Seit 40 Jahren wirkt Emil Handke an Sankt Marien in Barth. Uwe Roßner sprach mit dem Kirchenmusikdirektor über sein Jubiläum.
WP: Wie kamen Sie nach Barth?
Handke: Meine Frau war damals für zweieinhalb Jahr Organistin in Ribnitz. Wir sind zwischen Weihnachten und Neujahr 1969 mit dem Zug nach Barth gefahren und haben einmal angeklopft. Im Mai gab es ein Vorstellungsgespräch im Gemeindekirchenrat. Hinterher dachte ich, ich werde bestimmt nicht genommen, weil ich sehr viel Nein gesagt hatte, was ich nicht machen möchte. Ich wusste nicht, wie das die Gemeinde aufgenommen hat. Nach sechs Wochen bekam ich eine Nachricht und die war positiv. Ab dem 1. Oktober anfangen durfte. Den Tipp für die Stelle gab mir ein Kommilitone.
WP: Welche Perspektiven sahen Sie in Barth?
Handke: Ich dachte, ich werde nicht so lange in Barth bleiben. Aber es kam natürlich alles ganz anders.
WP: Welches kirchenmusikalische Leben gab es in der Gemeinde vor ihrer Zeit?
Handke: Es gab einen Kirchenchor und ein Konzert im Sommer. Der damalige Pastor Möller sagte mir, wir seien keine Bädergemeinde. Mehr machen wir nicht.
WP: Wie veränderten Sie dies?
Handke: 1971 war das Jahr, in dem die Buchholzorgel 150 Jahre alt wurde. Ich habe gedacht, wir müssen mehr versuchen. Wir haben dann vier Konzerte mit dem größtmöglichen Werbeaufwand veranstaltet. Zahlreiche Briefe gingen raus und siehe da: Es wurde voll.
WP: War Ihnen der Wert der Buchholzorgel von Beginn an klar?
Handke: Als ich herkam, wollte ich eine Stelle finden, um überhaupt Kirchenmusik zu machen. Ich habe nicht im Traum daran gedacht, dass ich solch ein Kleinod unter die Finger bekomme. Das habe ich auch nicht sofort bemerkt, sondern ist mir im Laufe der Zeit bewusst geworden.
WP: Was hat sie damals fasziniert?
Handke: Wir hatten immer volle Kirchen. Mit handgemahlten Plakaten erreichte man viele Menschen. Es gab in dieser Zeit offensichtlich einen Hunger, etwas zu erleben, was vielleicht nicht durch den Staat reglementiert war.
WP: Wie entwickelte sich ihre Karriere als Organist?
In den ersten Jahren habe ich sehr viel geübt. Einladungen erhielt ich aus ganz Mecklenburg-Vorpommern, aus der ganzen damaligen Greifswalder Kirche. Dazu zählen die Greifswalder Bachwoche und der Schweriner Dom. Damals wurde ich auch ein bisschen bekannt. Durch diese Kontakte konnte ich gut nach Barth einladen. 1983 durfte ich im Leipziger Gewandhaus spielen. Nach 1985 ging es auch in den Westen.
WP: Wie entwickelte sich der Barther Singkreis?
Handke: 1974 kamen einige auf mich zu und fragten, ob wir nicht einen Kreis gründen, der regelmäßig singt. Insbesondere Leute von den Dörfern. Im Oktober begann die erste Probe mit 14 Leuten. Mit der Zeit kamen immer mehr dazu. Bachkantaten, Mozartmessen und Georg Friedrich Händels „Messias“ gehörten dazu. Wir haben dadurch auch viele Dorfkirchen besucht und mit Musik bereichert. Selbst heute ist der Chor nicht klein. Sechzig Noten muss ich immer bereithalten.
WP: Sie lehrten auch.
Handke: Ja. Von 1977 bis 1994 gab ich an der Kirchenmusikschule in Greifswald ein pro Woche sieben Stunden Orgelunterricht an einem Tag. Eine Fahrt nach Greifswald dauerte dank der Anschlüsse mit dem Zug allein zweieinhalb Stunden.
WP: Ein Meilenstein ihrer Laufbahn ist auch die Restaurierung der Buchholzorgel. Welche Bilanz zeihen Sie da?
Handke: 1994 haben wir den Förderverein Barther Kirchenmusik gegründet. Zurzeit sind wir 75. Mitglieder. Die erste große Aufgabe war, das Instrument zu erhalten und zu restaurieren. Das ist uns im Verlauf von acht Jahren geglückt. Wir sind ohne Schulden da herausgegangen. Da kann der Verein Stolz sein. Wir hatten Gelder vom Land, von Stiftungen und von vielen, vielen Spenden. Dieses große Unternehmen hat auch geholfen, die Buchholzorgel bekannter zu machen. In der internationalen Orgelwelt ist sie ein Begriff.
WP: Was für eine Zeit waren für Sie die neunziger Jahre?
Handke: Der Sommer 1989 war schon sehr bedrückend. Eindrücklich war für mich die Aufführung von Mozart Requiems zusammen mit Johann Sebastian Bachs Kantate „Weinen, Klagen, … Zagen“ am 19. September 1989. Ich hatte das Gefühl, jetzt tragen wir künstlerisch die DDR zu Grabe. Dann kam die spannende Zeit der Friedensgebete, in der mich stark eingebracht habe.
WP: Zwanzig Jahre arbeiteten Sie in der DDR, seit zwanzig Jahren in der BRD. Wie ist es für Sie diese Rückschau halten zu können?
Handke: Die ersten zwanzig Jahre in der DDR empfinde ich als sehr lang. Da musste ich mich in den Beruf finden. Es war manches sehr mühsam, manches aber auch einfacher als heute. Die letzten zwanzig Jahre vergingen wie im Fluge.