Airguitar1

Billy the Kid schildert in seinen Erinnerungen die musikalische Sozialisation in den 70er Jahren. Eine Jugend in der DDR zwischen ABBA, Smoky und AC/DC. Wobei die australischen Hard-/Blues-Rocker wesentlich einflussreicher waren, als man als intellektuell geprägter und aufgeklärter Mann eigentlich zugeben möchte.

Man gibt es ungern zu – aber es gab mal eine Zeit im Leben, in dem der musikalische Geschmack leichten Verirrungen unterlag. Zu gern würde ich berichten, dass John Cage oder Ligeti` meine musikalische Sozialisation begleitet haben, aber dass wäre gelogen.

Tatsächlich gab es eine Zeit so ab der Mitte der 70er, wo man sich neben den mehr oder weniger hübschen Mädchen aus der Klasse auch für Musik zu interessieren begann. Mangels älterer Brüder oder anderer geeigneter Initiationsgehilfen musste man seine eigenen Erfahrungen machen – so wie mit den Mädchen. Und so wie diese Versuche, die man heute wohl unter „Petting“ verbuchen würde und die meist im Dunkeln des einzigen Kinos der Stadt stattfanden, eher hilflos waren; waren es auch diese ersten musikalischen Gehversuche. Mit Schaudern erinnert man sich noch an vier Smoky-Titel, die das DDR-Fernsehen irgendwann mal ausstrahlte und die mit 12 (also so 1977) das non plus ultra darstellten. Auch Hot Chocolate oder der damals im Kino gezeigte ABBA-Film waren ähnliche Entgleisungen, an die ich mich heute nur noch mit Schaudern erinnere.

Aber dann, so um 1978-79 nahte selbst in diesem Teil der DDR, der von den westlichen Radio- und Fernsehsendern nicht erreicht (oder verschont?) wurde, die Rettung. Ich erinnere mich noch an den Nachmittag, an dem ein Freund mir die ersten Titel einer australischen Band auf Kassette überspielte (nix mit MP3!), die auf den erstaunlichen Namen AC/DC hörte und die eine derart kraftvolle Rockmusik spielte, dass einem schwindlig wurde. Für fast ein Jahr hörte ich nichts anderes (in der Erinnerung), die Hierarchie der Jungen in der Klasse richtete sich nach der Anzahl der Titel von AC/DC, die man auf Band hatte (ich hatte 31 damals) und bei den Schuldiskos tauchte das Phänomen der Luftgitarre auf, die die Mädchen ersetzen musste, denn die hatten mit dieser Musik wenig am Hut. Erst als ich selber mit 15 anfing, selber Gitarre zu spielen (aber nur, weil ich Angus Young so geil fand!), stieg ich geschmacklich um auf andere Kost, Dylan, Beatles, Stones und alles andere, was man auf einer Wandergitarre spielen konnte. Dann klappte es übrigens mit den Mädchen auch besser…

AC/DC war wohl ein frühjugendliches, rein männliches Phänomen – sehr wenige Frauen lieben diese Band. Für eine Zeit war unsere Weltsicht eingeschränkt – kein Wunder, Testosteron beeinträchtigt die kognitiven Fähigkeiten (ein Grund, warum die Dumpfbacken in der Klasse ärgerlicherweise immer besser im Sport sind). Aber noch heute, trotz Cage, Ligeti und Arvo Pärt, trotz Dylan und Joni Mitchell, Miles und Mahavishnu, trotz allem liebe ich diese Band, trotz der herabgezogenen Mundwinkel meiner mehr oder weniger intellektuellen Freunde, die sogar Liedermacher hören können (geht eigentlich gar nicht, oder?)

Alle die, die in AC/DC nur die prolligen Radaubrüder sehen, sollten sich die ersten Platten mal anhören: eher Blues und Rock´n‘ Roll als Hardrock und das auf einem Niveau und mit einem energetischen Level, das selten wieder erreicht wurde.

