sicherlich befanden wir uns beide kurz vor einer vollschacke.
mir war jedenfalls so, als würde mir aus einer noch nicht vorhandenen öffnung das gehirn auslaufen, und spürte, daß die seele sich im anstehenden ausfluß hineinbeißen würde, mir einen mehr als wirklichen strudel in der hinfälligkeit einer orientierung verpassen könnte.
die frau schnitt einen kaktus in ein paar einzelteile und schmierte sich den auslaufenden, milchigen saft der stachligen pflanze ins gesicht.
„wieso steckst du dir nicht die stacheln rein?“ fragte ich in meinem matschigen gefühl.
„du hast keine ahnung! das ist gut für die haut!“ sagte die frau, kam zu mir rüber und küßte mich.
ihr küssen regte meinen matschigen zustand auf und ich zog ihr ein paarmal meine ganze zunge über ihr gesicht. die frau schmeckte bitter.
als sie die wohnung verlassen hatte, schwoll meine zunge an. meine lippen blähten sich auf und mein gesicht wurde feuerrot und glühte. ich stand vor dem spiegel und glaubte es nicht. das ganze gesicht stremmte und versuchte zu wachsen. mein gesicht machte dasselbe wie die zum mund gehörenden lippen, und der zum gesicht gehörende mund hatte zu tun, daß er noch die zum kopf gehörende zunge herausstrecken konnte.
ich rannte zum telefon und rief bei einem hautarzt an.
„bitte, ich brauche noch heute einen termin!“ rief ich mit weinerlicher, verzweifelter stimme in den hörer, „mir schwillt so doll der kopf an, mein gesicht platzt gleich und die zunge wird immer dicker! bitte heute. bitte gleich.“
„sind sie von insekten gestochen worden?“ fragte die sprechstundenhilfe.
„nein, ich habe an einer frau geleckt! und die frau hatte sich mit kaktussaft eingeschmiert!“
„kommen sie vorbei.“ sagte die schwester.
ich steckte mich so schnell ich konnte in ein paar textilien und ein paar schuhe, rannte noch einmal zum telefon und rief meinen freund ulli an. ein hirn hockte aus dem dunkeln: „ulli, mir ist so furchtbar komisch, mein gesicht bläht auf, pusteln kommen da überall, die zunge ist ganz dick geworden und taub, und die lippen sehen aus wie blasen vom ballonkaugummi, mir platzt das alles bald, ist das ein ende, du!“
„war kaktusblüte bei dir?“ fragte ulli.
„mensch, was denn für eine kaktusblüte!!!“ schrie ich in den hörer.
„die frau, die sich immer am morgen danach mit saft von einem kaktus einschmiert! falls einer rumsteht.“
„mensch ulli, eh!!“ ich schmiß den hörer auf.
„kaktusblüte! kaktusblüte war bei mir!!!!“ schrie ich durch die bude und stellte mich mit meinem verquollenen gesicht in den bus.
menschen schauten mich an und schauten wieder weg, und ein paar menschen schauten erst wieder weg, als sie aussteigen mußten.

der arzt war ein sehr alter mensch.
„mensch, wie seh’n sie denn aus???“ fragte mich der alte mann.
„schlimm! ist es schlimm?“ sagte ich fragend, so gut, wie es sich mit meiner taubfühlenden, angeschwollenen zunge sagen ließ.
„ich bin schon sehr lange arzt, aber sagen sie mir, was sie angestellt haben.“ fragte er mich.
„ich habe mit einer frau was gehabt, die sich mit saft von einem kaktus eingeschmiert hatte.“
„was haben sie gehabt?“
„ich habe an der frau geleckt.“
der alte arzt schüttelte den kopf. „hier, ich schreibe ihnen was auf, das wird ihnen etwas linderung vom pflanzengift verschaffen. die schwester gibt ihnen noch einen neuen termin.“ er schüttelte noch einmal seinen kopf, fügte ohne aufzuschauen hinzu: „und schmeißen sie den kaktus raus.“

die menschen achteten erneut im bus auf mich. ich konnte nichts gegen ihr achten tun, doch zuhause warf ich meine kakteen raus, ließ das telefon klingeln, trug vorsichtig eine salbe auf mein gesicht auf und kühlte meine zunge.

SORGENICHs MITTWOCHs-REVUE 9