Howard Glazer: Blues, Views & News from Detroit #3
Howard gibt uns heute einen Einblick in die lebendige Szene Detroits. Das Besondere daran ist, daß wir „Tilted Axes“ am 13. September in Düsseldorf live miterleben können. Viel Spaß mit Harolds Bericht aus Detroit und dem Interview mit Patrick Grant. (B.K.)
Diese Fortsetzung von „Blues, News & Views“ ist ein wenig anders. Ich schreibe über ein Projekt, bei dem ich vor einigen Wochen hier in Detroit mitspielte. Tilted Axes – 30 mobile Gitarren! Ihr mögt Euch fragen, was das bedeutet? Nun, es ist ein Projekt, das sich der Gitarrist/Komponist Patrick Grant ausgedacht hat. Patrick stammt ursprünglich aus Detroit und unsere Bands spielten vor vielen Jahren einige Gigs zusammen. Patrick schreibt und arrangiert Musik, die von 30 oder mehr elektrischen Gitarren aufgeführt werden soll, die in Bewegung sind … Wir liefen durch die Straßen von Detroit, während wir spielten. Jeder Gitarrist hatte einen batteriebetriebenen Verstärker über der Schulter. Wir starteten beim Detroit Histoircal Museum und zogen zu vielen wichtigen Orten in der Gegend Wayne State University und endeten im Comerica Park, wo wir vor dem Beginn eines Baseballspiels der Detroit Tigers spielten. Patricks Musik umfasst viele Stile, nicht nur, aber auch Blues. Es ist wirklich was, was man sich ansehen und -hören sollte. Un dim September bringen wir die Performance nach Deutschland!
Patrick Grant ist ein in Detroit geborenen amerikanischer Komponist und Performer, der heute in New York City lebt und arbeitet. Seine Arbeiten sind eine Synthese aus klasischer Musik, Pop und Stilen der Weltmusik, die ihren Platz gefunden haben in Konzerthallen, Filmen, im Theater, Ballett und für visuelle Medien – und das auf drei Kontinenten. In den letzten 30 Jahren hat sich seine Musik vom Post-Punk und klassisch beeinflusster Minimalmusik über von balinesischer Tradition beeinflusster Gamelan-Musik hin zu Ambient und elektronischen Soundscapes entwickelt, die viele Schichten von akustischen und elektrisch verstärkten Instrumenten beinhalten. Doch bei all ihrer Entwicklung hat seine Musik die ganze Zeit eine „treibende und ziemlich rauhe Energie, die vom Rock herkommt ebenso bewahrt wie einen deutlichen Sinn für Melodien. Komplexe Cross-Rhythmen treiben sie voran.
Bekannt als Produzent und Co-Produzent von musikalischen Live-Events, hat er viele Konzerte mit seiner eigenen und der Musik anderer Komponisten organisiert. Dazu gehört eine 2013 ins Guinness Buch aufgenommener Rekord, bei dem in New York City 175 elektronische Keyboards gemeinsam spielten. Er hat den International Strange Music Day (begangen am 24. August) ins Leben gerufen und ist der Pionier der Prozession elektrischer Gitarren „Tilted Axes“.
HG: Vor vielen Jahren (in den 1980ern) warst Du bei Walk Thru Walls und ich spielte bei What If Thinking, wo wir einige Gigs gemeinsam hatten. Kannst Du bitte kurz Deinen Lebenslauf schildern? (Ich bin sicher, dass sich seither in Deiner musikalischen Karriere eine Menge getan hat: Musik, Studium, Bands, usw.)
In der Tat, wir haben vor vielen Jahren die Bühne geteilt, und jetzt sind wir hier. Ganz kurz: Ich war ein Junge aus Detroit, der tagsüber klassische Musik studierte (Piano und Violine) und nachts für Kleingeld in Bands Gitarre und Keyboard spielte. Ich mochte die Unmittelbarkeit beim Spiel in einer Band: Ein Song oder Jam, den man an einem Tag geschaffen hatte, konnte bei Nacht schon dem Publikum präsentiert werden. In den frühen 80ern gab es eine gewisse Do-it-yourself-Attitüde, die ich mochte, die ich mir bis heute erhalten habe. Ich spielte auch in eine Band namens Changing Bodies, die nach einigen lokalen Erfolgen beschloss, nach New York City umzuziehen. Die Band fiel fast sofort auseinander. Ich liebte die Stadt und beschloss zu bleiben und neue Erfahrungen zu machen, meistenteils, weil viele meiner musikalischen Helden dort lebten und erreichbar waren.
