„und, was läuft? lange nicht gesehn, was gibt’s neues?“ wollte er von mir wissen.
„nichts. nichts passiert.“ antwortete ich ihm.
„nichts erlebt?“ fragte er nach.
„ach.“ sagte ich „immer dieselbe scheiße. was soll man denn erleben? und du?“ fragte ich zurück.
„hab letzte woche ’ne verdammt heiße schnalle aufgerissen.“
„und wo?“ wollte ich wissen.
„hab ich hier aus dem laden rausgefischt.“
„und deine frau, was sagt die dazu?“ fragte ich mehr so aus jux.
„mutti weiß davon doch nichts, die freut sich nur über meine gute laune und dann geht’s richtig ab.“
„was geht ab?“
„na, dann läßt mutti auch verschärft was gucken.“
„ach so.“ sagte ich gelangweilt.
„und bei dir? wann hast du das letzte mal was gehabt?“ wollte er wissen.
„ich hab jeden tag was.“ sagte ich.
„mann, ich meine nicht bei mutti, sondern so zwischendurch.“
„vor dreizehn, nein, stimmt gar nicht, wart mal.“ ich rechnete nach: „vor sechzehn jahren.“
„ach die scheiße.“ hörte ich, „ist das wahr? das kann doch nicht sein, man muß doch mal zwischendurch was anderes haben, sonst wird ein mann doch irre.“
„vielleicht.“ antwortete ich und dachte an meine zwölf psychiatrieaufenthalte in den letzten fünf jahren.
„was ist los? früher warst du doch nicht so, hast doch nichts anbrennen lassen. bist du krank, mein alter freund? das leben ist geil. guck mich an. schau dir die mädels an. das ist das leben. und mit mutti, das ist was anderes.“
„das ist auch leben.“ antwortete ich leise.
„ja klar, und trinken tust du auch nichts mehr! machst mir nochmal eins und ein alkoholfreies?“ das mädel hinterm tresen nickte seine bestellung ab.
„die ist auch scharf. arbeitet schon zwei monate hier. hat son blöden köter zuhause und zwei katzen, die viecher hab ich beide male in der küche eingesperrt. schau dir die mädels hier an und trink endlich mal was anderes.“
ich schaute mir die mädels an. mehr mädels als männer in dem laden. ich schaute sie mir an, schwenkte den kopf abwechselnd von einer auf die andere seite. sah, wie ein mädel zurückschaute und sah wieder weg, starrte meinem bier auf’s etikett, zog ein bißchen dran, schaffte es, eine ecke des etiketts zu lösen und riß es in der mitte durch.
„ja, und genauso machst du es mit den mädels auch.“ lachte er und ich hörte: „das mit den dreizehn oder fünfzehn jahren glaub ich dir nicht, du haust mir hier ganz schön die taschen voll, mein freund.“
„sechszehn jahre.“ verbesserte ich ihn.
„spinner.“
„na ja, ich war mal bei ’ner nutte. hier irgendwo in der gegend, knarrendorf oder kastendorf oder so ähnlich hieß das nest. und von der hab ich mir mal was anderes erhofft. hat mir die eier geleckt und einen runtergelutscht. aber alles total lau, weißt du? da hab ich anbei gedacht, für das bißchen laues geknabber und gelutsche laß ich hundert euro hier, das ist doch scheiße, und irgendwann plätscherte ich zwischen ihrem gelutsche lustlos ab. ich glaub, die hat auch geschluckt. na und, hab ich gedacht, das ist bei meiner frau alles viel besser, macht irgendwie mehr spaß, auch wenn man das alles schon kennt, jede bewegung, jedes geräusch und so, na eben alles.“
„ja klar, bei mutti ist alles besser, auch der käsekuchen den sie backt, kann keiner besser backen, und der schweinebraten, was ist der doch bei mutti lecker, und das ostergebammsel in der bude, und die so schön in liebe aus den kartons rausgekramten weihnachtskugeln und der geschmückte tannenbaum, den ich jedes jahr unter streß aus den letzten noch verbliebenen krücken aussuche, und die plätzchen bei mutti sind auch die besten.“
„die nutte in knastendorf oder wie das nest hieß, hatte da auch osterzeug zu hängen, alles kahl übers zimmer verstreut, aber sie hatte einen großen flachbildschirm zu stehen, da lief gerade ein fußballspiel, die ganze zeit anbei und nicht mal leise.“
