Apostelgeschichte 02,42-47 – Die Loser werden eine Gemeinde – 16. Mai 2010

 

 

Ihr Lieben,

es ist für mich immer eine der größten Wundergeschichten der Bibel: Der Beginn der ersten christlichen Gemeinde. Nun könntet ihr sagen: Was ist daran so Besonderes? Gerade wenn man es mit dem Wunder von Ostern vergleicht? Ok, Ostern ist großartig: Gott hat Jesus von den Toten auferweckt. Das meint: wir müssen mit unserem Denken nicht ständig um den Tod kreisen. Es gibt eine Hoffnung über die Grenzen unseres Daseins hinaus. Dank sei Gott!

 

Doch schauen wir uns die Typen an, denen Jesus zuerst erschien: Völlig verängstigte Frauen, die erstmal nur davon laufen nachdem sie die Botschaft erhielten. Und die Truppe von Jüngern, die sich nach der Hinrichtung völlig verängstigt in ihren Häusern eingeschlossen haben: von denen ist eigentlich nix zu erwarten. Feiglinge wie Petrus. Oder Zweifler wie Thomas. Die haben eine Botschaft bekommen und wissen nix damit anzufangen. Scheinbar.

 

Denn plötzlich kommt das wirkliche Wunder: Dieser Haufen von Losern fängt plötzlich an zu predigen. Die verängstigten – und theologisch nicht gebildeten – Fischer und Handwerker stehen auf und predigen. Sie predigen so, dass man ihnen zuhört. Dass man sie versteht. Und dass sie überzeugend wirken. Das ist das Wunder, das ich meine.

Und dann folgt das zweite Wunder damals, fast genau so groß: Die Leute finden zusammen zu einer Gemeinde. Denen ist die Botschaft, die sie gehört haben, so wichtig, dass sie sie unbedingt miteinander teilen wollen. Und das nicht nur sporadisch. Nein, jeden Tag. Beim Reden genauso wie beim Essen. Wir gehören zusammen! Das wollten sie zeigen.

Ein wenig wie einen Rückblick fürs Familienalbum hat der Verfasser der Apostelgeschichte diese Zeit zusammengefasst. Ich lese die letzten Verse aus dem 2. Kapitel des Buches:

(42) Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten.
(43) Es kam aber über jede Seele Furcht, und es geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel.
(44) Alle Gläubiggewordenen aber waren beisammen und hatten alles gemeinsam;
(45) und sie verkauften die Güter und die Habe und verteilten sie an alle, je nachdem einer bedürftig war.
(46) Täglich verharrten sie einmütig im Tempel und brachen zu Hause das Brot, nahmen Speise mit Frohlocken und Schlichtheit des Herzens,
(47) lobten Gott und hatten Gunst beim ganzen Volk. Der Herr aber tat täglich hinzu, die gerettet werden sollten.

Familienalbum? Dort kommen ja normalerweise nur die schönen Erinnerungen rein. Und daher findet sich am Anfang der Geschichte eben nichts von Streitigkeiten, nichts von Ängstlichkeiten. Nein, hier wird für die Nachkommen ein wahrscheinlich etwas idealisiertes Bild gezeichnet. Aber ein Bild, das all das enthält, was an einer Gemeinde wichtig ist:

Kein rigoroses Leitbild will die Erzählung von Lukas sein, aber beileibe nicht nur ein bloßes Erinnerungsstücklein, sondern ein lebendiges Urbild, das in uns Sehnsucht weckt. Und Sehnsucht weckt schon einiges in diesem Bericht. Nicht alles, aber vieles spricht mich an.

Ich beginne am Ende: Diese Gemeinde wächst. Es kommen Menschen dazu. Die müssen nicht mit Werbestrategien gezogen werden, mit Versprechungen gelockt werden; die spüren, dass da etwas passiert, was echt ist. Da sind Menschen auf dem Weg, die glaubwürdig und ehrlich sind. Die auch nicht als pure Moralapostel auftreten sondern fröhlich und freien Herzens einladen zum Glauben. Und sie kommen dazu. Gott fügt sie hinzu. Er läßt es ihnen kalt und warm werden. Er macht ihnen Feuer unter den Hintern und das Herz heiß. Und die bekommen eine Sehnsucht. Mein Leben war bisher ja ordentlich, rechtschaffen und nicht all zu langweilig, aber das Wichtigste hat gefehlt.

