Mit Woody Guthrie steht der 1919 geborene Pete Seeger am Beginn des amerikanischen Folk-Revivals. Mit The Weavers hatte er in den 50ern Hits gesungen, bevor er als Kommunist aus der Öffentlichkeit verdrängt wurde. Bei der ersten Amtseinführung von Präsident Obama sang er gemeinsam mit Bruce Springsteen Woody Guthries „This Land Is Your Land“. Noch mit neunzig Jahren trat er live auf. Am 27. Januar 2014 starb der Sänger und Songwriter im Alter von 94 Jahren in einem Krankenhaus seiner Geburtsstadt New York. 

 

Aktualisierte und ergänzte Fassung eines 2009 erstmals veröffentlichten Artikels

Mit ihrer Fassung von Leadbelly’s „Good Night, Irene“ okkupierten The Weavers 1950 für 13 Wochen Platz 1 der Hitparade. Die Band um Pete Seeger zählte zu den erfolgreichsten Bands des frühen Folkrevivals. Doch Seeger selbst war zu dem Zeitpunkt schon lange musikalisch aktiv, vor allem im Bereich der Gewerkschaftsbewegung und im Umfeld der amerikanischen Kommunisten. Seine Songs wie If I Had A Hammer oder Where Have All The Flowers Gone wurden weltweit nachgesungen.

Geboren wurde Pete Seeger am 3. Mai 1919 in New York in eine äußerst musikalische Familie. Sein Vater, Charles Louis Seeger war Komponist und Musikwissenschaftler, der unter anderem die amerikanische Volksmusik erforschte. Als Dirigent wirkte er aber beispielsweise auch in Köln am dortigen Opernhaus. Seine Mutter Constance de Clyver Edson war klassische Violinistin und Musiklehrerin. Und seine Großmutter Ruth Crawford Seeger zählt zu den bedeutendsten Komponistinnen des 20. Jahrhunderts. Als Pete sieben Jahre alt war, ließen sich seine Eltern scheiden.

Auch wenn seine Eltern beide musikalisch waren, drängten sie ihren Sohn nicht, ein Instrument zu erlernen. Irgendwann begann er, die Ukelele zu erlernen und damit seine Klassenkameraden zu unterhalten. 1936 hörte er erstmals das fünfsaitige Banjo beim Mountain Dance and Folk Festival in Asheville, North Carolina. Die nächsten Jahre war er damit beschäftigt, dieses für ihn neue Instrument zu erlenen. (Später veröffentlichte er auch Lehrbücher für das Banjo und entwickelte das „Seeger-Banjo“ mit einem drei Bünde längeren Hals.) In späteren Jahren griff er immer häufiger auch zur zwölfsaitigen Gitarre.

Mit einem Teilstipendium begann er am Harvard College zu studieren. Doch seine Aktivitäten in Sachen Folkmusik und radikaler Politik hinderten ihn am Lernen. Und so verlor er sein Stipendium und verließ 1938 das College wieder und träumte von einer Karriere als Journalist. Letztlich bekam er eine Stelle beim von Alan Lomax (ein Freund seines Vaters) geleiteten Archive of American Folk Song bei der Library of Congress. Hier sollte er in den von den Plattenfirmen veröffentlichten „race“- (Blues, Gospel) und „hillbilly“-Platten  (Country etc) nach Beispielen für die traditionelle Folkmusik suchen. Lomax ermunterte Seeger auch, seiner Berufung als Folksänger nachzugehen. Und bald gehörte er zu den regelmäßigen Gästen der wöchentlichen Show „Back Where I Come From“ von Columbia Broadcasting. Hier trat er gemeinsam mit Lead Belly, Josh White aber auch mit Woody Guthrie auf. Das ohne Rücksicht auf Rassenfragen zusammengestellte Programm schaffte es 1941 bis ins Weiße Haus. Eleanor Roosevelt veranstaltete im März 1941 einen „Evening of Songs for American Soldiers“.

