Der Prophet Amos. Russische Ikone aus dem 18. Jahrhundert

5,21 Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen.

5,22 Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen.

5,23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!

5,24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Ihr Lieben:

Ich mag das alles nicht mehr! Ihr habt Euch in einer Welt eingerichtet und glaubt, alles sei damit in Ordnung. Aber ihr täuscht euch gewaltig. Was ihr für schöne Gottesdienste haltet, das ist doch nichts weiter als Geplärr und langweiliges Gedudel. Und wenn ihr auch jede Menge spendet an den Tempel, wenn ihr Opfer bringt – mich könnt ihr nicht damit kaufen.

Heftige Worte, die der Prophet Amos damals – vielleicht mitten in einem prachtvollen Gottesdienst? – den Leuten an den Kopf warf im Namen Gottes. Ihr könnt Gott nicht kaufen. Ihr könnt ihn nicht bestechen, weder mit Opfern noch mit Gesang. Das alles mögt ihr für schön und richtig halten. Aber es ist alles nur der letzte Dreck. Ich mag es nicht mehr. Mir reichts mit eurer Frömmelei.

Klar weiß ich, dass die Zeit des Propheten Amos schon sehr lange zurück liegt – den lauten und farbenfrohen Tempelkult mit den lauten Psalmgesängen und den rauchenden Opferaltären den gibt’s schon längst nicht mehr. Aber – und das ist mir in den letzten Wochen immer wieder klar geworden – das Problem ist heute wie damals das gleiche.

Wir glauben, wenn wir mal in den Gottesdienst gehen, wenn wir uns bestimmten Ritualen unterwerfen, ja auch: wenn wir ganz konsequent nach Gottes Geboten leben, dass dann schon alles in Ordnung sei. Aber nein, meint Amos damals. Aber nein, würde er auch heute sagen.

Denn wie leicht nehmen wir die Gottesdienste einfach als Veranstaltung hin und kümmern uns hinterher nicht wirklich darum, unser Leben neu an Gott zu orientieren? Wie schnell beruhigen wir unser schlechtes Gewissen mit einer Spende. Wie schnell kehren wir zurück zu unserem Standardprogramm „Heile Welt“?

Ich mag das alles nicht mehr. Es ekelt mich an, das ist derartig verlogen, hört bloß auf damit.

Zur Zeit des Propheten Amos, im 8. Jahrhundert vor Christus, herrschte König Jerobeam II in Israel. Er nutzte den wirtschaftlichen Aufschwung, um den Verwaltungsapparat des Staates zu vergrößern, mehr Männer bekamen einträgliche Staatsgehälter und die Steuern wurden erhöht. Durch die Steuerlast gerieten immer mehr Bauern in Abhängigkeit. Die Schere zwischen arm und reich ging weit auseinander.

Gegen diese Ungerechtigkeiten spricht sich Amos in aller Deutlichkeit aus. "So geht das nicht!", sagt er. "Ihr feiert eure Gottesdienste als sei alles in Ordnung. Doch den Menschen im Lande geht es schlecht. Sie werden ausgeplündert und unterdrückt. Eure Gottesdienste werden immer feierlicher, aber ihr feiert nur euch selber! Gott will das so nicht!"

Amos wird dabei sehr deutlich. Natürlich versteht man ihn nicht und der Oberpriester von Bethel, der in dieser Zeit darüber zu befinden hatte, verbannt ihn aus dem Lande. Erst Jahrzehnte später versteht man, was Amos gemeint hat und schreibt seine Worte auf. Der König von Assur zerstört das Reich Israel und nimmt die Bevölkerung gefangen. Das Königsreich Israel verschwindet aus der Geschichte.

Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“

So fasst Amos den Willen Gottes zusammen. Bezogen auf die Herrschenden damals meinte er: Es ist alles nichts wert, was ihr tut, wenn ihr dafür eine ungerechte Welt und die Verbiegung des Rechts in Kauf nehmt. Gott will Gerechtigkeit, er will klare und sichere Verhältnisse im Land für alle – nicht nur für die Höflinge und Beamten und Priester. Entscheidend sind nicht die – sondern diejenigen, die am Rande stehen: die Armen, die Kranken und Wittwen.

Und heute? Wie ist das in unserer Gesellschaft? Wie nahe sind wir an der Verwirklichung von Recht und Gerechtigkeit? Ich „liebe“ Worte wie „alternativlos“, mit der heutzutage alle möglichen Bösartigkeiten gerechtfertigt werden. Alternativlos: Das ich nicht lache. Besonders wenn die Wirtschaftspolitik irgendwann nur noch als einzige gigantische Rettungsaktion für große Banken dasteht. Alternativlos – vergiss es!

