Songbook-Aufnahmen, also Neuinterpretationen von zu Klassikern gewordenen thematisch geordneten Liedern, sind mal wieder in. Während Tower of Power sich zu ihrem 40jährigen Bestehen an das Great American Soulbook setzten, kommt die neue CD von Bettye LaVette quasi als späte Reaktion auf die British Invasion. Interpretations versammelt Songs britischer Rockmusiker und führt sie zurück zur schwarzen Musik.
Auch wenn LaVette schon seit den 60er Jahren als Sängerin aktiv ist, hat sie doch erst seit rund zehn Jahren bei Fans und Kritikern die ihr gebührende Anerkennung gefunden. Mit Alben wie Scene of the Crime beweißt sie auf umwerfende Art, dass sie zu den besten Soulsängerinnen zur Zeit gehört. Und sie ist noch die davor zurück geschreckt, Lieder anderer Interpreten komplett neu zu interpretieren. Wie ein Song ursprünglich mal geklungen hat, ist ihr egal. Wichtig ist, dass sie ihn sich völlig zu eigen macht.
Und so ist Interpretations kein langweiliges Absingen lieb gewordener Klassiker (wie es etwa Rod Stewart meist bei seinen Aufnahmen aus dem Great American Songbook in den letzten Jahren zelebriert hat) sondern eine zutiefst mitreißende Sammlung von Soulsongs – die halt alle irgendwann mal von britischen Rockmusikern (The Who, The Beatles, Pink Floyd, The Animals, Elton John,…) geschrieben wurden.
Hatte LaVette schon auf ihrem Vorgängeralbum einen Song von Elton John okkupiert – anders kann man ihre Interpretation von Talking old Soldiers kaum nennen, nimmt sie jetzt mit „I Won’t Let The Sun Go Down On Me“ für sich in Anspruch. Und Elton John ist ehrlich begeistert. Manche Kritiker sehen in der Neufassung gar eine im Vergleich zum Original wesentich bessere Interpretation.
Gleich mehrere Stücke des Albums stammen aus dem Beatles Umfeld: The Word von „Rubber Soul“ wird zum Big-Band-Soul. Paul McCartneys Maybe I’m Amazed und George Harrisons Isn’t It A Pity: Die Orginalfassungen sind meilenweit entfernt. Und man hört sie ähnlich radikal neu, wie man das damals bei Ray Charles Version von Eleanor Rigby konnte: Es sind einfach großartige Songs mit jeder Menge Seele – und nicht einfache Popnummern, auch wenn sie ursprünglich so daher gekommen sein mögen.
Nun mögen Fans von Pink Floyd (deren Wish You Where Here ist beim ersten Hören überhaupt kaum zu erkennen. Erst langsam entwickeln die Begleiter der Sängerin die bekannten Melodiebögen) oder von Led Zeppelin sich fragen, ob diese Interpretationen nicht einem Sakrileg gleich kommen. Ich glaube, wir brauchen noch mehr von diesen Alben. Schon allein deswegen, dass wir erkennen, wie viel die fast komplett weiße Rockmusik eigentlich dem Blues und Soul verdankt.
Und Bettye LaVette hat mit der Platte mal wieder deutlich gemacht, dass sie eine der unwahrscheinlichsten Stimmen der Zeit besitzt: So rauh und fast brutal – und dann wieder so voller Klage und Verletzlichkeit singt momentan einfach niemand. Und das macht Interpretations zu einem so wundervollen Erlebnis.
- Interpretations: The British Rock Songbook
- Label/Vertrieb: ANTI-/Indigo
- Webseite: www.bettyelavette.com
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