Dieses Bild einer wachsenden Gemeinde fasziniert mich, das wünsche ich mir auch. Aber wie lebt diese Gemeinde, dass es so attraktiv ist, dazu zu kommen, mit dazu zu gehören? Unsere Kirchen haben ja eher fortlaufenden Erfolg; es laufen ihnen die Leute fort. Und deswegen tut es uns not, dieses Urbild freizulegen, und zu fragen: Was ist damals richtig gelaufen – und was haben wir heute verlernt oder vergessen?

 

Kopf einschalten!

Das Erste was Lukas von dieser neuen Gemeinde erzählt, ist, daß sie sich mit Ausdauer um den Kern, um den Inhalt gekümmert haben. Sie haben nach der Lehre der Apostel gefragt. Und Fragen waren sicher erlaubt. Sie haben so lange gefragt, bis sie es kapiert haben. Und niemand hat ihnen das Fragen verboten.

Heute treten wir oft so auf: Das musst Du halt glauben. So ein Spruch ist genau falsch. Wenn wir was nicht verstehen, dann müssen wir fragen. Dann müssen wir einander fragen, dann müssen wir die Bibel als das Zeugnis der Christen seither fragen, dann müssen wir Gott im Gebet fragen. Fragen sind wichtig. Wer nicht fragt bleibt nicht nur dumm. Der kann auch nicht wirklich glauben.

Fragen sind wichtig – denn schließlich geht es beim Christsein ja um elementar wichtige Fragen. Um Gott und die Welt – um Leben und Tod.

Fragen waren damals erlaubt. Die Gäste werden die Apostel, die Augenzeugen gelöchert haben: "Hat Jesus wirklich gesagt, ich soll die andere Backe hinhalten, wenn mich einer schlägt. So was Verrücktes habe ich ja noch nie gehört." "Und daß die Römer ihn hingerichtet haben, das soll für mich gut sein? Versteh ich nicht…" "Auferstanden. Ihr habt ihn wirklich gesehen!" Diese Fragen waren erlaubt!

Wachstum von Gemeinde beginnt nicht mit dem perfekten Rahmenprogramm, mit anspruchsvollen Räumen und nettem Ambiente, sondern mit dem Kern. Und Denken ist dabei erlaubt. Du mußt nicht glauben. Du darfst alles fragen.

Erwartet was von Gott!

Die ersten Christen waren Juden. Und was sie als Juden wußten, war, daß man von Gott viel erwarten darf. Man darf von ihm alles erwarten, auch wenn alles dunkel aussieht. Damals hatte Israel schon eine lange weit über tausend Jahre alte Geschichte. Und die Juden wußten 40 Jahre ägyptische Wüste. Gott hat uns durch geführt. 70 Jahre Gefangenschaft in Babylon. Und er hat uns bewahrt. Diese Christen, die noch Juden waren, die wußten: Man kann von Gott viel erwarten.

Und so haben sie viel von Gott erwartet: und sie haben viel gesehen. Wie Gott Menschenherzen verändert: Wie aus Traurigen Menschen fröhliche Menschen wurden, wie aus Kranken Gesunde Menschen wurden, wie aus hartgesottenen Egoisten Leute wurden, denen Herz und Portemonnaie aufgingen, wie aus ewigen Streitern Versöhnte wurden!

Wir sind eher Skeptiker und Pessimisten: "Ach, ich weiß auch nicht, was noch werden soll. Er wird doch immer schlimmer." Gerade wir Deutschen lassen uns gern von kritischen Gedanken auffressen. Aber diese Christen in Jerusalem hatten die unbändige Erwartung, zu erleben, daß Gott etwas tut: Daß er kaputte Menschen heil gemacht hat. Und das haben sie erlebt.

Beim Geld fängt die Freundschaft an!

Das ist besonders ungewöhnlich für uns heutige Menschen: Da ist den Menschen damals plötzlich ihr Besitz nicht mehr wirklich wichtig. Sie teilen alles miteinander. Wer was braucht, dem wird gegeben. Das ist revolutionär. Letztens versuchte einer meiner Bekannten im Internet die Leute zu provozieren. Er schrieb: Heute dürfte Jesus als Kommunist nicht mehr in die Vereinigten Staaten einreisen. Die Reaktionen, die kamen, waren so, wie man sie erwarten konnte: Die ganzen frommen Amerikaner schäumten vor Wut und Unverständnis. Wie kann man sowas sagen? Jesus ein Kommunist? Wie sollten sie auch verstehen, dass genau das, was die Jünger der ersten Gemeinde gelebt haben, das genau das das eigentliche Ziel des Kommunismus in der Theorie ist. Jeder bekommt, was er braucht. Keiner darf auf Kosten der Anderen sich bereichern. Das ist Gütergemeinschaft. Das kann man gut als Urkommunismus bezeichnen.

