Eine Freundschaft zwischen einem vermögenden, querschnittsgelähmten Pariser und einem farbigen, kriminellen Pariser Vorstädter mutet kitschig an und bietet viel Raum für Klischees und Stereotypen. Der Film Ziemlich beste Freunde aber hat nichts von dem. Er ist eine begeisternde Abwechslung im Meer der Neuerscheinungen.

Der Film lief die ersten fünfzehn Minuten und mir kam dieser Gedanke schon zum zweiten Mal: Der Film ist leider schon bald wieder vorbei! Das lag nicht daran, dass ich dazu neige, mir die vermeintliche Zeitlichkeit schöner Dinge immer und immer wieder bewusst machen zu müssen, sondern daran, dass nur wenige Minuten genügt haben, um mich davon zu überzeugen, dass dies ein ganz besonderer Film ist. Und solche Filme sind – man denke an den ganzen Schrott, der jedes Jahr den Markt flutet – leider selten.

Zu Beginn war ich, ehrlich gesagt, skeptisch: Filme, die von Minderheiten handeln, dazu noch von Krankheit und Liebe, sind meistens ein Feuerwerk von Stereotypik, Kitsch, Dramatik und was sonst noch alles dazu gehört. Da bin ich geprägt vom deutschen Fernsehen, welches auf der einen Seite gern Filme produziert, deren Plot schon im Titel (Unter Umständen verliebt, Im Brautkleid durch Afrika) offen zu Tage tritt und bei denen es immer (nach ca. einer Stunde!) eine Zuspitzung gibt, die ein Happy End nicht ganz sicher erscheinen lässt, welches aber natürlich eintritt, denn im Leben der deutschen Fernsehmacher und des deutschen Fernsehpublikums ist immer alles gut. Auf der anderen Seite kaufen die deutschen Fernsehsender auch gerne Filme aus dem Ausland ein, die den eben beschriebenen Eigenschaften in keiner Weise nachstehen, im Gegenteil, diese noch viel theatralischer umsetzen und noch dazu mit Stars besetzt sind, was natürlich viel rausholt.
Ich war also skeptisch. Doch das ohne Grund. Der Film Ziemlich beste Freunde ist wunderbar anders.
Der vermögende, querschnittsgelähmte Philippe sucht einen neuen Pfleger und lädt potentielle Kandidaten zu einem Vorstellungsgespräch in seine Villa. Auch Driss ist da. Der farbige Vorstädter, der gerade einen sechsmonatigen Gefängnisaufenthalt verbüßt hat, will sich eigentlich nur auf einem Schreiben des Arbeitsamts bestätigen lassen, dass er Initiative bei der Jobsuche zeigt. Schnell ist er genervt von der Warterei und drängelt sich vor.

Driss ist davon überzeugt, sowieso keine Chance bei diesem Auswahlverfahren zu haben und entgegnet auf die Frage der besorgten Adoptivtochter von Philippe, ob er Referenzen habe: „Ja, durchaus, Referenzen habe ich. Kool & The Gang, Earth, Wind and Fire. Als Referenz nicht zu verachten, he?“ Philippe kenne diese nicht, Driss meint: „Also, wenn Sie die nicht kennen, haben Sie keine Ahnung von Musik!“ Philippe, der von sich behauptet, auf musikalischem Gebiet nicht ungebildet zu sein, stellt eine Gegenfrage: „Und Sie: Kennen Sie Chopin, Schubert, Berlioz?“, welche Driss zu der Aussage hinreißt, „Ob ich Berlioz kenne? Es würde mich wundern, wenn Sie Berlioz kennen!“ „Auf diesem Gebiet bin ich spezialisiert!“, sagt Philippe und Driss entgegnet: „Ah ja. Und was kennen Sie da? Welches Gebäude?“, was Philippe wiederum dazu verleitet, ausführlich zu erklären, wer Berlioz war, bevor er einem Stadtviertel als Namenspatron diente. Driss stellt daraufhin fest, dass er wisse, wer Berlioz war: „Aber mit dem Humor ist es wie mit der Musik. Davon haben Sie keine Ahnung!“  Das Interesse von Philippe wird durch das forsche Auftreten geweckt, er bittet Driss, am nächsten Tag wiederzukommen und stellt ihn für einen Probemonat ein.

