In die Spätzeit dieser ersten Welle des Country-Blues gehört Robert Johnson (1911-1938), einer der bis heute einflussreichsten und meist kopierten Bluesmusiker überhaupt. Robert Johnson: einer, der so gut gespielt haben soll, dass Leute meinten, er müsse seine Seele dem Teufel verkauft haben. Und war einer, der obwohl er nur 29 Titel in den Jahren 1936 und 1937 aufgenommen hat, immer wieder Musiker beeinflusst. Auf jeden Fall ist Robert Johnson einer der geheimnisvollsten Bluesmusiker aller Zeiten.

In der Literatur werden die verschiedensten Mythen miteinander verknüpft, um ihm nahe zu kommen: Da haben wir den vereinsamten jungen Mann mit einer riesigen Begabung, den romantischen Mythos vom gequälten Künstler, der jung stirbt und seine späte Anerkennung nicht mehr erlebt (wie etwa van Gogh) und das Rätsel um einen Mann, von dem lange nichts außer seinen Aufnahmen bekannt war. Jahrelang gab es keine Fotos von ihm, nur anekdotische Berichte von Zeitgenossen, die sich noch dazu immer widersprachen. Und über all dem: der Mythos vom Teufelspakt, von Friedhof und Geisterbeschwörung.

Statt Spekulationen hier der Versuch, die spärlichen Fakten zur Biographie darzustellen:

Die kleine Stadt Hazlehurst liegt etwa 50 Kilometer südlich von Jackson, der Hauptstadt Mississippis. Um 1907 wurde der Schwarze Charles Dodds Junior nach einem Streit mit einflussreichen Weißen gezwungen, die Stadt zu verlassen. Nachdem er seinen Namen in C.D. Spencer geändert hatte, ließ er sich in Memphis nieder. Seine Geliebte sowie einige seiner Kinder gingen mit ihm, darunter auch die Kinder seiner Ehefrau Julia, die noch eine Zeitlang in Hazlehurst bleiben sollte. Dort fing sie ein Verhältnis mit dem Landarbeiter Noah Johnson an, der am 8.Mai 1911 der Vater von Robert werden sollte. 1914 zog Julia zu ihrem Ehemann nach Memphis, den sie allerdings einige Jahre später verließ, um erneut zu heiraten. Seit 1918 lebte Robert bei seiner Mutter und seinem Stiefvater Willie „`Dusty“‚ Willis in Robinsonville im Staat Mississippi. Als seine Mutter ihm erzählte, wer sein wahrer Vater war, änderte Robert seinen Nachnamen von Spencer in Johnson.

Schon als Teenager spielte er Mundharmonika und Gitarre. Sein Kumpel war der Musiker Willie Brown. Er machte Johnson mit Charlie Patton und Son House bekannt, dessen ausdrucksvoller Gesangsstil Robert tief beeindruckte. Son House war zunächst gar nicht sonderlich angetan von seinem neuen Bekannten: er hielt ihn zwar für einen recht guten Mundharmonikaspieler, aber auf gar keinen Fall für einen talentierten Gitarristen. „`Little Robert“‚, wie ihn die älteren Musiker spöttisch nannten, griff sich während der Tanzpausen immer ihre Gitarren und probierte eigene Nummern, aber er machte so einen schrecklichen Krach, dass sich die Gäste beschwerten.

Eines Tages ging er einfach fort. Wohin er ging, was er machte? Niemand weiß es. Doch dann kam er ein Jahr später wieder. Der große Son House, einer der „`Väter des Mississippi-Blues“‚ erzählt die Geschichte so:

