Von der Rückkehr des Vinyl als Tonträger ist allerorten geschrieben worden. Verantwortlich dafür ist eine Kombination aus Nostalgie und dem unbestreitbar großartigen Klang einer guten LP-Produktion. Jetzt gibt es die ersten Versuche, noch hinter Vinyl und Schellack zurück zu gehen: Bands wie die New Yorker Jazzkapelle Red Hook Ramblers (Foto) nutzen für ihre Aufnahmen die Phonographenwalzen von Herrn Edison.

 

Es gibt Musikkritiker, die weigern sich standhaft, Aufnahmen zu beurteilen, die ihnen in irgendeiner digitalen Form vorgelegt werden. Vinyl – sonst kommt ihnen nichts in die Ohren. Man kann das konsequent nennen. Aber ebenso auch snobistisch. Und man kann bedauern, dass der Kritiker viele junge Bands niemals zu hören bekommt, wenn er sie nicht im Konzert sieht. Denn LP-Produktionen sind teuer. Und wenn man als Newcomer nicht gerade das Glück hat, ein ebenso retro-orientiertes Plattenlabel zu finden, dann wird es bis zur ersten Vinylscheibe wohl noch länger dauern. Denn klar: So etwas ist teuer.

Als vor einigen Jahren die konsequent am Klang der 40er/50er Jahre orientierten Kitty Daisy & Lewis ihr Debüt nicht nur als Vinyl und CD sondern sogar in einer limitierten Album-Version auf den Markt brachten, war ihnen das Lob der Tonträger-Nostalgiker sicher: Auf einer irgendwo gekauften Plattenschneidemaschine hatte die Familienband die Lieder des Debüts auf einzelne mit 78 Umdrehungen je Minute abspielbare Singles gepresst. Das gab es zuletzt vor der Erfindung der Langspielplatte. Und zur Musik des Trios passt so etwas ja nun wirklich.

Wenn 2012 die Red Hook Ramblers aus Brooklyn schon den zweiten Teil einer Serie veröffentlichen, die sie auf einem 1908 produzierten Edison-Phonographen gemacht haben, dann gehört das sicherlich in das gleiche Marketingschema. Denn das Sextett fühlt sich dem Hot-Jazz oder Dixieland der Frühzeit des 20. Jahrhunderts verpflichtet. Allerdings sind die Ramblers ein wenig inkonsequent. Denn die Wachswalzen mit den Aufnahmen werden vor dem Vertrieb digitalisiert und im Internet zum Download angeboten. Ok, es mag kaum noch einen Musikhörer geben, der Walzen abspielen kann… Was das Hörerlebnis noch weiter trübt, ist auf die Aufnahmetechnik zurückzuführen: Die um 1890 üblichen braunen Wachswalzen sind schon im Neuzustand voller Nebengeräusche, die bei einer LP erst nach Jahrzehnten intensiven Hörens und bei Schellacks nach dem Verschleiß mehrerer Stahlnadeln entstehen. Die Stücke erscheinen so wie historische Artefakte, auch wenn sie das nicht sind. Man muss die Konsequenz bewundern, hier die historische Spielweise mit der historischen Aufnahmeweise zu kombinieren. Aber notwendig ist das nicht wirklich. Es kommt einfach über den Werbegag nicht hinaus, weil man vor lauter Knistern und Rauschen die Musik nur erahnen kann. Eine Berechtigung hat so etwas für mich höchstens als Museumsarbeit. Denn produziert wurden die Aufnahmen im Thomas Edison National Historical Park  vom Museumsdirektor selbst. Wenn es da also drum geht, historische Techniken zu erhalten und vorzuführen – gerne. Doch Musikgenuss ist etwas anderes für meine Ohren. Schade ist nur, dass hier wirklich neue Stücke eingespielt wurden, die man in Klarheit und Schönheit wohl sonst nur im Konzert hören kann…

Wenn man sich nicht die Mühe machen will, hinter die zahlreichen Störgeräusche vorzudringen, um die Band muszizieren zu hören, sollte man auf ihr 2011 veröffentlichtes Album „Something More Sinister“ zurückgreifen. Hier ist das gleiche Musikethos zu spüren. Der Jazz ist heiß und lädt zum Tanzen ein. Und für eingie Soundeffekte wird sogar ein Synthesizer (!) eingesetzt.

Edison Wax Cylinder Recordings EP Volume 2 by Red Hook Ramblers Something More Sinister by Red Hook Ramblers

Eine CD-Produktion kann man eigentlich im eigenen Schlafzimmer durchziehen. Das haben in den letzten Jahren immer mehr Musiker gemacht und den Vertrieb über das Internet auch gleich noch selbst in die Hand genommen. Die Klangqualität ist da weniger wichtig als eine vorgespielte Authentizität des Produktes – entstanden ganz ohne böse Einflüsse der Industrie. So könnte man das Ethos der DIY-Bewegung umschreiben. Und Lo-Fi – sprich: mieser Klang – war für einige Zeit der Sound der Stunde für diverse Insider und Kritiker. Ein Qualitätssiegel für ein eigentlich schlechtes Produkt zu finden ist schon fast genial zu nennen!

Wobei der miese Klang einer Aufnahme selbst bei primitiven Produktionsbedingungen ja nicht zwangsläufig herauskommen muss. Schon in frühen Zeiten der Tonträgerproduktion gab es Produzenten und Firmen, die lieber in besseres Material investierten und die Erkenntnisse der Akustik bei der Einrichtung ihrer Studios nutzten. Dass Produzenten wie Sam Phillips oder die Chess-Brüder noch immer als Vorbilder genannt werden für einen authentischen Klang, steht hier für die Liebe, mit der sie sich für ihre Musiker und ihre Musik engagierten. Jedes Mikrophon steht an seinem Platz. Alles ist genau auf den Raum abgestimmt. Andere hingegen machten die konservierte Musik zu einer Massenware mit einem geringen Verfallsdatum. Dass dabei der Klang nicht gut war und die Schallplatten bald nicht mehr hörbar waren – was soll’s, der nächste Hit ist schon im Presswerk.

Als damals in den 80er Jahren die ersten CDs auf den Markt kamen, da weigerten sich manche Musiker, dieses Medium auch nur eines Gedankens zu würdigen. Denn die Digitalisierung einer Aufnahme schluckt eine Menge an eigentlich unhörbaren Details, die in der Summe aber den Klang einer Aufnahme lebendig machen. CDs klangen dagegen zunächst wirklich flach und steril. Erst im Laufe der Jahre kamen auch hier wieder die Soundfanatiker zum Zuge, die den bestmöglichen Klang auch im Digitalzeitalter umsetzen wollen. Nach der CD kamen diverse andere Formate von SACD über DVD-Audio bis hin zu Plänen, die noch in irgendeiner Schublade schlummern mögen. Doch diese Produktionen sind letztlich so teuer, wie eine LP und damit für eine von Plattenfirmen unabhängige Produktion kaum finanzierbar.

Wenn man sich zurückbesinnen will auf die „guten“ alten Zeiten, dann könnte man sich den Benoit Viellefon Hot Club zum Vorbild nehmen: Ein Mikrophon für sechs Musiker, eine ordentliche Bandmaschine und keinen Schnickschnack in der Postproduktion: So entsteht ein vor Spielfreude fast überschäumendes Live-Album. Das könnte man gut auch auf Vinyl veröffentlichen. Dann würde es bestimmt auch von den Vinylnostalgikern rezensiert.