Robert Johnson ist eine Legende. Seine wenigen Lieder werden voller Ehrfurcht immer wieder nachgespielt. Seine nur in Bruchstücken bekannte Biografie ist Thema zahlreicher Bücher und Filme. Und dann ist da vor allem die Sache mit dem Teufel, dem er seine Seele verkauft haben soll, um so spielen zu können. Die Legende hat längst die Fakten völlig überlagert. Und hier setzt Elijah Walds Buch „Vom Mississippi zum Mainstream. Robert Johnson und die Erfindung des Blues“ an. Der Musiker und Musikwissenschaftler hat sich in seiner Arbeit die in den Augen der Fans sicher blasphemische Aufgabe gestellt, den 1911 geborenen Robert Johnson als Teil einer Geschichte der Popmusik darzustellen und nicht als das einsame Genie, den von Dämonen gejagten Künstler.
Der Blues der 20er und 30er Jahre, wie er heute in der Literatur dargestellt wird, ist eine Konstruktion, eine Fiktion von Weißen. Auf der Suche nach den Quellen der Volkskunst waren Musikologen wie Vater und Sohn Lomax seinerzeit losgezogen, um die unverfälschte Musik der arbeitenden Menschen in den USA zu dokumentieren. Je primitiver, je archaischer die Ergebnisse ihrer field-recordings ausfielen, desto näher glaubten sie sich an der Quelle. Und deren Evangelium wurde letztlich von weißen Jünglingen in Großbritannien gläubig aufgenommen und in ihre Form der Rockmusik übersetzt. Dass dabei das eigentliche Bluesgefühl oft zu Gunsten instrumentaler Höchstleistungen verloren ging – wen interessiert das, wenn Mick Jagger auf der Bühne tobt wie ein Derwisch oder Eric Clapton oder Jimmy Page in die Saiten hauen? DER BLUES. Das ist etwas Heiliges für diese damals noch Jugendlichen. Das ist die reine Erinnerung an die Dämonen des Deltas, an die Sklaverei auf den Baumwollfeldern. Der Blues ist Kunst, so wie die Musik eines Duke Ellingtons Kunst ist, wie Picassos Bilder und Strawinskys Ballettkompositionen Kunst sind. Er gehört in die Kulturtempel.
Doch der Blues, wie wir ihn heute kennen, war eigentlich eine der ersten Moden der Popmusik. Als 1912 die ersten Bluestitel in Druck gingen und bald darauf im Lande populär waren, da war das eine Folge davon, dass es schick war, die Wurzeln der Musik in den Südstaaten ein wenig deutlicher zu präsentieren. Davon geht Elijah Wald in seiner Untersuchung aus. Den Interpreten des Blues ging es darum, als Musiker erfolgreich zu sein. Sie wollten Engagements jenseits der Spelunken ihrer unmittelbaren Umgebung. Sie wollten Platten produzieren und damit Geld verdienen. Und das konnte man nur, wenn man sich der Mittel des Marktes bediente und auf die Wünsche des Publikums einging. Schon der selbsternannte „Vater des Blues“ W.C. Handy und noch mehr die ersten „Königinnen des Blues“ in den 20er Jahren spielten Musik, die weit entfernt von den field hollers der Baumwollfelder waren. Blues war eine Modemusik. Bluesmusiker wollten von ihrer Musik leben und legten es nicht darauf an „reine Kunst“ zu schaffen oder als Bewahrer einer unverfälschten Volkskultur zu leben.
Auch Musiker wie Robert Johnson sahen sich – so Wald – immer als Künstler, die mit ihrer Musik auf dem Markt erfolgreich sein wollten. Und das ging nur, wenn sie in ihre Stücke die jeweils aktuellen Trends einbezogen. Johnson, auch wenn er selbst für Musiker wie Skip James und seinen persönlich anrührenden und aufwühlenden Stil schwärmte, schrieb seine Songs und Arrangements ganz bewußt mit dem Blick auf erfolgreiche Künstler wie Peetie Wheatstraw, Kokomo Arnold oder Lonnie Johnson. Ja, er spielte nicht nur den Blues des Mississippi-Deltas sondern konnte auch Swing oder Country interpretieren, wenn das gewünscht war. Was ihn auch im Nachhinein als einen der wichtigsten Bluesmusiker, die je erfolglos waren, auszeichnet ist die Professionalität, mit der er seine Stücke auf das Medium der Schallplatte abgestimmt hat: Seine Lieder sind clever konstruiert, sie sind – im besten Falle – persönlich und musikalisch so vielseitig, wie es zu der Zeit nur wenige Gitarristen waren.
„Escaping the delta“ – so der Originaltitel von Walds Buch – macht erfreulicherweise Schluss mit der durch die Folkbewegung aufgebrachten Heiligsprechung des „originalen“ Blues. Auch wenn der Autor selbst von dieser Argumentation seit seiner Jugend geprägt war, hinterfragt er die letztlich kaum zu haltenden Lehrsätze der Bluesgeschichtsschreibung in der Nachfolge von Lomax und Charters. Und das macht sein Buch zu einem besonders lesenswerten Werk. Abgesehen davon ist hier endlich mal eine halbwegs sachliche Zusammenstellung aller möglichen Zeitzeugenberichte über das Leben von Robert Johnson zu finden. Insgesamt ist „Vom Mississippi zum Mainstream“ eines der wichtigsten Bücher über die Geschichte des Blues seit einigen Jahren. Oder wie es „Booklist“ nicht ohne Grund zusammenfasste: Wenn Sie nur ein Buch über den Blues lesen wollen, dann lesen Sie dieses!“
Elijah Wald: VOM MISSISSIPPI ZUM MAINSTREAM. Robert Johnson und die Erfindung des Blues
432 Seiten,
19,95 €
ISBN: 978-3-8077-1079-2
Verlag Rogner & Bernhard. Erhältlich bei Zweitausendeins.