oh je, und der regenwurm hatte kopfschmerzen. clusterhaft inhaftiert wußte er zwischendurch nicht, wo ihm der kopf nun wirklich hing. hinten oder vorne? und als der mensch ihn durchriß, war es dennoch nicht vorbei. zweimal kopfschmerz nachgewachsen. und erneutes auseinanderreißen.
und der spatz, dem ging es nicht anders. so ein kleines hirn und so ein großer schmerz, so ein kleiner kopf, und ihn sich selbst so schnell im engen drahtgeflecht des zaunes in federvollem befreiungsflattern abgerissen, sah dem marienkäfer nach, sah, im abriß seines kopfes, sah im fallen noch unter dessen bauch, so nackt der käfer, so froh der spatz, daß ihm nichts nachwuchs. weiß er doch gar nicht, weil er nicht denkt. dachte der mann und dachte weiter: denkt vielleicht anders als wir es denken, ein denken, das wir nicht denken, das wir uns denkend gar nicht vorstellen können.
als der mann mit seiner frau und seinen schwiegereltern im cafe des hotels die sahne auf den kuchen löffelte, sah er eine fette, große seemöwe auf dem fenstersims vor ihrem tisch ein brötchen im ganzen verschlingen, sah etwas später den riesigen klumpen im hals des vogels als brötchendicke beule stecken, doch der vogel verdrehte nicht einmal die augen, würgte nicht und hockte entspannt mit seinem brötchendicken hals vorm fenster, als sei es das normalste im möwenleben, sich ein großes, dickes brötchen in den hals zu schlingen und stundenlang verklumpt im glück zu sein.
„schaut euch das mal an, das vieh versucht sich an einem ganzen brötchen! jetzt guckt mal, das ganze brötchen ist weg, steckt drin im hals der möwe! wie geht das? der vogel würgt nicht mal!“
„das gibt’s doch nicht! wie ist das möglich? wieso erstickt die nicht?“ hörte der mann.
der feingemachte kerl am klavier bekam von der möwe nichts mit, hackte einfach weiter seine sonntagsnachmittagsmelodien in die tasten und empfing ab und an schwachen applaus aus zusammengepatschten händen.
„soll ich dir noch ein stück käsekuchen holen?“ fragte die frau ihren mann.
„warte, ich komm mit zum büfettt. ihr auch noch ein stück kuchen?“ fragte der mann seine schwiegereltern und schaute zur halsverbeulten möwe.
die schwiegereltern nickten.
„und was für einen?“ fragte der mann.
„einen mit stachelbeeren, und du opa?“ fragte die schwiegermutter ihren mann.
„pflaume.“, sagte sein schwiegervater.
„für den chef noch einmal pflaume.“ hörte der mann seine schwiegermutter.
„und möchte der chef auch sahne dazu?“ fragte der mann.
„möchtest du sahne auf die pflaume, chef?“ fragte ihn seine frau.
die schwiegervater des mannes nickte und schaute an der verbeulten möwe vorbei, sah gedankenverloren auf die fernen segelschiffe weit draußen auf dem meer.
„der opa möchte sahne auf die pflaume.“ hörte er seine schwiegermutter.
erneut klimperte der frackbehangene ältere mann mit zerknittertem gesicht und faltigen händen konzentriert auf die weißen und schwarzen tasten des klaviers. was für einschläfernde takte an einem sonntagnachmittag.
als der mann mit seiner frau, dem käsekuchen, stachelbeere, pflaume und sahne zurückkam, war wieder dieses laue händegepatsche des begeisterungslosen publikums zu hören. dem mann und der frau war kein gepatsche mit all dem kuchen in den händen möglich.
der schwiegervater war aufgestanden, hatte das objektiv seiner kamera ausgefahren und hielt das ding an’s glas des fensters in richtung meer. der auslöser schnappte. nocheinmal und nocheinmal. die verbeulte möwe schaute gelassen den knipsenden schwiegervater von außen an.
„hast du die monstermöwe aufgenommen?“ fragte der mann seinen schwiegervater.
„welche monstermöwe?“ fragte der und ließ die um seinen hals gehängte kamera noch einmal klickend schnappen.
„na die, vor dir, mit dem dicken brötchen im hals.“
„wo?“
„na, hier vor dir auf dem fensterbrett.“
„ach, das blöde gierige vieh doch nicht.“
„opa, pflaume und sahne sind da. kannst dich wieder hinsetzten.“, hörte der mann die frau seines schwiegervaters.
und der alte mann nahm die große kamera vom hals, legte sie neben seinen stuhl, ringsum wurde gepatscht, der frackverstaute mann stand auf, verbeugte sich zwei oder drei mal vor dem zeitlupenartig patschigen applaus. doch der klavierspieler ging nicht, rückte sich erneut seinen hocker zurecht, und die möwe saß mit ihrem innerverbeulten brötchenhals vorm fenster und schaute mit ganz normalem möwenblick auf mein stück käsekuchen.
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UNTERM SAFT GEHT’S WEITER / 91