„Wir spielten da gerade am Samstag abend und plötzlich kommt jemand zur Türe rein.Wer war’s? Er! Auf seinem Rücken baumelte eine Gitarre. Ich sagte: Bill! Er sagte:Ja? Ich sagte Guck mal, wer da zur Tür reinkommt. Er sagte: Ja, Little Robert. Ich sagte: Und er hat eine Gitarre. Und Willi und ich haben noch drüber gelacht. Robert hatte sich endlich durch die Menge durchgewurstelt und war dahin gekommen, wo wir waren. Er sprach uns an, und ich sagte: Na, Junge, du hast also immer noch eine Gitarre, ja? Was machst du eigentlich mit dem Ding? Du kannst doch gar nichts damit anfangen. Er sagte: Also, ich erzähl dir mal was. Ich sagte: Was denn? Er sagte: Lass mich mal eine Minute an deinen Platz. Ich sagte also: In Ordnung, aber bring bloß was Anständiges auf die Beine damit, und zwinkerte Willie zu. So setzte er sich dann hin und legte endlich los. Und mein lieber Mann, war der gut! Als er fertig war, stand uns der Mund offen. Ich sagte: Ist das wohl sagenhaft! Der hat uns jetzt überholt…“

House erzählte diese Geschichte oft und gern. Manchmal fügte er noch hinzu:

„Um so spielen zu können, muss er dem Teufel seine Seele verkauft haben.“

Das war mehr als eine bildhafte Beschreibung: Damals glaubten viele Schwarze fest daran, dass jeder, der sich sozusagen über Nacht eine außergewöhnliche Fähigkeit angeeignet hatte, mit übernatürlichen Mächten gemeinsame Sache gemacht haben musste.

Nahezu immer, wenn von Johnson die Rede ist, kommt die Geschichte mit dem teuflischen Pakt zur Sprache. Ähnliche Geschichten sind auch über zahllose andere Bluesgitarristen im Umlauf. Johnson selbst hat dazu nie konkret Stellung genommen, auch nicht in Songs, in denen Straßenkreuzungen („Cross Road Blues“) oder der Teufel selbst („Me and the Devil“) vor kamen. Er erwähnte magische Praktiken und Arzneien, wahrscheinlich war er ebenso abergläubisch wie die meisten anderen Mississippi-Schwarzen jener Jahre, aber die Inspirationsquelle zu seiner Musik war ohne Zweifel die eigene, durchlebte Erfahrung, in der das ruhelose Umhergetriebensein ebenso eine Rolle spielte wie auch Erfahrungen mit Impotenz.

Autoren wie Julio Finn halten aber dennoch daran fest:

„Die Tradtion, an einem Kreuzweg einen Pakt zu schließen, um übernatürliche Kräfte zu erlangen, ist weder eine Schöpfung des Afro-Amerikaners, noch eine Erfindung der Bluesüberlieferung, sondern sie hat ihren Ursprung in Afrika und ist ein Ritual des Voodoo-Kultes. Man mag bezweifeln, ob Johnson die Texte seiner Songs hätte schrieben können, ohne in den Kult eingeweiht worden zu sein.“,

schreibt Finn in seiner Studie „`The Bluesman“‚ über die Beibehaltung westafrikanischer religiöser Praktiken in Amerika. Wie so ein Pakt zu Stande kommt, hat der Bluesmusiker Thommy Johnson (nicht verwandt mit Robert) geschildert:

Wenn du lernen willst, alles zu spielen, was du spielen möchtest und lernen, selber Songs zu schreiben, dann nimm deine Gitarre und gehe da hin, wo eine Straße deinen Weg kreuzt, an einen Kreuzweg, Geh dahin und sieh zu, dass du da ein wenig vor 12 Uhr nachts ankommst, so dass Du sicher sein kannst, dann auch da zu sein. Du nimmst deine Gitarren und spielst ein Stück ganz für dich alleine … ein großer schwarzer Mann wird dann ankommen, und deine Gitarre nehmen und sie stimmen. Dann wird er ein Stück spielen und sie dir zurückgeben. So habe ich gelernt, zu spielen, was immer ich will.

Der große schwarze Mann ist Legba (Eliijah), der, der Unheil bringt, der Trickser und Gott der Kreuzwege. Für Christen ist er natürlich, zusammen mit allen anderen afrikanischen Gottheiten, die sie ihren Sklaven auszutreiben versuchten, der Teufel. Für den Eingeweihten des Voodoo ist er Teil der Macht, die die Welt bewegt, wenn auch nicht unbedingt eine wohlwollende Macht.

