Pommern und Dadaismus – diese beiden Erscheinungen haben auf den ersten Blick nur wenig gemeinsam: eine verschlafene Provinz und eine Kunstströmung der Moderne, die die bürgerliche Gesellschaft ins Visier genommen hat. Doch weit gefehlt: Pommern ist zwar kein Zentrum des Dadaismus, Pommern ist vielmehr Dada.
Das klingt gewagt, lässt sich aber an verschiedenen Personen und Ereignissen plausibilisieren. Folgend eine kurze Auswahl, die sich ganz bestimmt noch viel weiter ausbauen lässt:
Elsa von Freytag-Loringhoven geb. Else Hildegard Plötz, geschiedene Endell und geschiedene Greve wurde am 12. Juli 1874 in Swinemünde geboren. Als Tochter eines gewalttätigen Vaters den Elsa als begriffsstutzigen Teutonen und Bismarck-Verschnitt beschreibt und einer sensiblen religiösen Mutter, die das bürgerliche Leben verachtete und auch selbst bereits mit ihrer modischen Kleidung auffiel, waren viele Aspekte ihres weiteren Lebens bereits vorgeprägt. z.B. Der Wunsch Macht auf ihre Männer auszuüben, wie beispielsweise im Berliner Kreis um Stefan George, einer Männerwelt, in der Elsa auch mehr als einen Liebhaber fand. Sie praktizierte offen die Trennung von Romantik und Liebe. „Sexkapaden in Berlin“, nannte das Irene Gammel in ihrer Biographie über die Dada Baroness. Bekannt geworden ist die allerdings vor allem als Performance-Künstlerin, Erfinderin von Readymades und nicht zuletzt als Dichterin in New York.
1913 fand Elsa auf dem Broadway einen eisernen Ring auf der Straße, den sie Kurzerhand zum Kunstwerk erklärte. Das erste gefundene Objekt, das erste Ready-made. Nur den Begriff hat Duchamp erfunden. Damit war sie die erste, die aus Müll Kunst machte. Anti-Kunst.
Sie arbeitete in New York als Modell und entwarf und nähte sich Kleider, die ihre künstlerischen Statements in den Alltag darstellten. Die Dada-Baroness war geboren. Ihre Auftritte waren legendär und sind viel beschrieben worden. Die Haare kurz geschoren, eine Fliegermütze auf dem Kopf, eine Briefmarke auf die Wange geklebt, Teelöffel als Ohrringe.
Auch wenn sie bereits in Jugendjahren schrieb, wurde sie erst nach der Trennung von Felix Paul Greve, dem sie als Muse und ungenannte kreative Unterstützung in seinen Übersetzungen diente, zunehmend auch literarisch aktiv.
„Die Baroness ist die erste amerikanische Dada- Wenn sie Dada ist, dann ist sie die einzige auf der ganzen Welt, die sich Dada kleidet, Dada liebt, Dada lebt“, schreibt Jane Heap in der Little Review.Die logische Schlussfolgerung: Wenn Elsa selbst Dada ist und sie in Pommern geboren wurde, haben die Pommern den bzw. eigentlich die Dada erfunden….
Den Mitbegründer und eigentlichen Hauptvertreter dieser revolutionären Bewegung, Richard Huelsenbeck, zog es während seines Medizinstudiums für ein Semester nach Greifswald. Das war im Jahr 1916 bzw. 17. Da gehörte er schon zum Kreis der Zürcher Dadaisten und hatte mit seinen „Phantastischen Gebeten“ grundlegende Arbeiten der dadaistischen Laut- bzw. Unsinnspoesie geschaffen. Diese Gedichte verdichteten Reklametexte, Sprichtwörter und dergleichen, aber auch eigene Einfälle zu einem unglaublichen und ungeordneten Ganzen und hörten sich beispielsweise so an: „Dumm da, kollokaa. Bababa. Müh, tüäh, wawa“. Nach diesem kurzen Interemezzo in Greifswald – er wohnte übrigens in der Schützenstraße 11 – etablierte er gemeinsam mit Raoul Hausmann die Berliner Dada-Gruppe, war Mitunterzeichner des „Dadaistischen Manifests“, veröffentlichte die Chroniken dieser Bewegung und war Herausgeber des „Dada-Almanachs“.
Einen weiteren Dadaisten zog es etwas früher nach Greifswald. Im Jahr 1913 schloss der Schriftsteller und Essayist Walter Serner, der eigentlich Walter Eduard Seligmann hieß, an der hiesigen Universität sein Jurastudium ab. Der zum Judentum konvertierte Serner veröffentlichte in in dieser Zeit bereits regelmäßig Arbeiten in der Zeitschrift „Die Aktion“. Einige Hauptvertreter des Dadaismus bezeichneten ihn auf Grund seines Manifests „Letzte Lockerung manifest dada“ als „größenwahnsinnigen Außenseiter“ – als er dieses 1919 in Zürich vortrug, kam es zu einer Aufruhr des Publikums und er wurde von der Bühne gejagt. Wenig später wandte er sich von der Bewegung ab und zog sich 1927 gar ins Privatleben zurück:
„Dichtung ist und bleibt ein, wenn auch höherer, Schwindel. Ich lege Wert darauf, das zum ersten Mal ausgesprochen zu haben. Menschen gestalten, heißt: sie fälschen.“Was hier sichtbar wird, ist doch: Die aus Pommern geflohene Dada-Baronesse mischte das Berliner wie New Yorker Kunstleben auf und zwei Dada-Protagonisten studierten in Greifswald. Nicht lange nach ihrer Abreise war Dada da. Und als Dada im Rest der Republik schon lange tot war, lebte er in der pommerschen Provinz wieder auf. Am 23. April 1992 feierten Studierende und Dozenten der Universität Greifswald den 100. Geburtstag von Richard Huelsenbeck. Sie trugen seine Gedichte vor und zogen mit viel Klamauk durch die Straßen Greifswalds.
Anschließend stürmte die Gruppe, zu der unter anderem Kerstin Troschke, Alexander Pehlemann sowie Uwe Wiegand gehörten, die Greifswalder Bürgerschaft und konnten nur durch Abschalten der Mikrophone an der Ausrufung der „Autonomen dadaistischen Republik Greifswald“ gehindert werden.