Zum Beispiel „Powerage“, eine wenig bekannte Scheibe. Ein Titel wie der „Down Payment Blues“ enthält die unsterblichen Zeilen „I got myself a Cadillac but I can´t afford the gasoline“, die den Blues des Verlierers in der Welt des Konsumterrors besser ausdrückt als das Kommunistische Manifest (O.K. , sehr schräger Vergleich – aber hätte ich Adorno zitieren sollen?). Blues ist „Unterschichtenmusik“! Oder „Bullet to ride on“ mit der Zeile „Ask the doctor, there ´s no cure fort he pain in my heart“! „Open the Charity, Rock´n‘ Roll for Welfare“ sang Bon Scott, der charismatische Sänger, der Frauenheld und bunte Vogel, der für die virile Austrahlung und die einschlagenden, oft zweideutigen Texte verantwortlich war. „The Jack“ beschreibt (auf der Studioplatte) eine Pokerpartie, in der die besungene Dame noch einen Buben (Jack) im Blatt hat. Gemeint (und live auch anders gesungen) ist der Tripper (the jack), den die Dame hatte…

Nach seinem Alkoholtod wurde er durch den Geordie-Sänger Brian Johnson ersetzt, der weder gesanglich noch von der Austrahlung oder von den Texten her das Format seines Vorgängers erreichte. Jetzt wurde die Band wirklich die prollige Krawalltruppe, deren Höhepunkt während der Bühnenshow immer noch der nackte Hintern des Leadgitarristen ist.

Trotzdem ist sie der Soundtrack meiner frühen Pubertät und damit für mich nicht zu vergessen. Vor wichtigen Basketballmatches habe ich mit AC/DC heißgemacht. Noch heute ist sie die optimale Musik zum Joggen – so einen gerade gespielten 4/4-Takt findet man sonst selten! Die Gitarrensoli sind immer wieder aufregend, nicht zu vergleichen mit dem seelenlosen Geshredder der Trash-Metal-Bands heute.

AC/DC soll es noch geben, trotz der Drogenexzesse des Drummers Phil Rudd, der jetzt wieder zurückgekehrt ist, trotz des Alkoholentzugs von Malcolm Young, dem besten Rhythmusgitarristen des Planeten nach Keith, sie sind noch da. Angeblich sollen sie gerade eine Platte machen, die erste nach fast 10 Jahren. Aber sie wird meine Welt nicht mehr tangieren.

Für den, der auf diese Musik steht – es gibt Epigonen, die fast beängstigend ähnlich klingen- die (auch) australische Band Airbourne z.B. ist gerade in Deutschland unterwegs (www.airbournerock.com oder www.myspace.com/airbourne ) und wenn man sie hört, könnte man an Reinkarnation von Noch-Nicht-Toten glauben: sie klingen definitiv wie AC/DC, etwas jünger und moderner vielleicht. Den Speed-Blues von Danko Jones kann man auch dazuzählen.

Ein großes Denkmal wurde AC/DC in dem (wirklich guten!) Film „School of Rock“ mit Jack Black gesetzt. Schließlich studiert die Band aus Grundschülern unter der Leitung ihres durchgeknallten rockfanatischen Lehrers (der eigentlich keiner ist, sondern ein gescheiterter Rockmusiker) den AC/DC- Titel „It´s a long way to the top if you want the Rock´n´Roll“ ein, frei nach dem Motto: “Ein gutes Rockkonzert kann die Welt verändern!“. Im Original spielte der aus Schottland stammende Sänger Bon Scott übrigens Dudelsack, der einzige Rocktitel mit diesem Instrument, den ich kenne.

Auch und gerade als Bluesfan sollte man die ersten Platten dieser Band kennen, Titel wie „Lightwire“, „Ride on“, „Down Payment Blues“, „Night Prowler“ und andere sind Bluesrock at it´s best.

Für die weichgespülte Liedermacher- und Frauenversteherfraktion gibt es AC/DC auch in einer (Ehe-)frauenkompatiblen Akkustikversion von einem Mann namens Mark Kozalek, der sehr eigenständige Versionen früher Klassiker der Truppe verfremdet aufführt (er benutzt Mollakkorde!!!! – deswegen hat Ian Stewart mal die Stones verlassen…). Bei Amazon gibt es diese erstaunliche Platte noch.