Mick Taylor 1972Das Stones Album „Exile on Main Street“ wird mit 10 neuen Titeln wiederveröffentlicht. Billy the Kid schildert die Entstehung des Meisterwerks.

Update: Als Vorgeschmack auf das Album wurde jetzt „Plundered my Soul“ mit einem äußerst gelungenen Videoclip veröffentlicht. Er orientiert sich am Layout des Albums mit seiner Vielzahl von Schwarz-Weiß-Fotos. Das Lied selbst ist eine echte Stones-Nummer, wie man sie so von den Jungs seit Jahrzehnten leider nicht mehr zu hören bekommt.

  Die Meldung stand in der Zeitung: das  „Exile on Main Street“-Album der Rolling Stones soll mit neuen, unbekannten Titeln veröffentlicht werden, was eine kleine Sensation darstellt.

Der gesamte Back-Katalog war schon, ähnlich wie bei dem Beatles-Gesamtwerk, in digitaler Neubearbeitung wiederveröffentlicht worden, allerdings ohne jegliche Beifügung von bisher unveröffentlichten Tracks.  Es war eine Eigenheit der Stones, dass nach dem Mastern der Aufnahmen Jagger und Richards alle Bänder an sich nahmen und vieles sogar löschten (ihr ehemaliger Manager Andrew Oldham hatte aus Rache über seine Entlassung mal ein Album mit weniger gelungenen Tracks der Stones herausgebracht). Nur eben dieses „Exile“-Album fehlte in der bisherigen Ausgabe, was schon zu Spekulationen geführt hatte.

Denn dieses Album ist für viele Musikliebhaber- und Kritiker schlicht das Album nicht nur der Stones, sondern der Rockmusik überhaupt. Es wurde vom Rolling Stone Magazine zum Album des (20ten) Jahrhunderts gewählt. Und legendär ist es schon durch die Umstände des Zustandekommens, die die Phantasie aller Klatschkolumnisten und Neugierigen schon immer entfacht haben, es wurden ganze Bücher nur über die Entstehung dieser Platte geschrieben.

Die ganze Geschichte beginnt schon Ende der 60er, als die Stones in ihre erste große Krise rutschen. Der Gründer der Band, Brian Jones, hatte seine Frau Anita Pallenberg und die Band an seinen Gitarrenpartner Keith Richards verloren und wurde durch seine Drogensucht unkontrollierbar und dann gefeuert. Auf dem starken Album Beggars Banquet (1968) sind nur ein paar Slide-Spuren in dem Titel „No Expectations“ von ihm, die kreative Kontrolle hatten Jagger und Richards schon lange an sich gerissen. Das nächste Album Let it Bleed (1969) spielt Keith gitarrentechnisch im Alleingang ein, auf dem Album sind unglaubliche Songs wie Gimme Shelter, Midnight Rambler oder eben Let It Bleed, aber auch der Song von Keith „You got the Silver“ über seine Geliebte Anita Pallenberg, die bei den Dreharbeiten zu dem Film „Performance“ den Sex mit Hauptdarsteller Jagger nicht nur spielt. Dann folgt, mit dem Ausnahme-Gitarristen Mick Taylor eingespielt, „Sticky Fingers“, für mich das beste aller Stones-Alben (Brown Sugar, Moonlight Mile, Sway).

Dann beginnen die Probleme zu explodieren – vielleicht auch aufgrund der Untreue Anitas verfällt Keith dem Heroin. Der Manager Allen Klein (der schon Grund für den Split der Beatles war – John, Ringo und George wollten ihn als Manager, Paul nicht, die Prozesse zwischen den Beatles dauerten ca. 10 Jahre!) veruntreute Geld, das Finanzamt wollte Steuernachzahlungen in Millionenhöhe, eine Summe, die wohl Klein, aber eben nicht die Band hatte.  Mick Jagger engagierte einen Finanzberater, der den Tipp gab, sich in Ausland abzusetzen, was die Band dann auch tat.

Als Exil wurde die Südfrankreich auserkoren, Villen wurden gekauft bzw. gemietet. Eine dieser Villen wurde zum Studio umfunktioniert, die Aufnahmen fanden im Keller statt, mit Hilfe des damals neuen mobilen Studios, das die Stones sich anschafften und mit dem später etliche berühmte Bands wie Led Zeppelin und Deep Purple ebenfalls aufnahmen.  Die Plattenfirma drängte auf neues Material- mit Bluesrock konnte man damals Unsummen verdienen, so unglaublich das heute auch klingt, Alben von Fleetwood Mac (als sie noch eine Bluesband waren), das erste und zweite Album von Led Zeppelin waren Megaseller. Live waren diese Bands in den USA extrem gefragt.

Leider waren die Umstände in Südfrankreich kaum mehr günstig zu nennen – die Aufnahmen fanden in einem feuchten Keller statt, die Stimmung der Instrumente hielt selten einen Song. Die der Musiker bald auch nicht mehr. Abends versammelte sich die Band zu den Aufnahmen, irgendwann aber verschwand Keith, um vorgeblich seinen Sohn Marlon ins Bett zu bringen, in Wirklichkeit, um sich mit Drogen wegzubeamen. Früh morgens tauchte er dann auf, der Rest der Band mußte warten. Mick Jagger hatte inzwischen ein anderes Projekt, er betrieb die Hochzeit mit einer südamerikanischen Schönheit, der er unbedingt haben mußte. Keith brachte sich bald in Schwierigkeiten, ein Zwischenfall mit einem Franzosen, bei dem er angeblich ein Messer zog, wurde gerichtsanhängig.

