Das 1972 veröffentlichte Gospelalbum Amazing Grace gehört zu den besten Platten, die Aretha Franklin je aufgenommen hat. Die 1992 erschienenen Complete Recordings bringen sämtliche bei zwei Konzerten für das Album mitgeschnittenen Titel in ihrer ursprünglichen Reihenfolge.

Manche meinen: Aretha Franklin habe nie wieder eine solch inspierierte und mitreißende Platte aufgenommen wie das 1972 erschienene Gospel-Album Amazing Grace. Andere ließen sich sogar zu der Aussage hinreißen, dass Gott als Frau sicherlich eine Stimme wie Aretha haben müsste. Doch von all der Schwäremerei abgesehen ist Amazing Grace eines der besten Gospelalben aller Zeiten. Die 1999 veröffentlichte Gesamtaufnahme bringt die beiden Konzerte vom 13. und 14. Januar 1972 in ihrer ursprünglichen Reihenfolge und weitgehend von späteren Bearbeitungen und Overdubs bereinigt.

Schon als Teenager begann Aretha Franklin als Gospelsängerin und Pianistin mit ihrem Vater aufzutreten. Ihre ersten Platten – über das Blueslabel Chess vertrieben – waren ebenfalls christlichen Inhalts. Und sie zeigen, wie schon die junge Sängerin mit ihren Zuhörern kommunizieren und mit ihrer Stimme die Gemeinde aufrütteln konnte. Dass sie allerdings nach ihren ersten gefeierten Soulalben bei Atlantic 1972 ein neues Gospelalbum einspielte, galt damals noch als Überraschung. Wer einmal der Kirche den Rücken gekehrt hatte für den besseren Verdienst als Rhythm& Blues oder Soul-Sänger, hatte normalerweise keine Chance für eine Rückkehr.

Die beiden Konzerte, die Aretha im Januar 1972 mit Reverend James Cleveland und dem Southern California Comunity Choir gab, sind der Gegenbeweis für diese Annahme. Die Stimmung ist von vorn bis hinten die eines Gottesdienstes, Chor und Solisten predigen mit ihren klassischen Liedern, aktuelle Popsongs wie Marvin Gayes „Wholy Holy“, Carol Kings „You Got A Friend“ oder George Harrisons „My Sweet Lord“ werden wie selbstverständlich christlich eingebunden. Und die Zuhörer reagieren wie Gottesdienstbesucher in einem Baptistengottesdienst und bestätigen die Aussagen der Musiker, treiben sie zu immer neuen Höhen. Ein unglaubliches Dokument der Musikgeschichte. Die Gänsehaut kommt bei jedem neuen Hören zurück.