Wenn man sich mit dem früheren Stones-Bassisten Bill Wyman unterhalt, beginnt das natürlich musikalisch. Doch schon bald wird man durch und mit Bill und seinen weiteren Leidenschaften Fotografie, Geschichte und Archäologie fortgerissen. Insgesamt ist das ein interessanter Ritt, ein überraschendes Abenteur, wo er in einer Minute über Musiker witzelt und in der nächsten über das Finden römischer Münzen, internationale Foto-Ausstellungen und den ironischen Fakt, dass er niemals in der Lage war, die Stones auf der Bühne zu fotografieren, weil er mit ihnen auf derselben stand.

„Aber ich hab all die Backstage-Fotos. Die interessanteren, wo sich Mick Jagger die Socken anzieht“, lacht er.

Da lauert etwas hinter jeder Ecke bei diesem komplexen Mann, der sich für so viele Dinge mehr interessiert, dass allein das Zuhören anstrengen und berauschen kann, ganz zu schweigen davon, wie er sich über die vielfältigen Aktivitäten dem diesjährigen Meilenstein nähert.

Mit der bevorstehenden Veröffentlichung seines ersten Soloalbums seit über 30 Jahren erklärt er, dass das Material auf der neuen Platte „Back To Basics“ aus einem Mix von alten Liedern, die er geschrieben und als Demos aufgenommen aber nie veröffentlicht hat und neuen besteht, die speziell für dieses Projekt geschrieben wurden. Alle wurden auf einem Heimrekorder aufgenommen, reduziert bis auf die Knochen – im wahrsten Sinne „Back To Basics“ – und die musikalische Begleitung wurde auf ähnliche Weise aufgenommen mit Wyman selbst an Bass und Gesangsmikrophon, begleitet von einigen seiner besten Freunde, von Soulblues-Sängerin Beverlee Skeet und Gitarrist Terry Taylor, beide aus der Kernbesetzung seiner anderen großartigen Band The Rhythm Kings. Hinzu kommt noch Mark Knopfler‘s Kumpel Guy Fletcher als Keyboarder und Produzent Glyn Johns. So entstand ein einzigartig kraftvolles, souveränes und selbstbewusstes Album.

Schon jetzt erhält es positive Kritiken rund um die Welt, und Wyman ist sichtbar zufrieden zu wissen, dass er noch großartige Songs wie aus dem Hut hervorbringen kann.

„Es ist interessant,“ merkt er an: „Das Feedback war bisher großartig, wirklich positiv. Einige – meistens andere Musiker – haben mir gesagt, einige der Texte seien ein wenig verschroben.“

Ein Stück, der Opener des Albums mit insgesamt zwölf Liedern, „What & How & If & When & Why“ erscheint auch als Single, ein Lied mit einem leicht bedrohlichen, fast unheimlichen Unterton. Er sagt, er habe es urpsprünglich geschrieben, nachdem er Bob Dylans Video für „Subterranean Homesick Blues“ gesehen habe, wo er Blätter mit Wörtern zur Seite wirft. Aber das herausgekommene Lied ist überhaupt nicht wie Dylans, fügt er hinzu. Der Text schildere seine Sorgen über den Lauf der Dinge allgemein und das Leben auf den Straßen heutzutage. „Glyn Johns und ein Haufen anderer Musikerfreunde haben es angehört und meinten, es würde einge gute Single ergeben. So hab ich das gemacht“, sagt er.

Gefragt, warum so lange Zeit zwischen seinen Soloalben liegt, legt er nur klar, was aus seinem umfangreichen Lebenslauf deutlich wird: Er war einfach zu sehr damit beschäftigt, sein Leben zu führen und die Unmenge anderer Interessen zu verfolgen: Fotografie, Geschichte/Archäologie, die Entwicklung von Metall-Detektoren und The Rhythm Kings. Er ist auch verdientermaßen stolz auf sein preisgekröntes Buch „Bill Wyman‘s Blues Odyssey“, das 2002 von der amerikanischen Blues Foundation mit dem „Keeping The Blues Alive Award“ für Literatur ausgezeichnet wurde. „Buddy Guy und BB (King) sagten mir, es sei das beste Buch über die Musik, das sie gelesen hätten. Das bedeutete mir eine Menge.“

