Foto: www.brucespringsteen.netWährend von Spiegel bis zur Morgenpost das Konzert von Bruce Springsteen und seiner E-Street-Band im Berliner Olympiastadion euphorisch feiern, ist unser Autor Billy the Kid anderer Meinung. Aber hier spricht ein Gitarrist, der kein erklärter Fan vom „Boss“ ist.

Zur neuen Tournee von Bruce Springsteen hat sich die Presse schon im Voraus überschlagen: Lange bedeutungsvolle Interviews im Rolling Stone, der sogar eine eigene Sonderausgabe harausbrachte, hymnische Besprechungen der ersten Konzerte in der SZ und in anderen Blättern. Mit seinem neuen Album surft der Boss auf dem Occupy-Zeitgeist, Kapitalismuskritik und Beschwören der alten amerikanischen Werte in einer biblisch geprägten Sprache. Die rot-grün geprägte Medienlandschaft ist begeistert, Springsteen liefert den Soundtrack zu Krise.

Gestern nun war der Boss in Berlin. Wie war er denn nun? Nun, er war zu spät, in Berlin werden nicht nur Flughäfen später fertig, auch der Dauerstau an den ewigen Baustellen der Stadtautobahn sorgt dafür, dass die Vans des Meisters zu spät ins Olympiastadium rollen. Mit 20 Minuten Verspätung geht es los. Die E-Street-Band ist mittlerweile zu einem Orchester veritabler Größe mutiert, neben den drei Gitarristen (Steve van Zandt, Nils Lofgren und Springsteen) kommen noch Geige bzw. Akkustikgitarre, eine 5köpfige Bläsersektion, zwei oder 3 Backgroundsänger sowie die übliche Band mit einem Pianisten und einem Keyborder, der teilweise aufs Akkordeon umsteigt.

Begonnen wird mit neuen Songs, erst nach ca. 40 Minuten kommt der erste bekannte Song. Ehrlich gesagt war ich nie der große Springsteen-Fan, obwohl das „Born in the USA“-Album sicher ein absolutes Highlight der Rockgeschichte ist. Beim Konzert wird mir klar, warum ich mit der Musik wenig anfangen konnte – die Menge an Musikern erzeugt einen Klangbrei, der irgendwie immer gleich klingt. Gitarren sind kaum zu hören, warum gleich drei bzw. 4 Gitarristen auf der Bühne stehen, ist unbegreiflich – es gibt im ganzen Konzert nur ein Gitarrensolo, ansonsten schrammeln die Gitarreros mannhaft Lagerfeuerakkorde. Komplexität kann man Springsteens Musik nicht vorwerfen, wahrscheinlich sind sogar Songs von Dieter Bohlen anspruchsvoller. Letztendlich ist es orchestrierte Lagerfeuermugge. Riffs bzw. markante Gitarrenlinien gibt es nicht (oder sie gehen im Soundbrei unter), der Boss läßt bis auf den Saxofonisten (der auch im letzten Solo die Töne nicht richtig trifft) auch kaum jemanden brillieren. Lediglich das Schlagzeug von Max Weinberg treibt die Songs mit Wucht an. Ansonsten eine Art Wall of Sound, selbst die Solospots für van Zandt fehlen. Aber eventuell hat der ja im Zuge seiner Schauspielerkarriere (er spielt einen Gangster und Stripklub-Besitzer in der megaerfolgreichen HBO-Serie „Die Sopranos“) verlernt, wie man spielt.

Oder vielleicht sollte Bruce mal bei seinem Kollegen Tom Petty zuhören, wie man gute Musiker in Szene setzt. Der Sound im Stadium ist auch nicht optimal, teilweise pfeifen Feedbacks.

Aber der Boss rackert und schuftet, seine Stimme und Bühnenpräsenz zeigen Wirkung. Und er weiß, wie er das Punblikum auf seine Seite holt, selbst ein kurzes Stagediving gehört dazu. Um 21.45 dann „The Rising“, die Stimmung steigt. Aber kurz darauf wieder Akkustiksongs auf dem Ökobrett (Akkustikgitarre) vom neuen Album. Erst bei der ersten Zugabe („Born in the USA“) rastet das Stadion komplett aus. Irgendwie scheint sich die Stimmung auf den Boss zu übertragen, die Zugaben nehmen kein Ende, er bringt viele seiner großen Hits („Glory Days“, „Dancin´ in the Dark“, „Born to run“), so dass die letzte Stunde dann doch noch ein großes Ereignis wird. Der Boss fällt auf die Bühne und wird mühsam von Little Steve mit Wassser wiederbelebt. Es ist fast 23.00! Der alte Mann hat es dann doch noch allen gezeigt.