In der Villa tobte das Leben, Gäste wie Gram Parson aus den USA brachten Keith die Countrymusik näher, auch er verfing sich in den Drogennebeln der Villa. In dem Bestreben, mit Keith mitzuhalten, verlor er später sein Leben. Dem Heroin verfielen mehrere Gäste, z.B. der Produzent  Jimmy Miller (Mr. Jimmy aus „You can´t always get what you want“), Anita Pallenberg, Mick Taylor. Der war sowieso gefrustet, weil seine Songschreiberambitionen nicht berücksichtigt wurden. Schon „Moonlight Mile“ auf der letzten Scheibe war zum großen Teil sein Werk, weil Keith nicht mehr konnte. Auf „Exile“ ist nur der „Ventilator Blues“ als (partiell) sein Werk gekennzeichnet. Allerdings werden wir nie genau wissen, was er wirklich geschrieben hat und seine spätere Karriere läßt ebenso wie die Bill Wymans (der das Riff von „Jumpin´Jack Flash“ kreierte) nicht erkennen, dass er ein außergewöhnlicher Songschreiber war. Auch Bill Wyman war angefressen, weil Keith seine Bass-Spuren löschte und seine eigenen einspielte. Selbst Charlie Watts war nicht in Form, den Drumpart zu dem rhythmisch kniffligen mittleren Teil von „Tumbling Dice“ spielte Jimmy Miller ein, weil Watts es nicht hinbekam. Als alles immer mehr verfiel, raffte Mick Jagger seine Energie zusammen und versuchte, das Album zu retten. Er soll Teile der Vocals wirklich im Schrank eingesungen haben.

Später wurde auch von schlechten Vibes gemunkelt, die das Haus aus der Besetzung durch Nazis noch aufwies. Der Streß mit der lokalen Unterwelt und den Drogenkurieren kulminierte, die Justiz rückte an und die Stones verließen Frankreich sehr schnell. Keith und Anita verloren später durch Drogen ein Kind, sie versuchten ihre Drogensucht in einer Schweizer Privatklinik in den Griff zu bekommen, bei beiden für lange Jahre ohne Erfolg. Das Album wurde  in den USA fertiggestellt und erschien 1972. Nur „Tumbling Dice“ war ein relativer Charterfolg, das Album wurde sonst eher entäuschend aufgenommen und wurde erst viel später zum Meisterwerk stilisiert.

Musikalisch ist es das rauheste und ungeschliffenste Stonesalbum, sehr viele reine Bluessongs, ein Ton, dem man die Kelleraufnahmen anhört. Fast der beste Song für mich ist „Happy“, den Keith singt, ein Meisterwerk in einer offenen G-Stimmung eingespielt, die jetzt das Markenzeichen vieler Stones-Songs wurde. Hits sind fast nicht vorhanden.

Die Stones zogen weiter in drogengeschwängerte Jahre, das nächste Studioalbum „Goats Head Soup“ war eher schwach, dann verschwand Mick Taylor, um mit Jack Bruce eine Art zweites Cream zu gründen, ein Projekt, das nur ein paar Bootlegs  hinterließ und ansonsten eine Heroinparty war. Erstaunlicherweise kam dann 1978 mit dem Gitarristen Ronnie Wood eines der wirklich besten Stones-Alben auf den Markt, „Some Girls“, dann war Schluß. Tattoo You von 1981 war ein Zusammenschnitt alter Sessions teilweise noch mit Mick Taylor und sogar Jeff Beck (der war bei den Sessions um die Nachfolger Taylors dabei) und war keine aktuelle Produktion (aber sehr erfolgreich). Danach hatten die Stones musikalisch alles gesagt und gingen daran, Millionen zu verdienen.

Exile ist das „Punkalbum“ der Stones in ihre kreativsten und zugleich schwierigsten Phase, es mischen sich Einflüsse des Delta und Chicago-Blues mit englischer Exzentrik und Country-Parts unter Einfluß Gram Parsons (der einige Teile mit eingespielt haben soll). Es ist definitiv kein Hitalbum und unter den Stonesfans, die die Mitsing-Songs der Stones lieben, wahrscheinlich eines der Unbeliebtesten. Es finden sich sogar wieder politische Songs („Sweet Black Angel“ für Angela Davis), Liebeslieder wie „Loving Cup“, auch der schnellste mir bekannte Stones-Song, nämlich „Rip this Joint“ und natürliche klassischer Blues (Ventilator Blues) und eher Countryeskes (Sweet Virginia). Im Liverepertoire der Band fanden sich die Songs eher weniger, bis auf „Tumbling Dice“, auf der Bigger- Bang-Tour wurden allerdings „Loving Cup“ mit Jack White und „Shine a light“ mit Bonnie Raitt gespielt, der letzte Song diente dann auch als Titel des Scorsese-Films. Aber es ist das Album, das die Kritiker immer mehr zu lieben begannen und es quasi als eine Art Dokument der wahren, unverfälschten Stones betrachteten, bevor sie endgültig dem Mammon verfielen und mit Ronnie Wood einen netten, aber nicht prägenden und wenig starken Gitarristen in ihre Band aufnahmen.

Es wird spannend sein, diese 10 neuen Songs zu hören. Sind es nur Versionen, die es nicht in den finalen Mix geschafft haben? Oder richtig unentdeckte Songs? Ist der Mix jetzt so, dass das Album audiophilen Ansprüchen genügt? Alles spannende Fragen, die angeblich am 14. Mai beantwortet werden sollen.

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