„Nimm Dich in Acht, solche Leute kennen kein Mitleid!“ Dieser Rat eines befreundeten Rechtsanwalts steht sinnbildlich für die sich im Anschluss entwickelnde Beziehung zwischen „Pfleger“ und „Patient“. Philippe will kein Mitleid, sondern ernst genommen, nicht immer auf seine Behinderung reduziert und folglich bevormundet werden.

Driss macht genau dies: er bricht mit den Grundsätzen der bisherigen Pflege; er entscheidet sich für den Maserati anstelle des langweiligen Minivans bei gemeinsamen Ausfahrten – schon bei der ersten macht er dem immer wieder das Parkverbot vor der Einfahrt ignorierenden Nachbarn unmissverständlich klar, dass er vor der Einfahrt nicht zu parken hat – er begegnet den Panikattacken Philippes mit Spaziergängen und Joints und führt ihm die lächerlichen Besonderheiten seines elitär anmutenden Umfelds vor Augen. Kurz: Driss entführt ihn in ein vergessenes Leben.

Doch auch er profitiert von seiner neuen Tätigkeit: Driss bekommt ein ordentliches Gehalt, Kost und Logis; Philippe vermittelt ihm die Bedeutung der ein oder anderen Tugend, führt ihn in die klassische Musik und in die Kunst ein, inspiriert ihn sogar zum Malen und verkauft sein erstes Bild für 11.000 Euro an den oben erwähnten Rechtsanwalt.
Nebenbei schreiben Sie Briefe an Philippes Brieffreundin Éléonore, versuchen sie zu treffen – was auf Grund der Unsicherheit Philippes nicht klappt – fliegen Tandem – hier liegt übrigens der Grund für die Querschnittslähmung: nach einem Paragliding-Unfall ist Philippe vom dritten Halswirbel an abwärts gelähmt – feiern Philippes Geburtstag und lachen viel, wovon der Zuschauer niemals ausgeschlossen ist.

Die filmische Umsetzung des Plots, der auf einer wahren Geschichte beruht und von großartigen Drehbuchautoren zeugt – Olivier Nakache und Éric Toledano , die auch Regie geführt haben – steht diesem in nichts nach. Die ruhige, mit wenigen Bewegungen auskommende Kameraführung schafft eine Umgebung, in der sich die Figuren, deren Handlungen und Gespräche eindrucksvoll entwickeln können. Erstere sind liebevoll gezeichnet und werden von den einzelnen Darstellern – u.a. François Cluzet (Philippe), Omar Sy (Driss), Anne Le Ny, Audrey Fleurot, Clotilde Mollet und Christian Ameri – einfühlsam und sehr sympathisch verkörpert.

Die beiden anderen kommen ohne Klischees und Stereotypik aus, sind teils ironisch, teils wunderbar überspitzt, aber nie übertrieben. Die nicht selten im Film integrierten Raffungen – beispielsweise bei den eingangs beschriebenen Vorstellungsgesprächen, wo nur einzelne Aussagen der Bewerber pointiert wiedergegeben werden, welche aber gerade deswegen einen Überblick über die fragwürdigen gesellschaftlichen Einstellungen zu Behinderung und Pflege ermöglichen – schaffen im Zusammenspiel mit längeren, ausführlicheren Passagen – beispielsweise der Besuch der Oper, währenddessen Driss gelingt, die manchmal mit solch einem Ereignis verbundenen Absurditäten pointiert auf den Punkt und den Opernliebhaber Philippe nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Vergessen der mit diesem Ereignis verbundenen Etikette zu bringen – eine in sich stimmige Erzählung, die nie langweilig und vorhersehbar ist, sondern zu jedem Zeitpunkt Freude bereitet, bei der aber auch die kritische Auseinandersetzung der mit diesen Themen angesprochenen Probleme nicht zu kurz kommt.

Kurz: Dieser Film ist ein Muss, weil er eine begeisternde Abwechslung im Meer der Neuerscheinungen ist!{module Erik Münnich}