Während der gesamten nächsten Jahre reiste Johnson entlang der Ufer des Mississippi von einem Baumwollstädtchen zum nächsten. Helena in Arkansas, wo er eine Zeitlang blieb, zog die Bluesmusiker der gesamten Gegend wie ein Magnet an. Hier kreuzten sich seine Wege mit denen von Sonny Boy Williamson II:, Howlin‘ Wolf, Robert Nighthawk und Johnny Shines. Der vier Jahre jüngere Shines, selbst ein faszinierender Bluessänger, hat uns ein besonders genaues und detailliertes Bild Johnsons überliefert.

„Wenn man ihn mitten in der Nacht aufweckte und ihm sagte, dass gleich ein Frachtzug vorbeikäme, würde er mit 100 prozentiger Sicherheit sagen: ‚Gut, lass‘ uns draufspringen‘, sich seine Gitarre schnappen und abhauen, egal, mit welcher Frau er gerade zusammen war. Er haute einfach ab. Er war der geborene Vagabund. Er war da zuhause, wo er einen Platz zum Schlafen fand, und selbst der war ihm häufig nicht sicher. Wir zogen herum und kamen an den Zahltagen in die Holzfällercamps oder zu den Gleisbaukolonnen – immer dahin, wo das Geld gerade locker saß. Wir sprangen überall auf Güterzüge drauf. Spielten in Tanzschuppen, auf Bürgersteigen – Johnson, dem Showman, war alles recht.“

Eine der stärksten Nummern, die Johnson 1936 bei seiner ersten Aufnahme-Session für ARC einspielte, war „Walkin‘ Blues“, eine Zusammenfassung von zwei Blues-Stücken, die Son House sechs Jahre zuvor aufgenommen hatte. Zunächst spielte Johnson es wie ein gehorsamer Schüler und folgte im Tempo genau dem Älteren. Doch dann beschleunigt er das Tempo, ändert den Gesangsstil. Er fügt unvorhergesehene Akzente und Falsetteinlagen ein: er kann seine Unzufriedenheit mit dem althergebrachten Stil nicht mehr verbergen. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie House und seinen Zeitgenossen beim Zuhören ein Schauer über den Rücken lief. Sie sahen in eine Zukunft, in der kein Platz mehr für sie war. Der „`Terraplane Blues“‚ aus dieser ersten Aufnahme-Session wurde ein Hit und verkaufte sich so gut, dass Johnson ein zweites Mal nach Texas reisen konnte, wo er 1937 in Dallas im Lagerhaus des Unternehmens im Verlaufe eines Wochenendes weitere 13 Songs einspielte. Diese Songs zeigen Facetten seiner Persönlichkeit, die die früheren Aufnahmen nicht einmal ahnen ließen. In seinen Versionen von „`Malted Milk“‚ und „`Drunken Hearted Man“‚ erinnert sein Vortrag an den schwermütigen Stil Lonnie Johnsons. Andere Nummern sind eher soft und nachdenklich, zum Beispiel „`Honeymoon Blues“‚ oder das wunderschöne „`Love in Vain“‚. In anderen Songs offenbart sich die dunklere Seite seines Wesens.

„Man könnte vielleicht sagen, er war fast eine gespaltene Persönlichkeit“, sinnierte Shines über seinen Freund. „Manchmal war er der sanfteste und ruhigste Mensch, den man sich vorstellen kann. Bei anderer Gelegenheit konnte er plötzlich so gewalttätig werden, dass man ihn besser in Ruhe ließ.“