Ich spielte in einigen Bands, verfeinerte meine Kenntnisse in Rock und Blues, entwickelte aber auch meine Fähigkeiten im Komponieren und Arrangieren, indem ich die Juillard School besuchte. Zu der Zeit war das East Village ein Brennpunkt aller Arten von Kreativität, was mich natürlich anzog. Es war eine gewaltige Ausbildung in Musik aller Arten, in Visual Arts und besonders in Theater und Performance. Ich nahm einen Job als Komponist für das weltberühmte Living Theatre an. Einer der Vorteile dieser Stelle war, dass ich nach der Arbeit Zeit für mich hatte, in der ich Konzerte mit den verschiedensten Arten von Musik veranstaltete. Innovatives Theater wie dieses ist seither eine meiner Leidenschaften geblieben, denn man konnte alle Arten von Musik verwenden: Blues, Rock, Jazz, zeitgenössische, Electronics usw. Es war der perfekte Rahmen für das, was ich tun wollte. Und vor allem: es wurde live gespielt!
Die Rhythmen der Weltmusik riefen mich außerdem. In den 90ern verbrachte ich eine lange Zeit in Bali und in Gamelan-Ensembles in New York City. Ich entdeckte, dass pentatonische Tonleitern und fließende Synkopierungen wirklich nützlich sind, wenn man sie auf unsere Roots-Musik anwendet.
Bis heute hab ich dann eine Anzahl von Konzertreihen von Events erschaffen und produziert. Das hat seinen Grund in meinen Erfahrungen beim Theater und in verwandten Künsten. Ich hab noch immer ein Stück von P.T. Barnum in mir: „Alles was das Publikum sehen will, ist etwas, was es noch niemals zuvor gesehen hat.“ Ich bin immer dankbar dafür gewesen, dass ich bei meinen Erfahrungen in New York City einige großartige Mentoren hatte. Da geht einfach nichts drüber.
HG: Tilted Axes … 30 oder mehr mobile elektrische Gitarren … das ist ein ganz schön ungewöhnliches Konzept. Wie kamst Du auf diesen Gedanken (was führte zu der Idee – und an welchen anderen Projekten hast Du außerdem gearbeitet)?
Weil ich einen Ruf für das Organisieren von Events habe, fragte mich 2011 Make Music New York nach einer Idee für eine Performance unter freiem Himmer, um die Wintersonnenwende zu begehen. Die Idee mit einer Prozession elektrischer Gitarren ging mir schon lange durch den Kopf – und jetzt gab es die Möglichkeit dafür. Wegen der Neigung der Erdachse gibt es die Jahreszeiten. Und daher stammt der Name des Projekts eigentlich, und daher das Wortspiel mit „Axes“. Wir sind es so gewöhnt, dass die E-Gitarre wegen der Verstärker an die Bühne gefesselt ist, dass der Einsatz von Mini-Verstärkern einer Befreiung gleichkommt, die die Performer bei sich tragen. Zunächst versuchten wir Danelectro HoneyTones, dann Mini-Marshalls und Pignose 7-100s, haben uns letztlich für Vox Mini 3 G2‘s entschieden. Das sind die Verstärker unserer Wahl und lassen unsere Solisten großartig klingen.