The Almanac Singers

Pete Seeger im Weißen Haus 1941. In der Mitte des Bildes ist Eleanor Roosevelt.

 

 

 

 

 

 

1941 gründete Seeger gemeinsam mit Millard Lampell und Lee Hays die Almanac Singers als eine Art „singende Zeitung“ für Gewerkschaftsfragen und andere progressive politische Aktivitäten. Zu der Gruppe gehörten zeitweise auch Woody Guthry, Josh White, Bess Lomax Hawes und die Blueser Brownie McGhee und Sonny Terry. Um die Karriere seines Vaters in der Regierung nicht zu gefährden, trat Seeger bei den Almanacs als Pete Bowers auf. Denn die mit den Kommunisten nicht nur sympathisierende Gruppe wurde durchaus zwiespältig angesehen. Sie traten zur Unterstützung von Streiks auf, bei Gewerkschaftstreffen oder machten auch eine Tour gegen einen Kriegseintritt der USA. Nach Pearl Harbour allerdings schwenkten sie vom Pazifismus ab und unterstützten die Kriegsbemühungen der USA – was man ihnen wiederum mancherorts übelnahm.

Seeger war 1936 der Young Communist League und 1942 der Kommunistischen Partei beigetreten. Auch wenn er sich später von der Partei entfernte, blieb er doch lange Jahre hindurch ein Stalinist. Erst vor wenigen Jahren hat er sich in einer Zeitungsdebatte zu Wort gemeldet und zugegeben, dass er zu lange der leninschen Doktrin der Parteidisziplin anhing.

Auf dem 1941 erschienenen Album Songs For John Doe warfen die Almanacs Präsident Roosevelt vor, eine Marionette für J.P. Morgan zu sein.  Damit verfolgten sie die offzielle Parteilinie nach dem Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts. Noch immer nahmen die Kommunisten Roosevelt übel, dass er mit einem Embargo eine Bewaffnung der spanischen Republik gegen die Putschisten unter Franco verhindert hatte. Die USA waren damals zwar noch nicht im Krieg, doch sie rüsteten deutlich auf. Die Presse verriss Songs for John Doe als Werk von Nazis und/oder Moskautreuen. Das Werk sei ein Fall für den Staatsanwalt, meinte etwa der in Deutschland geborene Harvard-Professor Carl Joachim Friedrich in einem Beitrag für Atlantic Monthly. Und er empfahl, hart gegen das Gift der Folkmusik vorzugehen.

Nach Hitlers Angriff auf die Sowjetunion änderte die KP ihre Linie. Songs for John Doe wurde aus dem Handel genommen und ein Großteil der Auflag eingestampft. Prompt brachten die Almanacs ein neues Lied heraus. „Dear Mr. President“, gesungen von Pete Seeger, sicherte Roosevelt jetzt die Unterstützung im Kampf gegen Hitler zu:

 

Now, Mr. President, / We haven’t always agreed in the past, I know, / But that ain’t at all important now. / What is important is what we got to do, / We got to lick Mr. Hitler, and until we do, / Other things can wait.//

 

 

Now, as I think of our great land . . . / I know it ain’t perfect, but it will be someday, / Just give us a little time. // This is the reason that I want to fight, / Not ‚cause everything’s perfect, or everything’s right. / No, it’s just the opposite: I’m fightin‘ because / I want a better America, and better laws, / And better homes, and jobs, and schools, / And no more Jim Crow, and no more rules like / „You can’t ride on this train ‚cause you’re a Negro,“ / „You can’t live here ‚cause you’re a Jew,“/ „You can’t work here ‚cause you’re a union man.“//

 

 

So, Mr. President, / We got this one big job to do / That’s lick Mr. Hitler and when we’re through, / Let no one else ever take his place / To trample down the human race. / So what I want is you to give me a gun / So we can hurry up and getthe job done.

 

Das beruhigte die Kritiker allerdings nicht wirklich. Das FBI und einige Journalisten machten die Almanacs bei Veranstaltern mit der Begründung von „John Doe“ madig und erreichten so die Auflösung der Gruppe. Seeger diente im Krieg als Flugzeugmechaniker im Pazifik. Doch mehr noch wurde er zur Truppenunterhaltung als Sänger eingesetzt.

