Im Anfang war Soulmusik vor allem eine auf Singles veröffentlichte Musik. Erst später wurde auch hier das Album als eine eigenständige Form – und nicht nur als Zweitverwertung der Hits – angesehen. Otis Blue ist zwar Reddings drittes Album, aber das erste, das von vornherein als LP geplant war. Wobei natürlich auch hier der Hit zuerst kam. Mit „I‘ve Been Loving You Too Long“ war der erste Top Ten Erfolg von Otis Redding. Dieser Song schaffte es immerhin bis auf Platz 2 der Charts. Bis auf den schon veröffentlichten Hit wurden alle Titel innerhalb von 24 Stunden amd 9. und 10 Juli 1965 in den Studios von Stax aufgenommen.
 

Die Begleitband waren Booker T & MG‘s (verstärkt durch Isaac Hayes am Piano, der gleichzeitig Produzent war und natürlich die Memphis Horns.)

Musikalisch bietet die LP ein Panorama, das die stimmlichen Fähigkeiten von Redding von sanften Balladen bis zum rockenden Soul komplett abdecken konnte. So sind drei Stücke der Platte von Reddings großem Vorbild Sam Cooke, der im Jahr zuvor verstorben war. Und Otis zeigt bei „Shake“ oder „A Change Is Gonna Come“, dass er längst vom Nachahmer zu einem großen Interpreten geworden war. Auch „Satisfaction“ der Stones sang er derartig furios, dass in manchen Kreisen der Verdacht aufkam, die Stones hätten das Stück von ihm geklaut. Anders herum passierte es mit einem der anderen Titel der Platte: „Respect“ verbindet heute jeder sofort und ohne Nachdenken mit Aretha Franklin, obwohl es von Redding geschrieben und zuerst aufgenommen worden war.

Wobei es weniger um die einzelen Songs geht: „Otis Blue“ ist trotz der verschiedenen Songquellen eine komplette Einheit. Otis Redding präsentiert sich als ein Geschichtenerzähler des Soul, nimmt den Hörer mit auf seine Reise zwischen Liebe, Protest und Hoffnung. Und er ist gleichermaßen überzeugend als zärtlicher Balladensänger wie als Prediger, als Partysänger wie als Kämpfer für Respekt. Eine so komplette und durchweg großartige Sammlung von Soulnummern findet man selten in der Musikgeschichte. Und so ist es kein Wunder, dass bei jeder neuen Runde von Journalistenumfragen Otis Blue wieder irgendwo in den Top 100 auftauchen wird.

Im Laufe der Jahre wurde dieser Klassiker immer wieder neu veröffentlicht. Zum 50ährigen Geburtstag gab es eine Fassung auf zwei CDs mit einmal der Monofassung und einmal der Stereoversion. Beide Platten wurden durch Live-Tracks des Albums und alternative Mixe ergänzt.
Hier kann man gut nachvollziehen, wie der Anspruch, eine moderne Stereoplatte anzubieten mit den technischen Möglichkeiten der damaligen Zeit kollidierten: Ist das Monoalbum geschlossen und druckvoll, erscheinen die Musiker im Stereosound künstlich auf die Boxen verteilt und allein Otis als Sänger hält den Laden wirklich zusammen.

Und noch etwas kann man hier beobachten: Mit seiner notmalen Begleitband gerieten seine Live-Shows rauh, erdig und fast überbordend vor Energie. Der Sound der Band ist of weit von der Perfektion entfernt. Aber die Show ist noch immer ansteckend. Ebenso ansteckend wie im übrigen die auf CD 2 veröffentlichten Ausschnitte aus „Live In Europe“. Doch bei der Europatour wurde er von der Stax-Band begleitet. Und die brachte auf der Bühne fast die gleiche Präzision und Schärfe wie die Musiker von James Brown damals rüber. Und so entsteht ein ganz anderes Konzerterlebnis.