Vor einigen Jahren spielte in einer kleinen Kneipe im westfälischen Bergstädtchen Tecklenburg eine Combo mit dem kuriosen Namen „Chicken Rag“. In dem Gebäude direkt gegenüber konnte man eine Cover-Band mit miserablem Sound genießen. Ein Stück weiter, in einer noch kleineren Kneipe spielte eine laute Drei-Mann-Rockband, die sich kaum umdrehen konnte, so eng war es dort. Schlecht waren die Typen aber auch nicht.

Stompin‘ At The Barn Dance (CD), 65 Minuten, 12 Euro Live At The Piano (DVD), 41 Minuten, 10 Euro

Ich entschied mich für den „Rag-O-Billy“ genannten Stil der Jungs aus der Nähe von Münster. Günther Leifeld-Strikkeling antwortete einer Zuhörerin, was der denn da spiele: „Ein Bügelbrett, gnädige Frau. Das kennen Sie doch von zu Hause.“ Alle lachten. Gemeint war die „Lapsteel“, eine gern bei Country-Musik und hawaiianischen Klängen verwendete E-Gitarre, eine Slide-Guitar also.
Mir gefiel der swingende, die Ohren nicht paralysierende, weitgehend akustisch ausgerichtete Sound der Musiker. Eine dicke „Bullfiddle“ (Kontrabass) trieb das Ganze voran. Dobro, Banjo und Gitarren ergänzten das Bild. Ich nahm eine CD mit und wurde glücklich damit.
Vor ein paar Tagen habe ich mir die Scheibe „Stompin‘ At The Barn Dance“ (2009) der Truppe sowie die DVD „Live At The Piano“ aus demselben Jahr über die Homepage bestellt.
Was ist „Rag-O-Billy“? Wie der Name schon andeutet, wird eine gute Portion Country und etwas Rockabilly, durchsetzt mit leichten Blues-Einflüssen präsentiert. „Ragtime“ ist eher nicht Bestandteil, aber der Blues sorgt schon für eine etwas „zerrissene“, synkopierte Melodieführung.
Die in Nottuln aufgenommene“Barn-Dance“-CD ist für Fans akustischer Saiteninstrumente, die Country-Klänge nicht verabscheuen, durchaus zu empfehlen. Mir hat die ältere CD aber besser gefallen, auf „Barn-Dance“ ist Country im weitesten Sinne mehr Gewicht zugekommen. Für kritische Ohren mag der Gesang an einigen Stellen ein wenig, nun ja … wenig präzise ausgefallen sein. Diese Kritik möchte ich hier mal äußern.
Vom Repertoire her ist der Jazz-Klassiker „Stompin‘ At The Savoy“ neben einem Johnny Cash-Song (DVD), einem Blues von Taj Mahal, der eigentlich keiner ist („The New Hula Blues“, die Hawaii-Gitarre ist in ihrem Element) und Country-Balladen wie „Things Have Gone To Piece“ (DVD) zu hören. Auch „Pokarekare Ana“ lässt mich an Hawaii denken, tatsächlich ist es ein Lied der neuseeländischen Maoris. „All Of Me“, ein alter Pop-Song wurde unter anderem bereits von Frank Sinatra aufgenommen. Leiber and Stoller‘s „Destination Love“ wird ebenfalls das Chicken Rag-typische Soundgewand angepasst. „Bubbles In My Beer“ wurde von vielen Musikern interpretiert, darunter auch Willie Nelson. Ich bevorzuge häufig Bluesiges, daher hat mir wahrscheinlich „Am I Wrong“ gleich ganz gut gefallen. Der Song stammt von einem gewissen Herrn Moore, besser bekannt als Keb‘ Mo‘. Der eigene Geschmack sollte bei einer CD-Besprechung nicht maßgeblich für die Bewertung der Qualität sein. Als Fazit möchte ich bei „Stompin‘ At The Barn Dance“ – ein schönes Stück eigenständiger, akustischer Musik – aber dennoch die für mich ein wenig zu ausufernde Country- und Hawaii-Gitarren-Ausrichtung kritisieren. Auch sind nicht nur Gesangs-Asse in der Formation vertreten. In der populären Musik im weitesten Sinne stört das aber oft überhaupt nicht. Die Gruppe ist und bleibt mir sehr sympathisch. Ich mochte nur den Erstling „Chicken Rag“ noch lieber, auf dem gleich zwei Big Bill Broonzy- und eine Blind Boy-Fuller-Komposition in der unnachahmlichen Spielweise der „Hühner-Jungs“ enthalten sind.
Die DVD „Live At The ‚Piano‘“ legt sofort mit „All By Myself“ und „Willie Mae“ los, genau den Stücken von der ersten CD. Die zehn Live-Aufnahmen möchte ich gern allen ans Herz legen. An wenigen Stellen stört auch hier der etwas wackelige Gesang. Aber auch das ist natürlich wie – bei jeder Rezension – vielleicht ein subjektiver Eindruck.
Die Gruppe „Chicken Rag“ besteht so leider nicht mehr. Die einzelnen Musiker machen aber unter anderer Flagge weiter. CD und DVD sind über die Homepage der ehemaligen Gruppe zu bestellen.