 

The Weavers

In den 50er Jahren wurden quasi als eine Neugründung der Almanac Singers The Weavers gegründet. Man nannte sich programmatisch nach Gerhart Hauptmanns Drama „Die Weber“. Neben Seeger (der jetzt unter seinem eigenen Namen auftrat) gehörten Lee Hays, Ronnie Gilbert, Fred Hellerman und später Frank Hamilton und Erik Darling zu der Gruppe. The Weavers waren bei weitem nicht so politisch radical wie damals die Almanac Singers. Und politische Botschaften waren in indirekter Sprache versteckt – und vielleicht gerade deshalb aber auch besonders wirkungsvoll. Manchmal traten sie (bei Konzerten in Nachtclubs etwa) sogar im Smoking auf – was bei den Hörern aus der extrem linken Fraktion zu ernsthaften Anfragen an ihre politische Glaubwürdigkeit führte. Ein Grund dafür war aber auch, dass ihr Management ihnen untersagte, bie poltischen Veranstaltungen aufzutreten. Die Plattenaufnahmen der Weavers waren zeitweise sehr weit weg vom traditionellen Folk: Die Lieder wurden mit einer Menge Streichern und Chören zugekleistert. Und dennoch meinten Seeger und seine Kollegen, dass dies nötig sei, um ihrer Botschaft und ihrer Musik eine möglichst breite Öffentlichkeit zu schaffen. Mit ihrer Version von Leadbellys „Goodnight, Irene“ begann ihre Serie von Singlehits. Auch mit dem israelischen „Tzena, Tzena“, dem Zulusong „Wimoweh (The Lion Sleeps Tonight)“ oder Woody Guthries „So Long It’s Been Good to Know You“ waren sie sehr erfolgreich. Doch ihre Karriere kam auf ihrem Höhepunkt 1953 zu einem abrupten Ende. Sie wurden als bekenndende Kommunisten auf die Schwarze Liste gesetzt. Schließlich war damals die MacCarthy-Zeit, wo man überall , als sie auf die Schwarze Liste gesetzt wurden. In der MacCarthy-Ära mit ihrer Kommunistenparanoia waren Bands mit bekennenden Kommunisten in Radiostationen nicht mehr zu hören. Und auch schon gebuchte Auftritte wurden mit der Begründung gecancelt. 1955 und 1959 kam es nochmals zu neuen Tourneen und Plattenaufnahmen (wo sie etwa das Spiritual Kumbaya aufnahmen, was seither an zahllosen Lagerfeuern nicht nur bei Pfadfindern immer wieder gern gespielt wird). Letztlich entschied sich Pete Seeger, weitere Wiedervereinigungen der Band nicht mehr mitzumachen, als die drei anderen Mitglieder der Produktion eines Jingles für Zigarettenwerbung zustimmten. So erinnerte er sich zumindest in dem 2007 veröffentlichten Dokumentarfilm „Pete Seeger: The Power of Song“.

Poltisches Engagement

Seeger setzte in den 50ern seine Unterstützung für  Bürgerrechte, Rassengleichheit oder die Rechte von Gewerkschaften, die Friedensbewegung und internationale Verständigung ein. Bis heute ist er auch der Meinung, dass man diese Ziele auch durch das gemeinsame Singen von Liedern erreichen kann. Durch die Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956 und die Enthüllungen über Stalins Verbrechen verlor er seine Illusionen über den sowjetischen Kommunismus. In einer Autobiografie schrieb er er sei seit 1949 von der Kommunistischen Partei der USA „weggedriftet“. Doch distanziert hat er sich öffentlich nicht von ihr.

