Wieder widmet sich Gary Burnett einem Klassiker der Bluesgeschichte: Nach Robert Johnsons „Hellhound on My Trail“ steht diesmal „Preachin The Blues“ von Son House im Mittelpunkt. Und damit natürlich die immer wieder gestellte Frage nach dem Verhältnis von Blues und Glauben.

Der Blues hatte ein schwieriges Verhältnis mit der Kirche. Für viele gottesfürchtige Menschen im tiefen Süden war Bluesmusik etwas, was schwierig mit dem Leben eines Kirchgängers in Einklang gebracht werden konnte. Schon wegen seiner Verbindungen zu den Juke Joints und dem Schnaps, der dort getrunken wurde, aber vor allem auch weil einige Bluesmen behaupteten, in Verbidundung mit dem Teufel stünden und in den Songs immer auch vom „Mojo“ die Rede ist.
Michael Band schreibt in seinem Buch über Elvis, „White Boy Singing The Blues“:

„Besonders der Blues war die entgegengesetzte Seite des Heiligen. … Du konntest entweder Gospel oder Blues singen. Aber niemals beides. Der Blues gehörte dem Teufel und seiner Lebensweise … und wenn Du seine Musik singst, dann war die Tür zum Haus des Herrn für dich verschlossen.“

Das ist natürlich nicht die ganze Geschichte. Die Beziehung zwischen Kirche und Blues war niemals so eindimensional wie Bane behauptet. Blueskünstler wechselten zwischen Karrieren als Prediger und Bluesperformer hin und her. Und Kirchen boten auch Bluesmusikern Auftrittsmöglichkeiten. Blind Willie McTell aus Georgia zum Beispiel war einer, der seine Musik oft in kirchlichen Räumen spielte. Die Situation war also nicht eindeutig.

Charlie Patton, den viele für den „Vater des Delta Blues“ halten, war ein notorischer Frauenheld, ein harter Trinker und Tunichtgut. Aber sein ganzes Leben hindurch kam er immer wieder dazu, seinen Lebenswandel zu ändern, seine Sünden zu bereuhen und die Bibel zu lesen. Leider dauerten seine Bekehrungen niemals sehr lang. Es reichte, dass ein alter Freund mit einer Gitarre und dem Termin für irgendeine Haus-Party auftauchte, dass Charlie alles vergaß und loszog.
Son House, der im Oktober 1988 starb, war nichtz nur einer der ersten Delta-Bluesmen sondern auch ein verurteilter Mörder, ein Säufer und Herumtreiber. Als Teenager aber war er einer, der hart auf den Baumwollfeldern arbeitete und leidenschaftlich gern in die Kirche ging. Als er 20 Jahre war, wurde er Pfarrer einer kleinen Baptistengemeinde in Mississippi. Was ihm zum Verhängnis wurde, war eine ältere Frau mit der er, nach allem was man weiß, eine heftige Affäre hatte. Die und der Blues führten dazu, dass House so etwas wie eine umgekehrte Bekehrung hatte. Er erinnert sich einmal, wie er als er noch Pfarrer war, bei einem Abendspaziergang an einem Haus vorbeikam, wo gerade eine Party im Gange war. Hier war es, wo er den Klang von Glas auf Stahl – den Bottleneck – hörte. Zwar hatte er den schon Jahre zuvor mal vernommen, jetzt aber schien er ihn zu packen. Er hielt an um zuzuhören. „Jesus!“, sagte er. „Ich frag mich, was der da spielt. Ich wusste, dass Gitarren normalerweise nicht so klangen. Ich ging ich nahe genug ran, um was zu sehen.“ „Klingt gut“, meinte House, „Ich mag das! Ich glaub, ich will auch eine von den Teilen spielen.“

Daraufhin besorgte er sich selbst eine Gitarre (allerdings eine mit nur fünf Saiten und einem Loch auf der Rückseite) und lernte sie zu spielen, nachdem Willie Wilson (der Mann, den er bei der Party gehört hatte), sie ihm repariert hatte. Mit seiner in Open G gestimmten Gitarren war er bald dabei Bottleneck zu spielen – „zinging it“, wie er das nannte. Schon nach wenigen Wochen nahm er mit Auftritten Geld ein. „Ich spielte immer weiter und wurde besser und besser.“
House versuchte, sein Pfarramt mit der Karriere als professioneller Bluesmusiker zu vereinbaren. Aber irgendwann musste er er sich ganz seiner neu gefundenen Profession widmen. Und dafür musste er das andere bleibenlassen. Sein Lied „Preachin‘ The Blues“, das zu seiner Erkennungsmelodie wurde, die er vier Jahrzehnte immer wieder spielte, beschreibt lebhaft den Kampf zwischen der Kirche und den Blues-Teufeln um die Seele von House – ein Kampf, den die Kirche immer wieder verlor. Er sang:

“Oh and I had religion Lord this very day
But the womens and the whiskey, well they would not let me pray.”

