Und dann gibt es von Anfang an auch die Pianisten, die sich nicht vordergründig um das gepflegte Stadtpublikum kümmern. Denn seien wir mal ehrlich: die pianistischen Höchstleistungen von Boogie Stars wie Lewis oder Ammons wurden vor allem in New York in schicken Cafés präsentiert. Und die lyrischen Ergüssen von Carr waren auch eher Hausfrauenmusik, die nicht wirklich rockte.
Wochenendblues zum Besaufen und Abtanzen
Klavierspieler wie Little Brother Montgomery, Memphis Slim oder Champion Jack Dupree kamen eher aus anrüchigeren Etablissements. Man spricht hier von Barrelhouse-Piano von den provisorischen Kneipen, wie sie etwa in Holzfällerlagern unterhalten wurden, wo der Schnaps gleich vom Fass in die Gläser und dann in die Kehlen floss. Hier kam es nicht auf gepflegte Unterhaltung an, bei der Fingerfertigkeit und kompositorische Rafinesse gewürdigt wurden. Hier überlebte nur, wer die richtige Stimmung für ausgelassene Wochenendbesäufnisse machen konnte. Ein solider Boogie-Rhythmus ist da natürlich wichtig. Aber ebenso auch die Texte, die sich hauptsächlich um Alkohol und Frauen drehten. Und das oft nicht verschämt in Metaphern verpackt, sondern direkt und roh.
Die das Erbe des Deltas auf dem Piano klingen kann, das zeigt eine Aufnahme von 1924. Der damals erst 14jährige Hersal Thomas zählte trotz seiner Jugend zu den besten Pianisten in Chicago, er spielte mit Bluessängerinnen zusammen und selbst mit Louis Armstrong. Sein Stück „The Fives“ ist nicht mehr wirklich Ragtime – und noch nicht Boogie (auch wenn Thomas für viele Pianisten einer der „Erfinder“ des Boogie war). Doch es bringt den rockenden Beat der Stadt zusammen mit den Tanzmelodien und dem Anklang des Deltas.
Die Liste der Pianisten der Barrelhouse-Tradition ist lang. Dieses Spiel ließ sich hervorragend etwa in den großstädtischen Sound des Chicago Blues nach dem Zweiten Weltkrieg integrieren. Und auch heute ist der Sound der improvisierten Blueskneipen noch lebendig. Pianisten wie Erwin Helfer oder Barrelhouse Chuck, Keyboarder wie der Kanadier David Vest oder Chuck Leavell oder auch das Duo The Claudettes haben in den letzten Jahren aufregende Scheiben jenseits purer Vergangenheitsverklärung veröffentlicht. Und bis zu ihrem Tode 2013 gehörte auch Ann Rabson zu den Musikerinnen, die nicht nur die Tradition hochhielten, sondern auch ihre eigene Note beifügten.