Am 18. August 1955 musste er vor dem Kommittee für Un-Amerikanische Aktivitäten aussagen. Seeger weigerte sich mit der Berufung auf den ersten Verfassungszusatz auszusagen oder Menschen zu belasten. Dies führte zwei Jahre später zur Einleitung eines Verfahrens wegen Missachtung des Kongresses. Daher musste er die Regierung für eine Zeit immer über seinen Aufenthalt informieren, wenn er den Southern District von New York verließ. Im März 1961 wurde er zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil wurde allerdings 1962 aufgehoben.

Um während der Zeit, wo er auf der Schwarzen Liste stand, Geld zu verdienen, unterrichtete Seeger in Schulen und Sommer Camps Musik. Und er nahm jährlich bis zu fünf LPs auf. Mit Liedern wie „Where Have All The Flowers Gone“ oder Turn Turn Turn mit seinem Text aus dem biblischen Buch Prediger erlangte er dabei große Aufmerksamkeit. Diese Songs wurden von zahlreichen Künstlern interpretiert und in die Hitparaden gebracht.

In den 60er Jahren war Seeger aktiv im Kampf gegen den Vietnamkrieg. Auf satirische Weise griff er President Johnson mit Liedern wie dem 1966 aufgenommenen „Beans In My Ears“ an. Eigentlich ist der von Len Chandler geschriebene Song ein Kinderlied. Doch in Seegers auf dem Album Dangerous Songs!? vertretenen Version wird der Vorwurf an Johnson deutlich, er höre nicht auf das, was man ihm sagt. Der Name des Jungen Alby Jay ist eine Verballhornung von Johnsons Spitzname LBJ…

Auch mit der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre war Seeger eng verbunden. Auf sein Engagement geht etwa die weite Verbreitung der Hymne „We Shall Overcome“ zurück, ursprünglich ein Spiritual, das aber schon Anfang des 20. Jahrhunderts etwa bei Streiks gesungen wurde.

Als einer der ersten Musiker engagierte er sich schon 1966 für den Umweltschutz. Er gründete mit Freunden die Hudson River SloopClearwater-Stiftung, die sich vor gegen die Verschmutzung des Hudson River engagiert. Mit dem Schiff Clearwater, die der Organisation gehört, werden regelmäßig Segeltouren zur Umweltbildung auf dem Hudson durchgeführt. Und jedes Jahr wird mit dem zweitägigen Clearwater Festival Geld für die weitere Rettung des Flusses gesammelt.

Das Folk-Revival

„Woodys Kinder“ nannte Seeger als Autor für „Sing Out!“ die neuen politischen Liedermacher, die vor allem im Greenich Village zu Beginn der 60er Jahre ihr Publikum fanden. Dieses städtische Folk-Revival war eine Fortsetzung von Traditionen, wie er selbst sie etwa mit den Almanacs begonnen und mit Organisationen wie People’s Songs nach dem Krieg fortgesetzt hatte. Unter all den jungen Musikern war Seeger so etwas wie eine Vaterfigur. Zudem gehörte er zum Direktorium des Newport Folk Festivals, bei dem Musiker wie Joan Baez oder Bob Dylan auf alte Blueser wie Mississippi John Hurt oder John Lee Hooker trafen.

Schon früh setzte er sich etwa für den jungen Bob Dylan ein. Doch als dieser 1965 mit elektrischer Gitarre und den Musikern der Paul Butterfield Blues Band auftrat, da kam es zu einem Eklat. Denn der elektrisch verstärkte Sound irritierte nicht nur die Folk-Puristen. Er war wohl auch einfach grottenschlecht. Als Dylan „Maggies Farm“ sang, soll Seeger (so eine beliebte Legende) mit einer Axt versucht haben, das Verstärkerkabel zu zerhacken. Seeger selbst erinnerte sich 2001 in einem Interview allerdings anders:

 

