Ich persönlich mag solch kleine Festivals. Verbinden sich doch in diesem speziellen Fall Kurzweiligkeit und High Quality zum kleinen Preis. So geschehen auf der Zitadelle in Berlin- Spandau im Rahmen des all-sommerlich stattfindenden Citadel-Music-Festivals. Die in Berlin ansässige Berthold Seliger-Konzertagentur lud zum 25jährigen Bestehen an diesen legendären Ort mit seinem unschlagbaren Ambiente ein. Logisch, dass da ein Line-up aufgefahren wurde, dem man schwerlich als Musikliebhaber entkommen konnte.

PATTI SMITH & her Band und CALEXICO am 2. Juli 2013 auf der Zitadelle zu Berlin-Spandau.

Für die ersten 250 Ticketorderer gab es den Eintritt sogar zum Jubilee-Vorzugspreis von 25 € plus einer Live-CD for free! Wenn das nicht ein gutes Omen sein sollte, dann weiß ich auch nicht mehr! Und im Gegensatz zum am Abend zuvor an gleicher Stelle stattfindenden Auftritt von ZZ Top herrscht für die heutigen Besucher fast schon Kaiserwetter. Recht so! Und auch für die Zitadelle gilt wie z.B. für die Waldbühne: Nicht allzu viel nach 22 Uhr (spätestens 22.30 Uhr!) hat wieder Ruhe auf dem Konzertgelände zu herrschen. Ansonsten drohen auch hier drastische Strafen! Das wiederum erfreut den Konzertbesucher wie mich ungemein. Bedeutet dies doch, einen zügigen und durchgeplanten Konzertabend vor sich zu haben. Und in der Tat: Pünktlich wie apostrophiert beginnt 18 Uhr dieses Minifestival, um dann pünktlich 22.27 Uhr zu enden. Und das Line-up hat es wie schon angedeutet mehr als in sich!

Na klar wird eine Patti Smith mit ihrer Band dem Anspruch, Mainact an diesem Abend zu sein, voll und ganz gerecht. Frank und frei zelebriert die Schamanin des Rock’n’Roll den Abschluss und das unbestrittene Highlight dieses doch ganz schön ehrwürdigen Abends. Nein, dem Schönheitsideal einer Frau on Stage oder auch anderswo zu huldigen, war nie ihr Ding und wird es auch nicht mehr. Wozu auch! Einmal mehr betritt die inzwischen über 66-Jährige mit Pudelmütze über dem wirren langen Haar, schwarzem Jackett und Stiefelletten die Bühne. Wohl wissend, dass ganze Heerscharen von Generationen zu ihr aufblicken, sie verehren – ja, vielleicht sogar anbeten. Und so zelebriert sie zusammen mit ihrer seit Jahren konstant besetzten Tourband eine Rock’n’Roll-Messe der besonderen Art. Wie sie dabei auf ihre Besucher links und rechts der Stage zugeht – ja an den Bühnenrand tritt – mutet wirklich bisweilen wie eine Messe an. Freudig winkt sie in die Menge, verneigt sich und hat jede Menge Messages im Gepäck, die sie gern und mit Andacht unters Volk bringt. Sie hat längst ihren Seelenfrieden mit all den Unwägbarkeiten auch in ihrem Leben geschlossen und wird trotzdem nicht müde, immer wieder diese lästigen Alltagsthemen anzusprechen, die uns die Augen öffnen und uns auf den Weg zu Besserem bringen sollen. Und wenn eine Patti Smith Wasser predigt, dann meint sie das auch so und in ihrer Bühnen-Porzellantasse war bestimmt ein gesunder Kräutertee (garantiert ohne Zusätze). 80 Minuten Bühnenpräsenz dieser Art haben auch hier durchaus einen Vorteil gegenüber einem Full-Length-Concert.

Neigt doch das Set zu einer komprimierten Form, das den sogenannten (und erwartbaren) „Hits“ zu mehr Geltung verhelfen kann und wird. So jedenfalls an diesem Abend! Mit Langzeitdauerbrennern wie „Dancing Barfoot“, „Pissing In The River“, „Because The Night“, „Land“ + „Gloria“ (beide gehen fließend und unmerklich ineinander über) und „People Have The Power“ lässt Patti Smith mit Longtime-Gitarrist Lenny Kaye und Mannen das Konzertgelände erbeben und das Konzertvolk im anbrechenden Abendhimmel verzücken.

