1. Nach erster Wahrnehmung des Textes/Überfliegen brauchbaren „Wortmaterials“(möglichst keine Eigennamen, Fachausdrücke, Zahlen oder allzuaktuelle „Zeit-Zeichen“) wird der Text herausgeschnitten, d.h. die Beibehaltungeines Textrandes links oder rechts ist möglich, der andere erfährteinen Schnitt, auch durch die Buchstaben hindurch.Je allgemeiner der Text, desto besser. Je zweideutiger die Begriffe darinauslegbar sind, umso besser. Je subjektiver der Text, desto besser. Es gibtbei der allerersten Wahrnehmung bereits eine Sehentscheidung, eine vageSelektion. Inhalt der Texte soll sich orientieren an:

a) literarischer Selbstreflexion(Medium), b) künstlerischer Selbstreflexion (Medium), c) Reflexiondes tätigen Aktes selbst (schneiden, „komplettieren“), c) der allgemeinen„kulturellen Situation“.2. Gegebenheit und Auffinden des Stoffes sind vergleichbar mit der Fahndungdes Künstlers nach alltäglichen Gegenständen, die er seiner Haltung,seiner Intention anverwandeln will durch Veränderung: diese aber postuliertkeine Reduktion des Vorhandenen, kein Fortnehmen aus vorhandenerSubstanz, sondern ein Hinzufügen. Die Annahme des „Unvollendetseins“des Gegebenen, nicht aber etwa, um es zu vollenden, sondern im Sinne PaulKlees: „Ein gutes Bild wirkt bis zum letzten Strich unvollendet.“ Und in seinemSinne gilt auch: „Den Denkhorizont bis zur Ahnung des Gesetzmäßigenerweitern, um dann zur Vereinfachung zu kommen.“ Das Gesetzmäßige istdie Sprache, die nach Sinnfälligkeit strebt, die Vereinfachung ist die durch„andere Worte“ gebundene Möglichkeit, zersplitterte Sinnfragmente durchbehelfsmäßigen Buchstabenstoff zu einer von vielen Sinnmöglichkeiten freigewordenen „Sammlung“ von Aussagen zu formen.3. Das Verfahren der „Komplettierung“ auseinandergesprengten Sinns verbietetunnötige Redundanzen. Postuliert wird geringster „Buchstabenaufwand“bei größter Vieldeutigkeit. Größte Nähe – weiteste Entfernung. Seltenwird der „Ausgangstext“, aus dem das Fragment herausgeschnitten wurde,detailliert gelesen oder nachgelesen. Dies würde die Arbeit am Wortwerkbehindern. Der ursprünglich gemeinte Sinn des Gebrauchs-, des wissenschaftlichenoder journalistischen Textes würde sich in die ersten Atemzügedes „neuen Originals“ mischen, da wird das Denken nicht faul und lässtsich nicht verlocken zu großen Worten unredlich sich brüstender Ahnungslosigkeit.Die aktuelle Berliner Literaturdiskussion um „Serendipity“, dem scheinbargesetzlosen Zu-Fallen literarischer Äußerungen auf dem ziellosen Unterwegs-Weg „by accident and by chance“ fände in diesem Verfahren vielleichtein geeignetes Objekt unverifizierbarer Überprüfung.4. Die Auswahl der herausgeschnittenen „Textkörper“ war bislang willkürlich.Jede Broschüre, jeder Fetzen Textreproduktion war entschiedenermaßengeeignet, „Kulturkritik“ bzw. Kritik am eigenen Medium, Kunst/Literaturzu üben. Als Ideal galt stets, die Arbeit mit und an dem Material im Textselbst gegenständlich werden zu lassen.Die „Komplettierung“ erfolgte mittels der Schreibmaschine und erstin den letzten Monaten mittels verschiedener Typen von Letra-Set. Dieserwies sich als unerheblich für den Aussagecharakter des Verfahrens unddessen Inhalt, es veränderte allenfalls die visuelle Prägung des Lesebildes,dessen wesenhafte „Flatterhaftigkeit“ bleibt.5. Das Lesebild orientiert sich nicht an Wahrnehmungsmustern von Gegenständen.Es flattert, ist an den Rändern zerfasert. Es bemüht sich nicht umeinen wiedererkennbaren genialischen Effekt wie z.B. der „Wurm im Apfel“.Es legt sich auch nicht kongenial um plastische Gegenstände, versieht siealso nicht mit einer Sprachhaut, wie ich es 1986 mit den beiden Säulen imKünstlerhaus Bethanien angestellt habe (der Text arbeitete sich spiralförmigvom Sockel der Säulen hoch zur Endung in der Decke, endete sinnfälliggrammatikalisch etc. nachdenkbar und fand in seiner jeweiligen Konfrontationmit dem Text der anderen Säule abschnittsweise und im Ganzen seinendialektischen Widerpart – eine Dialogsituation zur Kunst, die, je höher sie„führte“, sich umso kosmischer ausgab.) – das Lesebild lagert auf der Flächedes Papiers, und es schert sich (als immer beschnittenes) keinen Deut umeine Form, die wiedererkennbar wäre.Insofern ist jedes dieser Fragmente eher doch „literarisch“, als es, in allerunberechenbaren Monotonie, einer bildend-künstlerischen Gestaltabsichtzuzuordnen wäre – literarisch, weil es ein „Ganzes“ anspricht, sagt undmeint, eine offenbare Aussage trifft, denn jeder dieser so entstandenen Textelässt sich auf ein anderes Papier diktieren und taugte sinnhaft auch ohnedie Visualisierung seines regellos-prozesshaften Zustandekommens.Diese Rückversicherung aber gilt wenig – sie nimmt den Stellenwert der„Probe“ ein, die der Mathematiker und jedes Schulkind vornehmen, umder „Richtigkeit“ der Rechnung gewiss zu werden.Es gilt also, das ganze „Verfahren“ so offen und selbstbezichtigend wie möglichzu halten, nichts weiter kenntlich werden zu lassen als den Aufeinanderprall,das Aneinanderstoßen, das Aneinandergenähtwerden von zweiverschiedenen sprachlichen Strukturen und Bewusstsein zu dokumentieren.Das sagt beinahe nichts, veratmet sich vielleicht an der Aura von schon benanntenHinterlassenschaften. Aber die „Natur“ der künstlerischen Dingebleibt erhalten: die Reproduktion des Textes und der nicht immer in dieZeile eingepasste Buchstabenschlag der Schreibmaschine.6. Diese Texte geben vor, etwas zu sein, was sie nicht sind: durchgängigverwertbare Texte. Sie sind offensichtlich ziemlich schlechte Attrappen sinnfälligerTexte. Nur, dass sie eben nicht, wie bei den meisten Attrappen, innenhohl und außen die festgefügte Illusion der Oberfläche betreuen! DieseAttrappen sind innen unverfügbar kompakt und nur an ihren Rändernverfügbar, um ganz wenige Längen angelöst. Diese kurzen Längen verödendie Sicherheit des geschulten Leserköpfchens, das den offensichtlichenEffekt verschmäht, um ihn sich am Ende hintergründig einzufangen. EineHintergründigkeit ist aber nicht parat. Die Tiefe, mit Gemüt gepaart, gerätzur Blase, die mit Luft aufgepumpt nur an die Oberfläche will. Bestenfallssind diese Texte Fallen, die nicht zuschnappen, wenn man hineinläuft. Attrappeneben.