House entwickelte einen Hang zu Alkohol und Frauen, der es schließlich zu schwer machte, im Pfarramt einer frommen Baptistengemeinde zu verbleiben. Der endgültige Bruch mit seinem Glauben kam aber wahrscheinlich erst ein ganzes Stück später. Die Wege, die House für den Rest seines Lebens ging, waren niemals einfach. Er wurde in der berüchtigetn Parchman Prison Farm wegen Totschlags eingesperrt. Seine Beziehungen zu Frauen waren gelinde gesagt niemals einfach. Und sein Trinken führte schließlich zum Alkoholismus. Seine Karriere versandete daher schließlich in den frühen 40er Jahren, auch wenn er sich zum Ende seines Lebens ab 1965 eines kurzen Comebacks während des Folk-Revivals erfreuen konnte.

Die Prediger-Karriere von House scheint insgesamt 17 Jahre gedauert zu haben. Nach allen Erinnerungen von Zeitzeugen scheint er ein guter Prediger gewesen zu sein. Elizabeth Moore, eine Frau, die ihn noch gehört hatte, sagte: „Er konnte wirklich singen – und er konnte genausogut predigen.“ Aber wahrscheinlich lebte er die meiste Zeit als Prediger ein Doppelleben, er trank und verführte Frauen. In seiner ausgezeichneten Biografie über House meint Daniel Beaumont, dass House wohl einen Glauben hatte, der ihm wichtig war. Aber wichtiger war wohl für ihn, dass House durch das Predigen genügend Geld einnahm, um seinen Lebensstil als Bluesman zu finanzieren. Wie auch immer: House wird durch sein Doppelleben nicht nur in einen inneren Zwiespalt geraten sein. In „Preachin‘ The Blues“ springt ein Diakon in der Kirche auf und beschuldigt den Prediger:

Another deacon jumped up and said, ‘Why don’t ya hush?
“You know you drink corn liquor and your lie’s a horrible stink.’”

Das klingt sehr danach, als ob House sich diese Beschuldigung entweder selbst vorgeworfen hat – oder ob sie tatsächlich von jemand anderem ihm vorgeworfen wurde. Und seine Desillusionierung mit der Religion, oder zumindest mit sich selbst als würdiger Leiter einer Kirche drückt sich in diesen Zeilen des Liedes aus:

“Yes, I’m gonna get me religion, I’m gonna join the Baptist Church.
You know I wanna be a Baptist preacher, just so I won’t have to work.”

Vielleicht wusste House, dass er genau dieser Art Heuchelei schuldig war. Und wahrscheinlich konnte sich House mit den Worten identifizieren, die Paulus in seinem Brief an die Römer schreibt:

Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meiner Natur, nichts Gutes wohnt. Es fehlt mir nicht am Wollen, aber ich bringe es nicht fertig, das Gute zu tun. Ich tue nicht das Gute, das ich tun will, sondern das Böse, das ich nicht will. (Römer 7,18f)

Paulus wusste, dass seine Leser in Rom genau verstanden, wovon er sprach. Denn diese Idee, innerlich zwischen zerrissen zu sein zwischen dem Wissen um das Gute und dem tatsächlichen Handeln war von verschiedenen Autoren der Antike verhandelt worden. Und außerdem ist das eine ziemlich universelle menschliche Erfahrung. Ich glaube, wir alle sind bis zu einem gewissen Grad so wie Son House, fühlen uns zeitweise von unseren Begierden, Gefühlen oder inneren Dämonen in Richtungen gezogen, von denen wir wissen, dass sie nicht gut sind. Das zu tun, von dem wir tief im Inneren wissen, dass es richtig ist, gute Entscheidungen zu treffen, ist manchmal nicht einfach. Paulus allerdings setzt fort, indem er die Antwort auf das Problem formuliert: Gottes Geist, der durch Christus wirkt, bringt „Leben und Frieden“ und Freiheit von der Versklavung durch schlechte Entscheidungen. Echte Freiheit ist nicht nur möglich – sie ist im eigentlichen Sinn das, was Leben, die durch den Geist Christi berührt wurden, auszeichnet.

House lebte in einer anderen Zeit, in einer, wo Blues und Kirche polarisiert einander gegenüber standen. Heute mag es nicht mehr so viele Spannungen geben, ob man den Blues singt oder in einer Kirche anbetet. Hätte der Glaube von House in modernen Zeiten eher überlebt? Das ist schwer zu sagen. Aber er hätte vielleicht eine Chance gehabt.