Zwei Coverversionen – nämlich „Summertime Blues“ und „Privilege (Set Me Free)“ – öffnen insbesondere mir das Herz. Wobei das bei letzterem noch uneingeschränkter zutrifft. Bei diesem Song werde ich so richtig in meine eigene Jugend zurückkatapultiert. Gehörte der Titelsong – inbrünstig zelebriert von Paul Jones (damals Vorsinger beim legendären Manfred Mann und heute bei der inzwischen nicht minder angesagten Blues Band) aus dem gleichnamigen englischen Film von 1967 doch zum damaligen Kult. Ich glaube, ich habe mir den Film 1969, als er endlich auch in der DDR gezeigt wurde, mehr als einmal reingezogen. Auch und gerade wegen diesem Song. Wer damals irgendwie sein musikalisches Handwerk einigermaßen beherrschte, versuchte diesen Song in sein Band-Repertoire aufzunehmen. Und wer etwas auf sich hielt, musste diesen Song einfach lieben. Ihn nun wieder von Patti Smith und ihrer Band zu vernehmen, bereitete mir ein unglaubliches Gänsehaut-Gefühl.

Ganz anders Calexico aus Tucson/Arizona, der Metropole und Wiege des Desert Rock. Rich Hopkins hatte die Stadt Mitte der 80er Jahre mit seinen damaligen Sidewinders zum dem gemacht, was sie heute ist. Und damit hat er für mich den Südwesten der Vereinigten Staaten in gewissem Sinne zur Zweiten Heimat gemacht. Wenn ich hier von Viruosität bei Calexico spreche, so darf man diese Floskel ohne Übertreibung auf Joey Burns und John Convertino von Calexico anwenden. Insbesondere Convertino beherrscht das Schlagzeugspiel – nein, die Percussion mit dem Schlagwerk – so virtuos wie kaum ein anderer seines Genres. Wie er die Becken oder die Hi-Hats streichelt, ihnen gar zu schmeicheln scheint, lässt den intensiven Betrachter mit offenem Mund im weiten Rund zurück. Das ist Musikalität allerhöchster Qualität! Auch die Stellung der Drums an der Außenseite verdeutlicht seine zentrale Rolle in dieser Band. Natürlich wäre auch er nichts ohne sein musikalisches Gegengewicht und Kopf der Band: Joey Burns. Er gibt den Songs Calexico’s erst den dafür erforderlichen Drive, erschafft die Grundzüge der Soundstrukturen und bietet den Lyrics erst das wahre Zuhause. Und dann diese Stimme! Herzzerreißend und wohl auch ein Garant dafür, dass Calexico schon seit ein paar Jahren auf einer derartigen Erfolgswelle surfen – nicht nur in den Staaten sondern weltweit! Bedenkt man außerdem, nicht nur von wo sondern von wem Joey und John in der Vergangenheit musikalisch geprägt worden – nämlich Howe Gelb’s Giant Sand oder von Rainer Ptacek – dann weiß man, dass dies nicht von ungefähr kommt. Und indem sie sich von Howe Gelb (dem Genie und Querdenker) lösen konnten, war der Weg als Mainstream-Act möglich und begehbar.
Auch bei bei diesem 65-minütigen Auftritt: Die Komprimierung auf eine vorgegebene Konzertlänge stand dem Gesamtbild der Performance gut zu Gesicht. Denn im Gegensatz zu dem einen Tag später ebenfalls besuchten Konzert von Calexico in Dresden, war das auf der Zitadelle über weite Strecken rockiger angelegt traf damit meinen Geschmacksnerv intensiver. Klar, dass das neueste Album der Band „Algiers“ den Hauptanteil der Setlist an diesem Abend ausmacht: „Epic“, „Splitter“, “Sinner In The Sea“, Para“ oder „Fortune Teller“. Danben stand Bewährtes wie „Roka“ oder ganz neue Stücke wie „Dead Moon“. Ein Song ist mir allerdings ganz besonders im Gedächtnis geblieben: „Love Will Tear As Apart“ – eine exzellente Coverversion der legendären Joy Devision. Zum Glück hatte Joey Burns zu Beginn dieses Parts irgendein kleines technisches Problem mit seiner elektrisch verstärkten Acoustic-Gitarre. Also schnappte er sich kurzerhand seine Elektrische und so rockte man sich mit insgesamt 3 Gitarren durch diesen Klassiker der Rockmusik. Genial und nicht unbedingt üblich bei einem Calexico-Konzert! Nicht unerwähnt dürfen natürlich die handwerklichen Fähigkeiten der weiteren Calexico-Mitstreiter bleiben! Erst alle zusammen ermöglichen diesen klanglichen Schmelztiegel aus Desert Rock und Mariachi.