Recht, das meint nicht nur die geltenden Gesetze, sondern auch das, was wir als Recht und Unrecht empfinden. "Gauner muss man Gauner nennen", sagte Ulrich Wickert der ehemalige Tagesthemensprecher. Unter Jerobeam wurden die Gesetze auch so gedreht, dass die Reichen alles nehmen durften und die Armen nach Herzenslust unterdrückten konnten.

Und heute gibt es nun wirklich jede Menge Gauner, jede Menge Ungerechtigkeit. Wo wir Unrecht sehen oder erleben, sollten wir auch darauf hinweisen und etwas dagegen tun. Das braucht unsere Gesellschaft. Viel zu oft wird weggesehen. Haben wir nicht gerade in unserer deutschen Geschichte erlebt, wie von den Kirchen ausgehend eine friedliche Revolution möglich wurde, welche die Diktatur der DDR zu Fall brachte?

Und ich? Warum bin ich im Gottesdienst? Warum tue ich mir und Gott das an, alle vier Wochen eine Predigt zu verfassen und mich hinzustellen? Mach ich das vielleicht aus Eitelkeit? Mach ich das vielleicht, um allen zu zeigen: Klar kann ich das – und ich bin besser als die offiziellen Pfarrer? Ehrlich gesagt: Immer wieder ertappe ich mich auch bei solch eitlen Gedanken. Und dabei denke ich ja sonst immer, Eitelkeit läge mir dermaßen fern….

Warum predige ich? Und wenn ich hier predige – was habe ich wirklich zu sagen? Ist das wirklich das, was die Bibel mir tief im Innersten sagt? Oder weiche ich auf die einfacheren Themen aus, weil sie mich selbst in Frage stellt und von mir Änderungen verlangt? Auch das kommt vor. Da nimmt man schnell mal paar Gedankengänge anderer Prediger, weil man selbst zu wenig Zeit zu haben glaubt, sich wirklich mit dem Text zu befassen. Da nimmt man schnell mal einen anderen Text, weil man sich ertappt fühlt.

Es bringt alles nichts, was du hier predigst, wenn Du Dich nicht selbst von den Texten verändern lässt. Das würde mir Amos wohl immer wieder mal an den Kopf werfen. Keine Predigt taugt was, wenn man sie nicht auch an der Person des Predigers ablesen könnte. Richtig überfließen müsste er von der Botschaft von Liebe und Gerechtigkeit. Nur so ist auch seine Predigt glaubwürdig und hilfreich. Eine Predigt, die den Prediger nicht selbst im Innersten in Frage stellt, ist Geplapper. Eine einfache Predigt, eine schnell dahingeschluderte oder eine, die die Gemeinplätze nur neu zusammenfasst – das ist falsch und im eigentlichen Sinne ein Akt der Ungerechtigkeit. Denn wenn Menschen in den Gottesdienst kommen, dann sollen sie die Chance haben, hier in den Worten aus der Bibel, die der Prediger auslegt, Gott zu begegnen. Sie sollen die Möglichkeit haben, ihr Leben aus dem Blickwinkel Gottes zu betrachten. Und dieser Blickwinkel – auch wenn er immer unter dem großen und durch nichts mehr wegzunehmenden Vorzeichen der Liebe steht, muss auch die unbequemen Ecken ausleuchten.

Klar – Gott hat mit uns Menschen eine Liebesbeziehung, die durch nichts mehr aufzulösen ist. Aber was ist eine Liebe wert, die den Partner nicht ermutigt, gemeinsam Veränderungen zu erreichen? Predigen müssen auch weh tun, wenn es nötig ist. Sie müssen so klar und brutal sein dürfen wie die Worte des Amos. Auch heute noch. Auch noch 2000 Jahre nach Jesus. Denn sonst stehen wir immer wieder in der Gefahr, uns völlig zu verrennen. Recht und Gerechtigkeit – und ich ergänze: die Liebe zu Gott und den Mitmenschen. Das sind die Maßstäbe, die wir uns in aller Heftigkeit immer wieder anlegen lassen müssen. Und dafür ist der Gottesdienst eigentlich da. Es geht um die Maßstäbe – und nicht um das Ritual. Es geht um unser Leben und das unserer Mitmenschen – und nicht um hohe Kunst und große Traditionen.

Geplapper und Geplärre haben in einem Gottesdienst nichts verloren. Nur wo Gott mit seiner Liebe, wo seine Gerechtigkeit im Zentrum steht, da passiert wirklich Gottesdienst im eigentlichen Sinne. AMEN