Die Menschen sind schlecht. Wie oft sagt man das so vor sich hin. Doch eigentlich bin ich ja der festen Überzeugung, ich gehöre nicht zu den Bösen. Jeder dürfte das von sich meinen. Doch die Bibel ist an der Stelle hart: Das Herz des Menschen ist böse von seiner Jugend an. Das meint – wenn man den hebräischen Sprachgebrauch ein wenig mehr ins Deutsche zieht: Das Wesen des Menschen, das was ihn im Innersten ausmacht, das ist böse. Es gibt dafür keine Ausrede. Mit dieser Feststellung hatte Gott im Anfang der biblischen Geschichte seine Begründung für die Sintflut: Schluss mit dem Experiment, lass uns neu anfangen. Spülen wir das alles in den Abluss. Es bringt nichts, sich weiter mit diesen Menschen abzugeben. Da ist Hopfen und Malz verloren.
Nur Noah wurde aus dem Urteil herausgenommen: Er war derjenige, der noch immer auf Gott hörte, mit ihm rechnete, sich auf ihn einließ. Er und seine Familie sollten verschont werden für den Neuanfang. Er und die Tiere. Was folgt ist die bekannte Geschichte mit der Arche, der Sintflut. Vierzig Tage lang Regen und Überschwemmung. Erst dann sank das Wasser langsam wieder.
1. Mose 8, 18 – 22
(18) Da ging Noah hinaus, [er] und seine Söhne und seine Frau und die Frauen seiner Söhne mit ihm.
(19) Alle Tiere, alle kriechenden Tiere und alle Vögel, alles was kriecht auf der Erde nach ihren Arten, gingen aus der Arche.
(20) Und Noah baute dem HERRN einen Altar; und er nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar.
(21) Und der HERR roch den wohlgefälligen Geruch, und der HERR sprach in seinem Herzen: Nicht noch einmal will ich den Erdboden verfluchen um des Menschen willen; denn das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an; und nicht noch einmal will ich alles Lebendige schlagen, wie ich getan habe.
(22) Von nun an, alle Tage der Erde, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
The Day after: Die Welt ein schlammiger Trümmerhaufen. Wo es weitergehen soll mit Mensch und Tier, ist noch nicht klar. Doch Noah und seine Familie denken erst mal nicht daran. Nein – und das ist wieder einer der Punkte, in denen sich Noah von anderen Menschen unterscheidet – Noah baut erst mal einen Altar. Gott hat uns bewahrt, ihm müssen wir danken, ohne ihn gäbe es auch uns jetzt nicht mehr. Ohne ihn brauchen wir uns auch keine Gedanken um das Morgen zu machen.
Angesichts dieses Dankgebetes Noahs gibt Gott ein Versprechen ab: "Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe." (Vers 21) Gott verspricht der Erde seine Treue, er will sie künftig durch und durch erhalten: "Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht." (Vers 22) Gottes Treue setzt einen neuen Anfang.
Überraschend ist die Begründung, mit der Gott seinen Treueschwur versieht. Es werden fast dieselben Worte gebraucht, die auch am Anfang der Noahgeschichte Gottes Reue und Vernichtungsabsicht begründen: "Als der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immer dar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden…" (1. Mose 6, 5) Und am Ende schwört Gott: "Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf." (Vers 21) Erstaunlich ist dies Wörtchen "denn"; wieso "denn"? Warum ist die Bosheit des Menschen einmal der Grund für Gottes Reue und Vernichtungswillen, und das andere Mal für Gottes Treue und Heilsversprechen?
Gott erkennt: Der Mensch ändert sich nicht in seiner Freiheit zum Guten und zum Bösen, er ändert sich nicht darin, faktisch immer und immer wieder das Böse zu wollen und zu tun. Der Mensch hört nicht auf, das Gute zu wollen und dennoch das Böse zu vollbringen. Zu welchen Großtaten der Kultur der Mensch auch fähig ist, zu welchen wunderbaren und erhabenen Kunstwerken der Musik, der Dichtung, der Malerei, der bildenden Künste, zu welchen Leistungen der Wissenschaft und Technik der Mensch auch immer in der Lage ist, – er bleibt ebenso dazu fähig, die schrecklichsten und grausamsten Verbrechen zu begehen und sich schlimmer als das blutrünstigste Tier zu verhalten. Dies gilt, solange der Mensch Mensch ist, solange er Natur und Kultur in sich trägt, solange der Mensch ist, was und wie er ist. Er ändert sich nicht.
Der Mensch ist ein hoffnungsloser Fall. Aber Gott ändert sich. Er erkennt: Aller Zorn, alle Rachegedanken ändern nichts. Nicht die Güte des Menschen oder seine Lernfähigkeit und Änderungsbereitschaft garantieren den Fortbestand der Erde und des Lebens, sondern allein Gottes Treueschwur, sein Versprechen, den Rhythmus des Lebens zu erhalten: "Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht." (Vers 22) Gottes 'Bund mit Noah' ist ein sehr einseitiger Vertrag, kein Vertrag auf Gegenseitigkeit.
Der "gute Rest" kann zum Anfang neuen Lebens auf Erden werden. Noah und die Menschheit nach Noah ist zum Zeichen geworden, zum Zeichen der Hoffnung, die einzig in Gottes Treue gründet. Diese Treue Gottes ist keine Garantie gegen das Böse im Menschen, gegen das Unheil, das der Mensch verursacht. Das Böse ist nicht beseitigt, denn (!) das Böse ist ja geradezu Anlass des Treueversprechens Gottes: Er wird treu sein und seine Schöpfung erhalten. Die Schöpfungsordnung nach Noah wird modifiziert, der Herrschaft und Dominanz des Bösen angepasst. Mit dem Kampf einer gegen den anderen ist nun zu rechnen; es wird Blutvergießen geben, und des Menschen Schöpfungsauftrag der Hege und Pflege wird sich in eine Weltherrschaft mit "Furcht und Schrecken" (1. Mose 9, 2) verkehren können. Aber die Erhaltung der Welt selbst steht nicht mehr auf dem Spiel. Gott steht immer für das Leben ein. Solange die Erde besteht, bleibt Gott seiner Schöpfung treu. Daran kann und wird auch alle Bosheit und Unvernunft des Menschen nichts mehr ändern.
Was uns am Leben hält, ist die Treue Gottes. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Dass wir einen Tag erleben mit Freude und Hoffnung, geschieht durch Gottes Treue. Dass wir nach Nächten der Angst und der Dunkelheit aufstehen und neu beginnen können, das liegt an der Treue Gottes.
Dass der Mensch und diese Welt eine Zukunft haben, die nicht in des Menschen Hand liegt, das liegt allein an der Treue Gottes. Gottes Treueversprechen gegenüber Noah begründet für die Menschheit Leben und Hoffnung. Noch mehr verbürgt sich Gott in seinem Wort Jesus Christus für den Menschen, wenn er in ihm sogar Schuld und Tod überwindet. Die Gnade Gottes macht, dass wir noch nicht gar aus sind. Dies gilt es festzuhalten. Der Mensch ist endlich und begrenzt; seine Möglichkeiten und Fähigkeiten sind endlich und begrenzt.
Das mag manchen immer wieder frustrieren – ich selbst empfinde das als eine große Erleichterung. Ich muss nicht der perfekte Mensch sein. Ich muss meine Unvollkommenheit nicht mögen, aber ich kann immer wieder neu anfangen, an meinen Fehlern zu arbeiten. Davon geht die Welt nicht unter. Das ist das große Versprechen Gottes.