„kannst froh sein, daß da nicht auch noch ein vergessener mit lametta behangener weihnachtsbaum rumstand. bei mir hätte mutti den sowieso längst entsorgt, auf so was achtet sie immer, und das osternest wär dicht geschmückt… aber um noch mal auf meine frau zurückzukommen, ich lobe sie ja auch immer dafür, für den osterschmuck und weihnachtsschmuck, für ihren kuchen, den braten, für alles. das ist ganz wichtig, dieses loben, das ist wirklich ganz, ganz wichtig, daß man das macht. das ist zwar arbeit, dieses loben für all den mist, aber egal was ich dann auch anstelle, sie liebt mich dafür…“
„wir haben all die jahre keinen tannenbaum gehabt und zu ostern schmücken wir auch nichts.“ fuhr ich ihm dazwischen. „da bin ich mir einig mit meiner frau.“
„mensch, mann, nutten sind scheiße, das ist mist. du brauchst was anderes zwischendurch. doch nicht solchen scheiß, das zieht einen doch nur runter. verstehst du, was ich meine? du mußt richtige frauen haben, richtige frauen brauchst du, doch nicht solche dreckschlampen, die jeden ranlassen. du brauchst frauen, die es für ’ne flasche wein machen oder einen schönen hergerichteten käsesalat, oder für gar nichts, weil sie einfach lust haben, auf dich oder mich oder auf sich selbst, oder die sich anders beweisen müssen, sexuell, wegen ihrer psyche oder was auch immer, aber nicht indem sie ihre mösen an jeden dahergelaufenen idioten verkaufen. weißt du, das ist was ganz anderes, was richtige frauen wollen, die wollen sich aufgewertet und bestätigt fühlen, attraktiv sein, sich ein selbstwertgefühl über einen kerl verschaffen, sich selbstwertmäßig aufpolieren, nur daß sie nicht merken…“
„mich will aber keine.“ unterbrach ich ihn, doch er stoppte mich sofort: „mich will keine, was ist das denn für ein quatsch! sandra!“, winkte er der nahbeistehenden tresenkraft eine frage zu: „sandra, schau ihn dir mal an, den burschen hier, den hier links an meiner seite. wie findest du den? nur so rein optisch. ehrliche antwort.“
„wieso? wie soll ich den finden?“
„du sollst ihn nicht finden, der sitzt doch schon hier. ich will von dir hören, wie er dir gefällt.“
„weiß nicht. guckt ein bißchen komisch.“
„wie, komisch?“
„im gesicht und so, irgendwie von der welt abgetörnt, als wenn er nicht mehr viel vom leben hält oder erwartet.“
„stimmt das?“ fragte er mich.
„überhaupt nicht.“ antwortete ich und versuchte zu lachen.
„würdest du mit ihm ausgehen?“ fragte er sie.
„nicht unbedingt.“
„und bedingt?“ fragte er nach.
„weiß nicht, was er noch so zu bieten hat. wenn die brieftasche stimmt?“ lächelte sie mich an.
“ich trag mein geld immer lose in den hosentaschen.“ antwortete ich ihr, und sie wandte sich wieder ab und putzte die ausgespülten gläser weiter.
 
ich kannte seine frau, aber nur so vom sehen, nur ab und an hatten wir mal zwangsweise ein wort miteinander gewechselt, floskelkonversation, doch sie sah heiß aus, hatte etwas, das einen mann begeistern konnte und sie hatte einen forschen aufgeschlossenen gang, der ein freies inneres erahnen ließ, eine figur, die einem mit etwas glück im traum wiedererscheinen konnte oder die einem, selbst wenn man sie noch nie gesehen hatte, im schlaf erscheinen und den morgen zunichte machen konnte, weil man nach dem aufwachen feststellen mußte, daß sie nur im traum erschienen war. doch auch solche frauen wurden im zehnten traum mitunter fies, und dann freute man sich, war nach dem erwachen regelrecht beglückt, daß die traumfrau nur im traum vorhanden gewesen war. doch jetzt dachte ich an seine frau, dachte, wenn er hier rumsitzt, könnt ich ja mal bei ihr an der wohnungstür klingeln, doch ich wußte, daß auch das nur ein tagtraum hier am abend in der kneipe war, daß sie den türsummer nicht summen lassen würde, die wechselsprechanlage nur einsilbig rauschen, die haustür sich tongebend nicht aufdrücken lassen würde, weil sie ihn liebt.

UNTERM SAFT GEHT’S WEITER / 53