Zu den prägenden Erinnerungen an Rockmusik in der DDR gehört für viele das legendäre Konzert von Bruce Springsteen in Ost-Berlin 1988. Dieser Auftritt bildete eine Steigerung zu den vorangegangenen Konzerten etwa mit Bob Dylan, Joe Cocker oder Santana im Arbeiter-und-Bauern-Staat.
Wieder ein Sommer. Mit dem Fahrrad wollen wir durch Polen fahren. Auf Umwegen habe ich mir ein Schreiben besorgt, was mir diese eigentlich unmögliche Reise ins Land der Solidarnosc ermöglichen wird, ordentlich abgestempelt von der Deutschen Volkspolizei. Zuvor ist aber noch ein Umweg aus dem Vogtland nach Radeberg zu einem Klassenkameraden. Und dann: schon wieder ein Gerücht: Springsteen spielt in Berlin.
Nach den Konzerten im letzten Jahr und den Auftritten von Joe Cocker und Santana war das schon nicht mehr so unwahrscheinlich. Man hatte sich schnell dran gewöhnt, dass die FDJ-Kulturfunktionäre sich jetzt in großem Maßstab als Konzertveranstalter engagierten. Also: Ein Zwischenstopp in Berlin auf dem Weg nach Greifswald.
In Dresden dann der erste Schock: Schon am Bahnhof Neustadt, etwa fünf Kilometer von der nächsten Autobahnauffahrt entfernt, stehen die Anhalter dicht an dicht. Alle mit dem Schild „Berlin“ oder mit einem Lächeln voller Vorfreude im Gesicht. Zum Glück für mich war ich alleine unterwegs. So war der erste LKW, der vorbeikam meiner. Und ich war unterwegs. Irgendwann schmiß der Fernfahrer mich raus, er musste irgendwo abbiegen. Doch allzu lange stand ich nicht, als ein Trabbi mit drei jungen Männern mich auflas. Auch sie wollten zum Konzert.
In Weißensee verloren wir uns recht schnell aus dem Auge. Doch verabredeten wir uns für hinterher, so daß ich mein Urlaubsgepäck im Auto ließ.
Unwahrscheinlich die Menschenmengen, die sich am Konzertgelände schon am Mittag versammelten. Herrlicher Sonnenschein, genügend Kassen-Wagen (20 Mark der DDR der Preis), lockere Gespräche. Grinsen macht sich breit, als sich herumspricht, dass der Boss auf dem Abhängen eines großen FDJ-Transparents hinter der Bühne bestanden haben soll. Statt dessen hängt dort jetzt das „Tunnel of Love“-Transparent seiner aktuellen Tour.
Es wird voll auf der Wiese. Irgendwie hab ich einen Stehplatz in der ersten Hälfte der Massen gefunden. Bewegung ist nicht mehr möglich. So scheint es zumindest. Als die E-Street-Band die ersten Akkorde erklingen lässt, werde ich eines Besseren belehrt. Ein Schieben und Drängeln in Richtung Bühne setzt ein. Hinten muss der Sound einfach zu mies sein. Doch Springsteen rockt voller Spaß durch sein Programm. Die Hits von der Born in the USA kommen ebenso wie das grandiose Because The Night oder seine Interpretation von „War“. Und das ist nicht eine Anbiederung an die Genossen. Irgendwann holt er auch noch eine Frau aus dem Publikum zum Tanzen auf die Bühne. Eine grandiose Party – bei der man irgendwann sogar mal wieder genug Platz zum Atmen hatte.
Die mehr als drei Stunden gehen dahin wie nix. Irgendwann ist einfach Schluss und die Massen bewegen sich in Richtung Ausgang.
Ich komme an den Parkplatz in einer Seitenstraße: Das Auto mitsamt meinem Gepäck ist fort. Ausweis, das kostbare Polen-Visum, Konserven für drei Wochen Radtour, die mühsam ergatterte LP von Santana – alles weg. Adressen hatten wir nicht ausgetauscht. Fiasko. Urlaub ade! Müde und frustriert ziehe ich mit den Massen erst mal zum Ostbahnhof. Natürlich fährt auch kein Zug mehr nach Greifswald. Doch der Bahnhof wirkt eh wie ein riesiges Schlaflager für Ostdeutschlands versammelte Hippies. Müde und verknittert suche ich mir den ersten Zug nach Norden. Statt Urlaub ist Rumhängen im Wohnheim angesagt. Die Tour an die polnische Ostseeküste startet ohne mich. Vierzehn Tage später erst kann ich mir mein Gepäck bei einer Berliner Polizeiwache abholen. Mein Rucksack war einfach in einen Hinterhof geworfen worden. Seither ist mein Bedarf an Großkonzerten eigentlich gedeckt.