Vom Konzept und von der Musik her spielt das Projekt mit der Vorstellung von der elektrischen Gitarre als einer amerikanischen Ikone. Denn genau das ist sie. Sie ist wahrscheinlich das amerikanischste aller Musikinstrumente, alle anderen kommen aus Europa oder von anderswo, egal in welcher Musikrichtung. Daher stammt das Repertoire, was ich für die Gruppe geschrieben habe, aus den Stilen, die am meisten mit diesem Instrument assoziiert werden: Blues, Jazz und Rock. Und einige Nummern stammen ganz gezielt aus anderen Stilen: aus der Klassik, zeitgenössischer Musik und Avantgarde. Wenn man diese verschiedenen Elemente kombiniert und Solisten aus allen Genres gemeinsam musizieren, dann erhält es seinen charakteristischen Sound.
Ich verwende lieber das Wort „Prozession“ als „Parade“, weil es für viele Menschen jenseits des Gewohnten ist. Für mich hat eine Prozession eine tiefere Bedeutung und Zweck, es ist nicht nur einfach Spaß, da gibt es etwas Tieferes jenseits der Oberfläche, wenn jemand genau schaut und hört. Sie bringt Fragen auf, und das ist gut. Außerdem hat sie den Vorteil der Mobilität. In gewisser Weise könnte man sie betrachten als eine friedvolle Form von Guerilla-Theater. Die meisten Musiker sorgen sich darum, wer zu ihren Gigs kommt. Das Problem haben wir nicht. Wir können dorthin gehen, wo die Menschen sind: drinnen, draußen – es spielt keine Rolle. Was wichtig ist, ist das Lächeln, das auf den Gesichtern von Menschen erscheint, die nicht erwartet haben, dass wir vorbeikommen. Das ist mein liebstes Publikum überhaupt.
HG: In meiner Kolumne geht es hauptsächlich um Blues. Ich weiß, dass einige Stücke in Tilted Axes wie etwa Beaubien Blues, auf dem Blues basiert sind. Kannst Du erläutern, wie Dich der Blues beeinflusst hat und wie er in Deine Kompositionen passt?
Im Jahr 2000 leitete ich den kompositorischen Teil eines Projektes von Kunstschulen in New York, Stockholm und Shanghai. Das war für ein sehr großes Projekt, wo jeder der drei Partner die Wurzeln ihrer eigenen Roots Musik erforschen und einbringen sollten. In den USA ist unsere Roots Musik eine Kombination aus Schwarzern und Europäischen Kulturen und den Kombinationen, die es daraus gibt. Das sind Blues, Jazz, Rock, Folk/Country und die vom Vaudeville abstammende Music Hall. Meine Mentoren waren bei diesem Projekt Quincy Jones und Billy Joel. Das war eine der bestmöglichen Schulen überhaupt, besonders wenn man sich zu den Ursprüngen des Blues vorarbeitete. In diesem Sinne kann eigentlich jeder amerikanische Musiker sagen, dass er einen Fuß in Afrika hat, dort ist der eigentliche Ursprung. Im Ergebnis, egal woran in arbeite, entdecke ich, dass diese Elemente sich einschleichen, und das ist ganz natürlich. Denn das macht uns aus. „Tilted Axes“ ist eine großartige Möglichkeit, das zu zeigen.
HG: Du hast Tilted Axes in Detroit schon mehr als einmal aufgeführt. Und jetzt kommt es auch nach Deutschland. Wann und wo wirst Du in Deutschland auftreten? Bist Du mit dem Konzept der mobilen Gitarren schon in anderen Orten aufgetreten?
Darüber bin ich sehr glücklich. Was als lokales Projekt in NYC begann, wurde durch Detroit zum nationalen Projekt. Ich wollte schon immer aus New York ausbrechen und fand, dass meine Heimatstadt der beste Ort ist, um es auszuprobieren. Es funktionierte. Jetzt wollen andere Städte in den USA Gespräche führen, ob man es auch bei ihnen machen könnte. Ich hab Freunde in Deutschland, die ich durch meine Arbeit an Theater n und bei Konzerten kenne. Sie haben gesehen, wie das Projekt gewachsen ist. Und jetzt wollen sie das Projekt zum Jahrestag ihrer Organisation nach Düsseldorf bringen. Und nun wird es ein internationales Projekt. Was mir am meisten gefällt, ist, wie das Projekt an verschiedene Umstände, Städte, Mitspieler und Zuhörer angepasst werden kann. Jede Inkarnation von „Tilted Axes“ ist angepasst an Zeit und Ort, wo sie gespielt wird. Deutschland wird da keine Ausnahme sein. Ich schreib immer ein paar neue Stücke für jede Aufführung und werde das auch diesmal machen. In der Vergangenheit liebte ich es, durch ganz Europa zu touren. Denn jedes Stück würde in den verschiedenen Ländern ganz unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Das ist eine großartige Art herauszufinden, was jenseits dieser verschiedenen Reaktionen jedem Stücken im Kern universell zu eigen ist. Ich freue mich auf den Beitrag der deutschen Musiker und bin gespannt, was sie in den Mix einbringen werden.