Ein Mann vieler unerwarteter Seiten ist unser Bill, viel mehr als nur ein weiterer alter Rock & Roller, soviel ist klar. Eine Karriere an der Spitze der Musikszene mit den Rolling Stones wäre für die Meisten mehr als genug gewesen. Aber er setzte sich nicht einfach zur Ruhe, nachdem er die weltgrößte Rock & Roll Band 1993 verlassen hatte. Während der 80er Jahre, als er noch mit den Stones unterwegs war, begann er eine neue Karriere in der Musikszene mit dem großen internationalen Überraschungshit „Je Suis Un Rock Star“, den er ursprünglich als Demo für den verstorbenen Ian Dury geschrieben hatte. Aufgenommen wurde der Song dann mit großem Erfolg von Bill Wyman. Später gründete er die band Willie and The Poor Boys, eine Gruppierung, die ein Vorbild, quasi ein Prototyp für sein gegenwärtiges Vehikel für Touren und Plattenaufnahmen, The Rhythm Kings.

„Back To Basics“ ist ein Album, das ohne Anstrengungen Rock mit Bluesuntertönen mischt und eine Aura von trügerischer Lässigkeit mit Songs, die unter die Haut gehen. Und auch wenn er jetzt eine Menge Promotion im Radio und anderen Medien macht, um das neue Album zu bewerben: so bald wird er damit nicht auf Tour gehen – wenn überhaupt.

„Ich bin kein offenherziger Mensch. Ich kann das nicht. Das ist eines der Dinge, an denen man wirklich arbeiten muss. Aber das bin ich nicht! Ich find es zu schwer zu versuchen, gleichzeitig zu singen und Bass zu spielen! Ich mach das mit den Rhythm Kings mit unseren alten Songs, aber wenn ich Bass spiele, vergesse ich die Worte. Und wenn ich singe, tendiere ich dazu die Basslinie zu vergessen. Das ist also nichts für mich“, spottet er reumütig. „Ich war normalerweise im Hintergrund mit Charlie und hielt den Beat kräftig und solide, hielt den Rhythmus und war nicht im Vordergrund mit Mikro wie Mick.“

Heutzutage komponiert er mit der Hilfe einer akustischen Gitarre, wo er die Melodie zusammenbring mit Bassläufen und dem Spiel auf einzelnen Saiten. „Ich mach keine Akkorde“, sagt er. „Obwohl ich auch ein wenig Piano gespielt habe.“

Als ich beiliäufig meine eigene Liebe zur Bluesmusik erwähne, explodiert er förmlich vor Interesse und erzählt, wie er plötzlich bei einer seiner Töchter im Teenageralter herausgefunden hat, dass sie sich für diese Musik zu interessieren beginnt, ein Musikgenre, das für viele junge Mengen wenig attraktiv zu sein scheint. So frage ich ihn: Hast Du ein Lieblingsstück im Blues? Er wird still und sagt nach paar Sekunden stillem Nachdenken: „Howlin Wolf mit Goin Down Slow, die Version mit Willie Dixon. Und Muddy, das versteht sich ja von selbst.“ Wyman hat natürlich mit Howlin Wolf aufgenommen und erinnert sich sehr gut an die Session.

Am Ende kann ich der Versuchung nicht widerstehen und frage ihn, ob er einen Lieblingstrack von den Stones hat. Wieder denkt er nach, bevor er bestätigt, das „Parachute Woman“, einer von deren weniger bekannten Songs vom 1968er Album „Beggars Banquet“ sein Favorit ist. Nicht nur das, der Mann steigt mit seiner charakteristischen rauhen Stimme in den Text ein, bevor er noch anmerkt, dass das eines der Stücke ist, die selten zu hören sind oder gespielt werden.
“Das erinnert mich an Bo Carter und die Doppeldeutigkeit vieler alter Bluesnummern“, merke ich an. “Parachute woman, land on me tonight,” witzelt er zustimmend und lacht.

Bill Wymans neues Album „Back To Basics“ soll am 22. Juni beim Label Proper Records herauskommen.