Ich bin ja nun jemand, der nicht gerne zum Doktor geht. Das wird von mir konsequent aufgeschoben, bis es wirklich nicht mehr anders geht. Komischerweise ist das mit Marshall Lawrence auch so. Ich höre seit Beginn meiner Recherchen zum Bluess in Kanada immer wieder seine Songs. Doch eine Rezension oder gar ein längerer Artikel wollte mir bislang nicht einfallen.

Lawrence nennt sich nicht nur „Doctor of the Blues“ und verordnet seinen Bekannten im Internet immer wieder den Blues als Medizin. Marshall Lawrence ist wirklich ein Doktor der Psychologie. Und so geht das mit seinen Verschreibungen in Ordnung. Besonders da sie immer mit einem freundlichen Lächeln daher kommen. Wesentlich martialischer sind da schon die Plakate, die zur Zeit in Kanada für die „Schwergewichtsmeisterschaften“ in Sachen Bluesgitarre werben. Auch um diesen Titel bewirbt sich der ausgezeichnete Slide- und Picking-Virtuose. Aber selbst da geht es eigentlich nur um eines: um einen mitreißenden Akustikblues, der ganz nahe dran sein könnte an den historischen Quellen. Nur dass man eben von Lied zu Lied überlegt, wo diese Quellen eigentlich sind: tief im Delta für die Slide-Attacken auf der Resonatorgitarre. Doch im nächsten Stück wähnt man sich dann schon wieder irgendwo an der Ostküste, wo das Fingerpicking im Ragtime-Stil zu Hause war. Und spätestens dann wird klar, dass diese Vergangenheit eben eine von vorn bis hinten imaginierte ist. Was Marshall Lawrence macht, ist eben nicht wirklich traditionell, sondern irgendwie „neo“.  Oder um es gelehrter auszudrücken: So wie Corey Harris oder auch Taj Mahal im akustischen Blues oder auch C.W.Stoneking mit seiner Version des Hokum-Blues schafft er aktuelle Musik, die ben nur so klingt wie die alten Vorbilder.

Damit wirbt er im übrigen selbst und nennt seine Musik „Neo-Delta Blues & Roots“ oder auch  Acid-Blues. Denn – und das merkt man spätestens beim dritten oder vierten Titel: Diese Musik nimmt einen mit auf einen Trip, wenn man sich drauf einlässt. Die Rhythmen ziehen einen unwillkürlich in den Bann. Und Lawrence‘ Stimme hat was hypnotisches. Und schon ist man drin in dem Blues-Delta des Dokors und lauscht seinen Geschichten.

Sein aktuelles (2010 erschienenes) Album trägt den Titel „Blues Intervention“. Das sind traditionelle Bluessongs mit all den bekannten Themen vom Abschied, vom Liebeskummer, vom Unterwegssein zwischen Louisiana, Detroit oder der kanadischen Prairie, wo der Doktor einst ein Cowgirl liebte (auch wenn deren Vater dagegen war, denn schließlich war der Sänger kein Anwalt oder ähnlich abgesicherter Mann). Diese Bluesgeschichten sind tatsächlich das: eine Form der Therapie ohne Verschreibung und vor allem ohne schädliche Nebenwirkungen: Dieser Blues macht einen ruhig und zufrieden und lässt einen die Schmerzen des Alltags wesentlich gelassener betrachten.


ComScore