Als gut 1100 Jahre, nachdem Lukas das beschrieben, in Italien der Sohn eines reichen Tuchhändlers, Giovanni Bernadone, genannt Franziskus von Assisi, den elterlichen Reichtum verlassen hat, losgezogen ist, mit ein paar Freunden, um auf alles zu verzichten und um Jesus zu den Menschen zu bringen, da hat er etwas losgetreten, daß er nie vorher gedacht hat. Die Menschen haben ihm geglaubt: Er und seine Freunde, die auf den Reichtum verzichteten, waren glaubhaft, das war authentisch, das waren keine feisten Priester, die doch nur Geld wollten, die Keuschheit lehrten und irgendwie doch immer eine Frau im Bett hatten. Franz von Assisi war einer, der diesen Impuls der ersten Gemeinde aufgenommen und vermehrt hat.

Wir sind davon weit entfernt. In der privaten Abgeschottetheit, wo manche von der Sorge ums Geld erdrückt werden: Sei es die Last der Schulden, oder die Angst bei der falschen Anlageform eine Million zu verlieren.

Ich bin selbst weit davon entfernt. Lebe privat und denke: Dieser urchristliche Kommunismus, das ist doch Utopie. Aber gleichzeitig spüre ich: so viel brauche ich eigentlich nicht. Ich habe eigentlich alles und noch mehr. Mir geht’s gut. Und ich hab Hartz IV.

Rausgehen ist wichtig!

Es hat mich gewundert. Diese Christen gingen immer noch in den Tempel. Täglich. Der Tempel war die Kultstätte der Juden. Ja, waren die noch Juden? Das waren doch jetzt Christen?! Wieso haben die sich nicht entschieden? Man muß doch deutlich machen, wer man ist und wer nicht, was man will und was nicht. Ich gehöre zu dem Verein – mit denen habe ich nichts am Hut.

Etwas später schon in der Geschichte der jungen Kirche hagelte es Abgrenzungen: Die Juden von den Christen, die Christen von den Juden, die Christen, die zuerst Juden waren, trennten sich von den Christen, die zuerst Griechen waren.

Die ersten Christen in Jerusalem sagten nicht: So nun gehen wir nicht mehr in den Tempel, sondern sie gingen hin, auch wenn sie einiges anders verstanden. Weshalb wächst diese Gemeinde? Weil sich ihre Glieder nicht abgrenzen, abschotten, sondern hingehen: Signalisieren. Wir haben immer noch viel gemeinsam. Wir gehören zusammen. Auch wenn wir in einigen Fragen unterschiedlicher Meinung sind. Und in diesem gemeinsamen Leben, das sie nicht nur mit denen im inneren Zirkel teilen, wird für die anderen die Freude erfahrbar, die ein Leben mit Christus bringt. Durch diese Offenheit, durch den Verzicht auf die permanente Abgrenzung ist der Topfdeckel geöffnet: jeder kann kommen. Und keiner wird ausgegrenzt, der bei uns sein will.

Und dann noch was: Freut euch! Aber wirklich!

Friedrich Nietzsche, der große Philosoph, sagte über die Christen, daß er ihnen ja schon glauben würde, wenn sie erlöster aussehen würden. Erlöst sahen sie nicht aus, eher angestrengt.

Diese ersten Christen haben ihre Freude nicht verborgen und das war ansteckend. Das Abendmahl und der Gottesdienst war keine todernste Sache, sondern eine fröhliche Angelegenheit. Es war kein Büßermahl, das man nur im schwarzen Anzug nehmen konnte, sondern Vorgeschmack des Himmels, vom Fest, das Gott bereithält.

Die ersten Christen hatten auch nicht immer Grund zum Jubeln. Die werden bei Beerdigungen laut geklagt haben, weil es ihnen auch weh tat. Die haben auf Knien gelegen und gebetet, später, als sie verfolgt wurden, aber sie haben, wenn die Freude da war, sie auch gezeigt und das hat ansteckend und authentisch gewirkt. Und das sollte man auch uns anmerken. Heute und an jedem Tag.

AMEN.