„Ich konnte die Worte nicht verstehen. Ich wollte die Worte hören. Es war ein großartiger Song, „Maggies Farm“, aber der Sound war verzerrt. Ich rannte rüber zu dem Typen an den Reglern und rief: Fix den Sound, damit man die Worte hören kann. Er brüllte zurück: So wollen sie es haben. Ich sagte: Verdammt, wenn ich eine Axt hätte, würde ich das Kabel jetzt gleich durchhacken. Aber ich war schuld. Ich war der Ansager, und ich hätte dem Teil der Menge, die Bob ausbuhte sagen müssen: Gestern habt ihr Howlin‘ Wolf nicht ausgebuht. Der war elektrisch! Auch wenn ich noch immer lieber die akustischen Lieder Dylans höre, sind einige seiner elektrischen absolut großartig. Elektrische Musik ist die Mundart der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, um einen alten Spruch meines Vaters zu zitieren.“

(übersetzt nach David Kupfer, Longtime Passing: An interview with Pete Seeger, Whole Earth magazine, Spring 2001)

 

Endlich konnte er in den 60ern auch wieder im Fernsehen auftreten. Er präsentierte in seiner in der New Yorker Region ausgestrahlten Sendung „Rainbow Quest“ Musiker wie Johnny Cast, Mississippi John Hurt aber auch Donovan oder Judy Collins. Insgesamt 39 Folgen der einstündigen Sendung wurden 1965 und 66 produziert von ihm und seiner Frau Toshi.

Kritik und Selbstkritik

In den letzten Jahren wurde Seeger immer mehr als eine der wichtigsten und einflussreichsten Figuren in der amerikanischen Folkmusik gewürdigt. Auch sein politischer Kampf fand (besonders der Einsatz für Frieden, Umwelt und Bürgerrechte) wurde mit zahlreichen Preisen anerkannt. Doch daneben kommt es immer wieder auch zu kritischen Anfragen an Seeger, die er durchaus auch selbst provoziert hat durch seine lange jahre fehlende Abkehr vom Stalinismus.

 So wurde er 2006 von David Boaz in der britischen Zeitung Guardian  als „Stalins Songbird“ kritisiert. Der Autor kritisierte Blätter wie den liberalen New Yorker oder die New York Times, die Seeger groß gewürdigt hatten. Boas zitierte Verse aus Songs for Jon Doe und setzte sie neben „Dear Mr. President“ (s.o.). 2007 – ob als Reaktion darauf ist nicht ganz klar nachzuvollziehen – schrieb Seeger „Big Joe Blues“, in dem er Stalin erstmals als Verbrecher verdammt. Und er schreibt einen offenen Brief an den Historiker Ron Radosh, einen ehemaligen Trotzkisten und heutigen Autor der konservativen National Review, in dem er bekannte, zu lange blind gewesen zu sein für Stalins Fehler. „Ich denke, du hast recht“, meint Seeger, „Ich hätte danach fragen müssen, die Gulags zu besichtigen, als ich in der UdSSR war.“

Mittlerweile ist Seeger vollkommen unbestritten – nicht umsonst durfte er gemeinsam mit Bruce Springsteen (der ihm mit den wunderbaren Seeger Sessions Tribut zollte) bei Barack Obamas Amtseinführung Woody Guthries „This Land Is Your Land“ singen.

Mit 89 und danach

Mit einem neuen Studioalbum hatte man kaum noch gerechnet. Und auch Pete Seeger selbst kündigte „At 89“ als sein letztes an. Für das 2008 erschienene Werk hatte er unterstützt von Freunden neue und alte Lieder live im Studio aufgenommen. Das Ergebnis: egnagierter Folk mit teilweise sakraler Anmutung, ausgezeichnet mit einem Grammy.