HG: Wann und wo in Deutschland wird Tilted Axes aufgeführt?
Der Tag der Aufführung in Düseldorf ist der 13. September. Es gibt keinen speziellen Ort, weil es eine Prozession in den Straßen ist.
HG: Es gibt noch immer eine klare Verbindung nach Detroit. In der letzten Performance von Tilted Axes hatten viele Songtitel Referenzen auf Detroit. Kannst Du was über die Verbindungen zwischen Detroit und den anderen Orten, an denen Du auftrittst, so wie New York, sagen? Ich weiß, dass es eine große Verbindung zwischen der Musikszene von Detroit und der deutschen, besonders der Berliner Szene gibt.
Das wird, weil ich aus Detroit stamme, vielleicht immer der Fall sein. Selbst in NYC behalte ich immer eine gewisse „Detroit-ness“, die mich und die anderen Musiker aus Detroit heraushebt. Ich versuche den Leuten das immer mit der besonderen Gegend von Detroit zu erklären. Wir sind grad mal auf der anderen Flussseite von Kanada. Und der Einfluss wird einem Detroiter umso deutlicher, wenn er für eine Zeit fortgeht. Während der Detla Blues in vielen Aspekten rein blieb, wurden der Blues und Rhythm & Blues von Detroit von europäischen Sounds beeinflusst, die durch den Filter von Kanada gelaufen sind. Ich vermute, dass man daher so begierig war, Streicher und Bläser zu den Arrangements hinzuzufügen. Auch wurde so die Tür für mehr als drei Akkorde aufgestoßen. In gewisser Weise hab ich grad geschildert, wie der Motwon-Sound entstand.
Wenn es um Deutschland geht: Da gibt es aus einer ganzen Anzahl von Gründen eine enge Verwandschaft. Zuerst hatte Michigan eine riesige deutsche Bevölkerung lange bevor die Autokonzerne entstanden. Die meiste Landwirtschaft in Michigan wurde von deutschen Immigranten betrieben. Wir dürften eine Menge gemeinsamer Cousins haben. Da bin ich mir sicher. Ein anderer Grund ist, dass wir zu riesigen Industriezentren wurden. Detroit ist auch der Geburtsort des Techno. Ich glaube, das ist ein Resultat unserer Industrialisierung. Schon in unseren Bands in den 80ern hatten wir kein Problem damit, Musik mit Maschinen zu machen, während andere Städte mit diesem Konzept zu kämpfen hatten. Keine Überraschung, dass Deutschland dieses ästhetische Konzept fast sofort aufgegriffen hat. Ist es nicht interessant, das ein großer Teil der besten Musik in diesen Stilen pentatonische Tonleitern verwendet?
Zu Berlin: Ich liebe diese Stadt seit meinen ersten Konzerten dort in den 90ern. Damals rissen sie noch die Mauer ab. Meine Hoffnung ist, dass sollte „Tilted Axes: Düsseldorf“ gut läuft, das die Türen für Amsterdam, Wien und Berlin öffnet. In dieser Woche beginne ich außerdem mit Beratungen über zukünftige Projekte mit Sao Paulo. Wer weiß? Vielleicht sind auch sie bereit für ein künstlerisches elektrisches Gitarren-Projekt basierend auf amerikanischer Roots Musik, gesehen durch die Ohren eines Detroiters? Ich drück die Daumen.