Für ihr neues Album hat sich die kanadische Songwriterin und Pianistin Sunday Wilde in die Wildnis zurück gezogen. „He gave me a blue nightgown“ ist eine Sammlung von 13 Songs zwischen Blues und Jazz, die getragen werden von der einzigartigen Stimme Wildes. Auf das Ergebnis war ich gespannt: Im Frühjahr hatte Sunday Wilde per crowdfunding Geld für das Nachfolgewerk zu dem großartigen Album What Man!?? – Oh THAT man!! gesammelt und dabei angekündigt, die Sessions in einem Haus weit draußen in der Wildnis zu machen. Dorthin wollte sie befreundete Musiker einladen, um ungestört von der Zivilisation zu spielen. Jetzt liegt mit „He Gave Me A Blue Nightgown“ das Ergebnis vor. Und man kann nur sagen: Die Aktion hat sich eindeutig ausgezahlt. Denn auch wenn das Album wiederum ganz klar auf die einzigartige Bluesstimme Wildes konzentriert ist: es sind diese kleinen und spontanen Einsprengsel, der Einsatz von Streichern oder einer verloren klagenden Slide-Gitarre, die das trocken reduzierte Piano ergänzt. Und dadurch entwickeln Lieder wie der Opener „Down The Road Alone“ eine unwiderstehliche Faszination. Und auch wenn in „Blue Spirit Blues“ – so vermute ich mal – Haushaltsgeräte zuweilen aus Rhythmusinstrumente benutzt werden: das ist ein Album, was bei aller Düsternis der Songs dadurch fast eine spielerische Leichtigkeit ausstrahlt. Hier waren Musiker in einem geschützten Raum und konnten ihre Ideen spielerisch umsetzen und auf Platte bannen.
Die Einzigartigkeit von Sunday Wilde als Sängerin zeigt sich für mich besonders bei der Coverversion des Albums: „Amazing Grace“ ist ja eigentlich einer jener Songs, die schon auf jede denkbare Weise gespielt und gesungen wurden. Doch wie sie hier – begleitet von einzeln perlenden Klaviertönen und einer im Hintergrund klagenden Slide-Gitarre – aus dem Lied einer erlösten Seele einen tieftraurigen Klagegesang macht, das ist für mich völlig neu. Wilde gehört zu den wenigen Sängerinnen, die die große Tradition der Bluesqueens vom Anfang des 20. Jahrhunderts fortsetzen: Hier hört man weniger den Nachkriegsblues etwa einer Koko Taylor sondern eher Ma Rainey, Bessie Smith oder ihre Zeitgenossinnen. Und auch wenn auf dem Album so absolute „Hits“ wie „Show me a Man“ vom Vorgängeralbum zu fehlen scheinen: Wildes Songs in ihrer radikalen Offenherzigkeit und Ehrlichkeit suchen auch im Jahr 2012 ihresgleichen. Erhältlich ist „He Gave Me A Blue Nightgown“ hierzulande am besten über cdbaby.