Es ist schon länger her, dass Tomas Fichtner in unserem Magazin eine Reihe mit Rezensionen zum Gesamtwerk von Depeche Mode begonnen hat. Jetzt können wir diese Reihe endlich fertigstellen. Und wenn die Band im nächsten Jahr ein neues Album veröffentlicht, dann setzen wir sie natürlich fort.

Der grosse Bluff! Ich bin nicht nachtragend, vielleicht ein wenig engstirnig. Nach „Exciter“ und seinen Bell´schen (kraftlos wirkenden!) weichen, digitalen Klangexperimenten sollten sich DM jedoch auf ihre „alten“ Stärken rückbesinnen. Sie taten es, geführt vom Produzenten Ben Hillier (U2, New Order, Blur, Elbow). Das gesamte Album ist recht düster gehalten, die Texte pessimistisch. Es wurde verstärkt auf raue, analoge Klänge mit Verzerrungen und Übersteuerungen gesetzt. Am Ende des Arbeitsprozesses im Studio musste dann „nur noch“ das Songdutzend ausgewählt werden – und sie haben gut gewählt…

Die erste Single-Auskopplung „Precious“ – Track Fünf des Albums -, ein emotional- melancholisches Pop-Meisterwerk, erinnerte mich verdammt an „Enjoy the silence“ – geschmeidiger Entspannungs-Pop. Nun hätte man ja vermuten können, dass der am 14.10.2005 erschienene Longplayer ein „Violator“-Clon werden würde. Nein! Der „Bluff“ ist gelungen. „Precious“ passt eigentlich nicht in das Gesamtklangbild von „Playing The Angel“.

Der Opener „A Pain That I´m Used To“ beginnt erst einmal mit einer fies verzerrten Gitarre – und ich erinnere mich wieder. Nun an das Opening von „Songs Of Faith And Devotion“. Doch diesmal übernimmt anstelle des bluesigen Gitarrenriffs ein Blubberbaß, eingespielt vom besten Ein-Hand-Keyboarder der Welt ( Nach Jahren hat Andy Fletcher mal wieder aktiv an einem Musikstück mitgewerkelt.). Inmitten sperriger Synthieeffekte und wummernder dunkler Beats beschwört Frontmann Dave das eigene Leid – und Martins Gitarre tröstet sanft. Ein cooler Song mit dem Hallo-Wach-Effekt!

Das erste Highlight des Albums folgt: „John the revelator“. Zackig kommt er daher – der (Gospel)blues. Inspiriert durch das gleichnamige Traditional experimentiert sich die Band  in elektrostatische Katharsis. Der Song erinnert mich ein wenig an „Personal jesus“ bzw. „Pleasure, little treasure“.

Es folgt, entsprungen aus Gahan´s Feder, „Suffer well“. Der Popsong – und gar nicht mal so schlecht – bebt mit stetem Tritt auf die Bassdrum den Dancefloor. Bemerenswert finde ich, dass dieser Song 2007 für einen „Grammy“ nominiert wurde.

„The sinner in me“ verzweifelt zu zerfallenden Riffs – das musikalische Kleinod und zweite Highlight des kreisrunden Silberlings. Ein Kumpel meinte gar, dass dies ein klassischer „Kiffer-Song“ sei. Nunja, was immer das sein mag, mir persönlich fehlen da empirische Vergleichswerte. In vollendet triefender und düsterer Monotonie, durchzogen mit Industrial-Elementen, sorgt „The sinner in me“ für die „gewisse“ Atmosphäre mit Hang zur Elektronikavantgarde.

Dagegen wirkt „Macro“, gesungen von Martin Gore, auf mich wie ein Rohling und viel zu theatralisch. Auch die an das Peinliche grenzende Zeilen: „Whispering cosmos / Talking to me / Unlimited endless / God breathing through me“ lässt mich die Frage stellen: Warum musste sich das Seelenheil unbedingt in verquaster Esoterik und unironischer Selbstüberschätzung in diesem Song suchen?

„I Want It All“ – Queen? Nein! Gahans zweiter Streich. Und Streich ist hier das zu betonende Wort. Nicht gerade seine stärkste Nummer gemessen an den beiden anderen Songs. Die dunklen Beats und atmosphärischen Geräusche erinnern mich stilistisch eher an seine erste Solo-Scheibe.

Nun wird es wieder interessant. Mit „Nothing’s impossible“ folgt sogleich der dritte Beitrag des Frontmanns – und um es vorweg zu nehmen, auch sein bester. Anfänglich musste ich mich wiederholt in das Liedchen hineinhören. Jedesmal blieb ich beim Refrain hängen. Immer wieder und nochmal obendrein – einfach Klasse gemacht. Es erinnert mich an „Clean“ oder „To have and to hold“. Schade, dass dieser Track keine Single wurde – verdient hätte er es gehabt.

Nach dem Instrumentalstück „Introspectre“ folgt das von Gore gesungene „Damaged People“. Die Wirkung des Songs liegt zwischen gewohnt melancholisch, etwas verspielt und musicalhaft. Es erinnert mich irgendwie an Andrew L. Webber. Es folgt das großartige, gradlinige und uneingeschränkt tanzbare „Lillian“. Einzig allein als störend empfinde ich die zu stark verzerrte Stimme Gahans. Mit „The Darkest Star“ endet das Album. Als würde der Song das Motto der Scheibe („pain and suffering in various tempos“ – „Schmerz und Leid in verschiedenen Tempos“) nochmals zusammenfassen, wird der Hörer von einer düsteren Komprimierung aus Melancholie, Trauer, Schmerz und aufkeimender Hoffnung gefangen.

Fazit: Depeche Mode Jahrgang 2005 haben sich auf soundtechnische Stärken zurück besonnen. Jeder Song ist musikalisch ausgewogen. Man nähert sich den perfekten Popminiaturen, die man von „Violator“ kennt. Ein starkes Album! Mehr davon…

Hörempfehlungen: „The sinner in me“, „Nothing´s impossible“, „John the revelator“ und „Precious“

Anmerkungen: Es gibt eine „Playing The Angel – Instrumentals“ – Limited Edition, die ich unbedingt empfehlen kann. „Lilian“ zum Beispiel hört sich ohne die verzerrte Stimme Gahans ganz anders an.