Ein Lied über ein Umweltgesetz einer kalifornischen Stadt? Nicht eigentlich das Thema, das den zeitgenössischen Songschreiber sofort anspringen würde. Doch Pete Seeger zeigt, dass auch die Frage der nachhaltigen Produktion von Gegenständen ein Lied ergeben kann, das zum Mitsingen reizt („If it Can‘t Be Reduced“).
Natürlich ist seine Stimme gealtert. Doch auf Banjo und Gitarre kann er noch immer zeigen, dass Alter nicht gleichbedeutend ist mit Erstarrung. Und das innere Feuer, dass Seeger zeit seines Lebens zum Singen und Songschreiben gebracht hat, ist noch immer heiß. Und so finden sich auf „At 89“ neue Lieder über aktuelle Fragen ebenso wie noch immer aktuelle Stücke, die schon jahrzehntealt sind. Es finden sich Bearbeitungen von Melodien Beethovens oder Bachs ebenso wie Vertonungen von Gedichten und Neufassungen alter Folksongs aus aller Welt.
So findet sich etwa der alte Hit der Weavers „Tzena, Tzena, Tzena“, ein israelisches Tanzlied hier in einer Fassung mit hebräischen und arabischen Versen. „If This Word Survives“ ist ein auf einen Text von Malvina Reynolds geschriebener Chor, der Seegers Hoffnung auf den Punkt bringt. Und „Alleluya“ ist einfach ein Chor des britischen Barockkomponisten William Boyce.

Vier Jahre später dann die Überraschung: Gemeinsam mit dem Freund und Kollegen Lorre Wyatt nimmt Seeger „A More Perfect Union“ auf. Die Stimme ist noch brüchiger. Doch das Banjo ist immer noch sofort zu erkennen. Und die Songs sind so unzeitgemäß altmodisch-engagiert, dass sie eigentlich schon vor vierzig Jahren entstanden sein könnten: Dass Pete Seeger nochmals ein neues Album vorlegen würde, damit war eigentlich nicht mehr zu rechnen. Und noch weniger damit, dass dieses Album fernab jeder Peinlichkeit einen künstlerischen Wert haben könnte. Und doch ist „A More Perfect Union“ ein Songwriter-/Folkalbum, dass unbedingt hören sollte.
Ein Grund dafür liegt natürlich in der Mitwirkung solch unterschiedlicher Musiker wie Emmylou Harris („We Are The Boat“), Bruce Springsteen („God‘s Counting On Me“), Steve Earle („This Old Man Revisited“) oder Tom Morello („A More Perfect Union“). Diese tragen die Lieder da weiter, wo Seeger allein zu schwach scheint. Aber – und das ist das eigentlich Entscheidende: Es sind Lieder, ob persönlich oder politisch aktuell, die in ihrer scheinbaren Altmodischkeit dennoch den heutigen Hörer packen können. Ob Seeger und sein Songwriter-Kollege mit ihrem Alter und der Gebrechlichkeit kokettieren („Old Apples“) oder zum Engagement für eine bessere Welt aufrufen („God‘s Counting On Me“, „Keep The Flame Alive“, …) Da wird nochmal die Anklage gegen die Tatenlosigkeit der Politiker nach Katrina wiederholt („Memories Out of Mud“). Oder es gibt humorvolle Lieder über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier („Howling For Our Supper“). Klar – irgendwie fragt man sich die ganze Zeit, ob ein typisches Liedermacheralbum (ganz bewußt nehme ich diesen deutschen Begriff mit all seinen Implikationen) wie dieses überhaupt noch eine Berechtigung haben kann im 21. Jahrhundert. Das sind Lieder, wie sie zuletzt vielleicht in der Friedensbewegung der 80er Jahre eine Massenwirksamkeit gehabt haben könnten. Und es ist nicht zu sehen, dass etwa aus der Occupy-Bewegung heraus wieder eine Singebewegung wie beim Folkrevival in den 50er oder 60er Jahren entstehen würde. Aber genau dafür wären die Songs natürlich genau richtig.

Musiker wie Seeger gibt es heute nicht mehr. Musiker, denen Engagement wichtiger ist als schnelle Hitparadenerfolge, Musiker die gleichzeitig jeden Saal zum lauten und fröhlichen Mitsingen bringen können. Das ist etwas, was ganz sicher fehlen wird in der immer oberflächlichen Welt mit ihrer maschinell erzeugten Musik. Seeger wird fehlen wie einem die Abende des gemeinsamen Singens am Lagerfeuer in der Jugend in späteren Tagen fehlen.