenmord an einem Unschuldigen wurde zwar schon von Dylan und vielen anderen interpretiert. Doch bei Brown erhält die Nummer mit einem hypnotischen Gitarrenriff, treibenden Rhythmen und dem wütenden Gesang fast das Feelings eines frühen Songs der Doors. Wobei es eben niemals nach Hippieseeligkeit sondern ganz nach ehrlicher und angebrachter Wut klingt. Unwahrscheinlich packend und großartig!

Sugar Brown interpretiert hier aber nicht nur fremdes Material, er ist mittlerweile auch ein äußerst begnadeter Songwriter, dessen Stücke problemlos neben Klassikern wie dem aus den Sammlungen der Familie Lomax stammenden Titelsong bestehen können. „Train Sixty-Four“ etwa könnte auch als Stück des ganz jungen Muddy Waters durchgehen. Und erst beim Hörern auf die Nonsense-Lyrics wird klar, dass The Mad Gardeners Song Part 1 eben keine Johnny Otis-Version einer Bo Diddley-Nummer ist, sondern Browns eigener Versuch, ein Gedicht von Lewis Carroll in Blues zu verwandeln. Beim Teil 2 des Gedichts bekommt die Bluesrock-Basis dann noch ein wenig asiatisches Flair dazu. Bei „Not Your Backdoor Man“ schreibt er den Gegensatz zum Klassiker von Willie Dixon.

Und dann ist da noch „Blue Light Hooker“, ein einfach nur fantastisch zu nennendes Instrumental: Ein langsamer Chicagoblues mit ganz einfacher Gitarrenlinie, ein wenig Vibraphon und Schlagzeug und dazu die mächtig sich emporschwingende chromatische Harp von Bharath Rajakumar – das ist schlichtweg atemberaubend!

„Poor Lazarus“ ist ein seiner Direktheit und musikalischen Lebendigkeit eines der besten Alben der letzten Monate. Für jeden wirklichen Bluesfan gehört es spätestens auf den Wunschzettel für Weihnachten. Und dann findet sich hoffentlich auch ein Label, dass es in Europa vertreibt. Denn bislang kann man das Album hier lediglich als Download kaufen.