An einem Samstagabend im Sommer 1938 spielte Robert Johnson in einem sogenannten „`Juke-Joint“‚, einem ländlichen Tanzschuppen, in Three Forks bei Greenwood in Mississippi. Er hatte die Angewohnheit, seine Songs immer an eine ganz bestimmte Frau im Publikum zu richten, an eine, der er sich bereits verbunden fühlte, oder an eine, die er näher kennen lernen wollte. Diesmal wandte er sich an ein Mädchen, mit dem er seit ein paar Wochen ein Techtelmechtel hatte. Vielleicht war ihm nicht bekannt, dass ihr Ehemann davon wusste, vielleicht war es ihm auch einfach egal. Johnson war schon etliche Male in einer solchen Lage gewesen und wusste, wie er sich dabei am besten aus der Affäre ziehen konnte. Aber diesmal kam alles anders: Der betrogene

Ehemann war der Besitzer des „Juke-Joint“, also sein Arbeitgeber. Johnson erwartete für seinen Auftritt wahrscheinlich keine Bezahlung, weil er, wie viele „Bluesmen“, nur für ein Essen und freie Getränke spielte. Jedenfalls trank Johnson alles, was ihm angeboten wurde, auch die Flasche vergifteten Whisky, die er irgendwann im Laufe des Abends aufgetischt bekam. Kurz darauf konnte er vor Schmerzen nicht mehr weiterspielen. Er wurde in das Haus eines Freundes gebracht, wo er am Dienstag, den 16. August starb, drei Tage (anderen Quellen zufolge drei Wochen) nach seinem Auftritt. Am folgenden Tag wurde er auf dem Friedhof einer nahegelegenen kleinen Kirche anonym bestattet.

Das hätte das Ende dieser Story sein können: Unbekannter erlag einem Mordanschlag. Doch zum Glück kam es anders: Noch im selben Jahr versuchte der Schallplattenproduzent John Hammond, der die Aufnahmen Johnsons kannte, ihn ausfindig zu machen. Er sollte gemeinsam mit Gospelsängern und Jazzmusikern in dem Programm „`Spirituals to Swing“‚ in der New Yorker Carnegie Hall auftreten. Schließlich erfuhr John Hammond, dass er leider zu spät gekommen war.

Drei Jahre später begann der junge Sänger und Gitarrist Robert Lockwood mit einigen Songs von Johnson seine Karriere. Da dessen Mutter eine der Freundinnen Johnsons gewesen war, war Lockwood so etwas wie ein „`Stiefsohn“‚ Johnsons. Robert Lockwood Jr. trug mit anderen Musikern Johnsons Erbe in die Nachkriegszeit.

Die erste Wiederveröffentlichung seiner Musik auf dem Album King of the Delta Blues Singers (Columbia) im Jahr 1961 führte schließlich zur Wiederentdeckung der Musik Robert Johnsons bei einem weißen Publikum; zu dieser Zeit wurden auch erstmals Umstände seines Lebens und Todes recherchiert. Bands wie die Rolling Stones oder Cream nahmen Lieder in ihr Repertoire auf. Und Musiker von Dylan bis hin zu Eric Clapton nennen Johnson als eine ihrer Inspirationen.

Als Columbia im Jahr 1990 eine Sammlung der kompletten Aufnahmen Robert Johnsons veröffentlichte und eine Gesamtauflage von ungefähr 20- bis 30.000 Stück kalkulierte, kam Robert Johnsons Musik unerwarteterweise auch außerhalb des Fachpublikums an. Die Doppel-CD hatte sich 2006 über zwei Millionen mal weltweit verkauft und wurde als Best Historical Album 1991 mit einem Grammy ausgezeichnet. Unzählbar sind mittlerweile die Tribute-Alben. So haben sowohl Peter Green als auch Eric Clapton so ziemlich das Gesamtwerk Johnsons interpretiert. Und noch heute gibt es kaum eine junge Bluesband, die nicht zumindest einen Johnson-Song im Repertoire hat. Wobei deren Interpretationen sich meist schon an Coverversionen anlehnen und nicht an dem rauen und doch bis ins kleinste durchdachten Songs, die Johnson bei seinen wenigen Sessions aufgenommen hat.