Als der Swing nach Deutschland kam, wurde die Musik zum Lebensgefühl für viele. Es ist die gleiche Musik, die heute noch immer – oder endlich wieder – Menschen aller Generationen auf die Tanzfläche bringt. Davon erzählt DJ Stephan Wuthe in seinem Buch „Swingtime in Deutschland“.

In Berlin und anderen Großstädten hierzulande sind regelmäßige Swingparties, Konzerte und Tanzkurse seit den 90er Jahren wieder halbwegs selbstverständlich. Auch wenn es heutzutage da eine völlige Vermischung der Stile und Szenen gibt: Klassischer Swing von Schellack, frühe Rock & Roll-Singles und Electroswing-Nummern mit ihrer Mixtur zwischen Swing, Hiphop und Dancegrooves werden bei einigen Events gar wild durcheinander gespielt, ohne dass es die Tänzer irgendwie stören würde. Swing als Lebensgefühl ist eben nicht auf eine Gruppe vornehmlich nostalgisch eingestellter Fans einzugrenzen. Wie es dazu gekommen ist, wie Swing und Jazz (vor allem als Tanzmusik) in Deutschland heimisch wurden und wie sie bis heute zelebriert werden, das stellt Muther in seinem Buch aus der Sicht eines Fans und Tänzers dar.

Herausgekommen ist so etwas wie eine kleine Kulturgeschichte des Swingtanzes in Deutschland, wo natürlich die Biografien der beteiligten Musiker ebensowenig fehlen dürfen wie die Bezüge zwischen Kino und Musik, die Geschichte der beliebtesten Tanzpaläste ebensowenig wie die beteiligten Plattenfirmen in Deutschland. Vor allem für Neueinsteiger in diese Musikwelt finden sich hier jede Menge wichtiger Informationen. Und durch die Einbeziehung von Zeitzeugenerinnerungen und historischen Presseberichten wird gerade die Zeit des Swings im Nationalsozialismus sehr lebendig geschildert. Und das meint eben nicht nur die Musik sondern eben das ganze, was zum Swing als Lebensgefühl hinzugehört. Dass das Buch nicht nur mit Musikerfotos sondern auch mit Werbung von Tanzpalästen, alten Zeitungsausschnitten und Materialien von Plattenfirmen illustriert wird, macht einem beim Lesen gleich wieder Lust auf die nächste Party. Leider sind die damit verbundenen vielfältigen Bildrechte auch der Grund, dass das Buch in absehbarer Zeit nicht als E-Book erscheinen wird. Was „Swingtime in Deutschland“ allerdings einmalig macht (Jazz und Swing im Dritten Reich sind ja gerade in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder und ziemlich umfassend untersucht worden), ist das Kapitel zur Entstehung des Swingrevival und der Rückkehr des Swingtanzes in Deutschland seit den 90er Jahren. Da taucht natürlich Max Raabe mit seinem Palastorchester auf. Aber auch Andrej Hermlins Swing Dance Orchestra und seine Rolle in der Berliner Szene kommt vor. Und natürlich die verschiedenen Tanzschulen und -kurse, die heute wieder Lindy Hop, Balboa und ähnliche Tänze unterrichten. Was ich mir zu dem umfangreichen Personenregister noch gewünscht hätte, wäre ein Überblick gerade über zur Zeit in Deutschland aktive Swingmusiker und ihre Veröffentlichungen. Denn außer Raabe und vielleicht noch Hermlin kommen diese Musiker in der Musikpresse viel zu selten vor.

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