Im Sommer 1989, kurz nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, bekam ich während des Evangelischen Kirchentages in Leipzig eine Kassette einer Punkband aus Jena in die Hände. Und genau auf dieser Kassette befand sich eine Vertonung des von Erich Mühsam (1878-1934) der deutschen Sozialdemokratie gewidmeten Liedes „Der Revoluzer“ aus dem Jahre 1907.

Der anarchistische Dichter Erich Mühsam, der Punk und die Revolutionen.

 

In jenem Sommer, als eine revolutionäre Situation sich langsam aber sicher in Richtung einer Revolution entwickelte, waren die Fragen des Dichters und Anarchisten Mühsam auch die, die ich mir stellte. „Und alle Welt ist Vaterland und alle Welt ist frei,“ dichtet Mühsam 1916 in seinem „Soldatenlied“. Der Traum von einer freien und herrschaftslosen Gesellschaft war sein Traum, die Aufhebung der Grenzen, die Abschaffung der Klassen, eine gerechte Verteilung von Reichtum. Genau die Frage, wie weit die bestehenden Verhältnisse zerschlagen werden mussten, um Neues aufzubauen, stellten sich ganz konkret und ganz praktisch in diesen Tagen in jenem Sommer ‚89, als Trommeln der Trauer über die Toten von Peking und Wut über das ewig grinsende Gebiss (Egon Krenz) mich nur noch grenzenlos wütend über die Verhältnisse machten.

Dieses Land DDR ging unter. Und doch blieben die Fragen, die Mühsam zu seiner Zeit stellte, aktuell. Wie ist eine gerechte Gesellschaft möglich? Wie ist eine gerechte Verteilung des Reichtums möglich? Und wie ist eine solche Gesellschaft möglich, ohne dass sie in einer Diktatur endet? Und die vielleicht wichtigste der Fragen: Wie ist es möglich, eine friedliche Zukunft zu erreichen? In einer Zeit, bei der die globale Wirtschafts- und Bankenkrise viele dieser Fragen neu stellt, ist es vielleicht wichtiger denn je, sich undogmatisch mit den Ansätzen Mühsams und des Anarcho-Syndikalismus auseinander zu setzen. Denn wie eine funktionierende, eine gerechte und friedliche Gesellschaft und ihre Wirtschaftsordnung aussehen kann, darauf hat bis heute niemand eine wirklich überzeugende Antwort gefunden. Diese Frage ist und bleibt vorerst offen.

Und dann das!!

 Aus der Versenkung erschien vor 1-2 Jahren eine Band zurück auf den Bühnen dieses Landes. Die Punkband Slime brachte den Sound der Straßenschlachten der 80er Jahre zurück und hatte damit Erfolg.

Ich habe die Tour leider nicht gesehen. Aber jetzt meinten die Altpunks, die Menschheit mit einem neuen Album beglücken zu müssen. Da ihnen, was nicht wirklich ein Vorwurf ist, nichts Eigenes einfiel, erwischte es eben Erich Mühsam. Diese wunderbar harten UND gleichzeitig lyrischen Texte werden von einer „abgewrackten und dreckigen Punkband“ hingericht, dass es mir das Grauen beziehungsweise die nackte Wut ins Gesicht treibt.

Ich liebe die alten, harten und gemeinen und politisch so wunderbar provokanten Platten von Slime. Genau so: „Legal, illegal, scheissegal“ – genau dem System gezielt in die Fresse zu schlagen, brutal, hart und gemein waren diese Lieder. Und das war ist und bleibt der Sound, der junge Linke bis heute bei der Bildung ihres Bewusstseins begleitet. Aber diese (entschuldigt bitte) Scheiss-Mucke (denn musikalisch waren Slime ehrlich gesagt nie wirklich gut) passt einfach nicht zu diesen Texten. Und das schlimmste ist: bei Slime klingt Mühsam so, als würde er zur Gewalt aufrufen. Eine der wichtigsten deutschen Bands hat sich hier an einem großen Dichter vergangen. Es sei ihnen verziehen. ielleicht erreichen Slime damit ja, dass Mühsam wieder ein wenig mehr gelesen wird. Aber tut es bitte bitte nicht noch Mal!. Und jetzt sorgt bitte jemand dafür, dass die Musik zu den Gedichten wieder aus meinem Kopf verschwindet.